31.3.

Okamase, so heißt ein anderes der wohltuenden Worte aus dem Japanischen. Die Bedeutung ist: vertraue dem Anderen. Dahinter steckt ein gastronomisches Konzept, man darf nicht selbst auswählen, sondern isst, was auf den Tisch kommt. Habe ich ausprobiert in einem Lokal, dem Shiori in der Max-Beer-Straße. Da hing an der Decke ein Lampenschirm, der zusammengebunden war aus sämtlichen Blumen, die innerhalb eines Jahres in diesem Restaurant als Tresenschmuck aufgestellt waren. Nun hingen sie da, größtenteils ins Bräunliche und in artverwandt strohhafte Farben verblichen, geschrumpft auch die Kelche. Aber poetisch im Ganzen, auf diese überraschend rustikale Weise, die einem als Langnase einfach nie einfallen will, wenn ich die Augen schließe, um an Japan zu denken (im Vorraum der Toilette lag das Waschbecken voller Steine, Kirschblütenzweige und Moos – das Handwaschwasser sollte darüber rinnen als Bach en miniature.)

Im Speisewagen des ICE nach Frankfurt saß ich dann einer Frau gegenüber, die in einem Buch las, das Kräuter Kompakt hieß. Die Frau selbst sah genau so aus, wie ich mir einen Menschen vorstelle, der sich ein Buch kauft, das Kräuter Kompakt heißt. Also mit ihrem in Indigo gefärbten Blusenkittel und einer Carolin-Emcke-Frisur. Ihr Mann oder Lebensgefährte (im weißen Hemd) hatte sich die Schweinebäckchen mit Kartoffeltalern bestellt, die in der Speisekarte mit der Spitzmarke »raffiniert anders« gekennzeichnet waren. Als der Köbes ihm den Teller vorsetzte, rümpfte seine Begleiterin ihre Nase: jawohl, sie rümpfte. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zuletzt eines Rümpfens teilhaftig geworden war jenseits eines vermittelten Geschehens in der Literatur, wo freilich noch andauernd und heftig und viel gerümpft wird. Und inständig entstand seine Unterwürfigkeit im Angesicht ihrer Missbilligung seiner Bestellung, eigentlich also hinsichtlich seiner undisziplinierten Ess-Lust, die ihn ja erst in diese in ihren Augen missliche Lage gebracht hatte. Denn im Speisewagen, so die Kräuterforscherin, das war auf der Innenseite ihres Rümpfens zu entziffern für mich: isst man, isst unsereins doch nicht. Ihr »doch« blinkte. Er aß dann doch. Und spielte ihr einen, leider schlecht gemachten, Lachflash vor, meinend: schmeckt ulkig!, bloß um wieder an Ansehen zurückzugewinnen in ihren Augen, die ihn zuvor mit milder Verachtung angezählt hatte.

Na ja. Ich finde den Speisewagen, ich finde sämtliche Speisewagen genial. Eine zutiefst kulturvolle Erfindung (und falls ich jemals etwas anderslautendes verfasst haben sollte, dann tut es mir leid). Wer den Speisewagen an sich, wer die darin servierten Speisen nicht zu würdigen versteht und sie ernsthaft zu kritisieren braucht, der hat, hier nun ein stimmiges Bild: nicht mehr alle Tassen im Schrank. Für einen Kritiker ist das wie Milchkühe schießen. Ich kann mich nämlich noch erinnern an die Zeit vor der Erfindung des Dampfgarautomaten und auch an die Zeit vor der Mikrowelle und sogar noch an die Zeit vor dem ICE. Da gab es Mozarttoast und es flogen in der Kurve auch schon mal die Tassen und Teller aus den Regalen. Im Übrigen waren damals noch die Kellner andauernd besoffen. Und die Köche machten Fehler (es kam zu Verbrennungen, manchmal brannte auch nur der Kittel). Darüber kann man einen Film drehen, wenn man wie Wes Anderson drauf ist. Ist man mehrere Spielfilmlängen lang durch Deutschland unterwegs, oder durch Japan, gibt es keine behaglichere Art des Reisens als den Speisewagen. Egal, was man dabei trinkt oder isst.

Die Landschaft zeigt sich endlich wieder lieblich geschwungen. Die Felder strotzen, es grünt wie in einem einzigen, nur manchmal durch Waldsäume disruptiv unterteilten Kressekästchen. Erste Bienen, sie sind noch rundlich und ihr seidiger Pelz macht sie zu fliegenden Weidekätzchen. Ganz tapsig müssen sie pausieren und sich aufpumpen, dann geht es fleißig weiter. Ich liebe Bienen, meine Hasen der Lüfte. Und die Frage, ob es unser Verhältnis zur zivilen Luftfahrt verändern würde, wenn die Flugzeuge nicht schnurgerade am Himmel vorüberzögen, sondern auf und abschaukelnd, sich in Thermik hineinstürzend, daraus emporjagend wie Vögel. Wenn das ihre Art der Fortbewegung wäre. Also unsere.