3.4.

Bei Sonnenaufgang waren am Horizont zwei Blüttenblätter eines riesigen Veilchens stehen geblieben. Die dünnen Ränder vergoldet, wie man das von den Mustern auf Sammeltassen kennt. Der Halbmond war am Himmel erschienen. In der Schneise zwischen den Mietskasernen sprangen die Leuchtbuchstaben eines Schriftzuges an und als es noch dunkler wurde, wurden die Begrenzungsleuchten an den Baukränen hoch droben zu rotem Gestirn.

Vor dem Wasserhäuschen ging es am Rande auch noch einmal um die Lämmergeier, eine Diskussion, die uns einst zusammengeführt hatte, aber gestern dann auch darüber hinaus um die historische Entwicklung in Frankfurt bis hin zu Techno, Väth, dem Ruhm wie Donnerhall und heute eben so gut wie nichts mehr davon übrig – es begann alles, so erzählte Andreas, mit und vor allem in der Music Hall. Erzählt wurde von einer einbetonierten Anlage, mit Lautsprecherboxen, die, wir sprechen von den frühen achtziger Jahren, es fertig bringen konnten, einem den Verstand wegzublasen. Alles, was nach danach kam, alles nach der von ihm als mythisch beschriebenen Music Hall – Mackie Messer, Dorian Gray, Vogue, Omen – war lediglich Thronfolge.

Es sind ja nicht nur Rave-Adelige, die sich dort am Wasserhäuschen einfinden. Sie sind ja auch teilweise mehrfach gescheiterte Gründer. Andreas beispielsweise, der bei unserem Kennenlernen von dem Apfelwein aus dem Geblümten in die Knie gezwungen ward, betreibt bei sich daheim einen 3D-Drucker. Auf meine Frage, was er denn damit druckte, antwortete er mir gern: »Halterungen beispielsweise. Du fragst dich doch oft, weshalb es keine Halterung gibt für das Mauskabel auf dem Schreibtisch – ich entwerfe mir das mittlerweile alles selbst und drucke es aus.«
»Für Zahnbürsten auch?«
»Ja, aber das ist erst der Anfang!«
»Bald werden sie auch ihre Kinder ausdrucken.«
»Das Genom ist schon entschlüsselt. Da kommt noch ganz viel.«

Alexander, der Kleinverleger, von dem ich beim ersten Mal gar nicht mitbekommen hatte, dass er Christoph Amend so ähnlich sieht, stellt mir Karl vor, im ungebügelten T-Shirt, Fleischtunnel durch beide Ohrläppchen, aber dezente, der uns über seine kleine Box, die über Bluetooth mit dem iPhone in seiner Hosentasche verbunden ist, mit dem Gesamtwerk von Edgar Wasser vertraut macht. Es läuft Der Undenker. Alle nicken. Es läuft Deutschsein. Alle nicken: »Beim Döner hat’s funktioniert, beim Döner hört’s auf«.

Matthias, der gerne erzählt, dass er dem Immobilienbüro, das gegenüber einen Container aufgestellt hat, um für die Mietskaserne, die hier im Zuge der sogenannten Flächenintensivierung des Gallusviertels errichtet werden soll, bald schon – die historischen Kleingaragen wurden bereits abgerissen – in die Klimaanlage pinkelt (»von oben hinein, Methode zwei Finger«), bemerkt den Ambulanzwagen als erster. Der Notarzt bremst mehrfach ab, startet dann wieder durch. Der Wagen bewegt sich in Rucken vorwärts, die Straße entlang.

»Navi kaputt.«

Dann wird es still in der Runde. Offenbar ist der, bei dem der Noteinsatz stattfindet, allseits bekannt.

Karl, der Jüngste: »Wir waren zusammen aufgewachsen.«
Alexander: »Hoffentlich kommt er durch.«
Karl gibt Entwarnung: »Ich arbeite als Sani. Wenn die die Blaulichter anlassen nach drei Minuten, lebt er noch. Ansonsten machst du die aus. Wozu noch die Eile?«