3.7.

In der Moabiter Kirchstraße, sie mündet auf der einen Seite ans Holsteiner Ufer, auf der anderen Seite öffnet sie sich in einer gedachten Linie dem nicht nur sogenannten Sommergarten von St. Johannis, folgen nicht nur auf ein- und derselben Straßenseite, sondern auch noch in direkter Nachbarschaft drei Cafés aufeinander. Bei den vom Sommergarten aus betrachtet hinteren zweien sind die Stühle und Tische stets besetzt, obwohl die Plätze dort die meiste Zeit über im Schatten liegen. Das erste Café wiederum hat schon ab acht Uhr morgens vollen Sonnenschein, aber dort sitzt kaum je irgendjemand davor. Der Grund dafür ist einfach: Es ist der Kaffee, der hier unglaublich scheußlich schmeckt. Und zwar, ich habe es ausprobiert, über sämtliche Spezialitäten dieses auf Kaffeespezialitäten angeblich sogar spezialisierten Cafés. Woran es liegt, ist so schleierhaft, wie es dem Neuling in der Kirchstraße schleierhaft erscheinen wird, weshalb dort ausgerechnet alle im Schatten Kaffee trinken wollen. Bis er dann auf einem Sonnenstuhl Platz genommen haben wird, um einen Cortado, einen Cappuccino oder, den im Sonnenschein Sitzenden erscheint diese Spezialität ja besonders verlockend: den seltenen Affogato zu sich zu nehmen. Ein Vorhaben, das er zwar nicht direkt bereuen wird, aber je nach Geldbeutel halt schon, denn billig ist es dort ebenfalls nicht; obwohl man das zumindest annehmen wollen würde. Wobei: Der Begriff Spezialität an und für sich bedeutet vielleicht auch noch nicht von vorneherein, dass es sich bei einer Spezialität um etwas Angenehmes handeln muß. Eine Kaffeespezialität darf auch besonders scheußlich schmecken, dann ist das eben das Spezielle daran. Der Barrista dort, ein übrigens extrem freundlicher Mensch, was den Besuch dort noch unangenehmer macht, weil man sich nicht traut, ihm die Meinung zur miserablen Qualität seiner Kaffeespezialitäten ins freundlich lächelnde Gesicht zu offenbaren, verkauft sozusagen den Sonnenschein teuer.

Es ist eine auch ansonsten besondere Straße, an deren hinter der Brücke gelegenem Ende das historische Baumkuchencafé liegt, dann kommt ein kroatisches Grillrestaurant und hinter der S-Bahnstation die im Grünen gelegene Akademie der Künste. Früh am Morgen und in der Mittagszeit dann auch wieder wird die Straße zudem von besonders gekleideten Menschen frequentiert und, weil es jeden Morgen dieselben sind, die hier rauchen und stehen, bevölkert. Die T-Shirts, die sie tragen, sind gut geschnitten, dunkelblau und quer über die Rückenpartien steht in weißen Versalien das Wort Justiz. Ein buzz word zum einen, man will gleich Vetements-Witze machen, aber hier in der Kirchstraße handelt es sich bei den T-Shirts mit Potential um Berufskleidung. Denn in der zierlichen Kirchstraße ist, je nach Betrachtungswinkel, auch noch oder vor allem das große Strafgericht untergebracht. Obwohl es sich bei den auf der Straße cornernden Justiz-T-Shirt-Trägern vorrangig um Frauen handelt, spricht man sie freilich nie an. Es ist ja klar, weshalb sie diese T-Shirts tragen. Es steht ja groß hinten (und etwas dezenter auch auf der Vorderseite über der linken Brusthälfte) drauf. Dort, also unterhalb des dezenteren Justizlogos auf der Vorderseite des T-Shirts ist übrigens noch eine ebenfalls in Weiß, ebenfalls in dieser klaren, supremehaften oder vetementshaften Type in serifenloser Schrift eine fortlaufende Nummer aufgedruckt, die dem gesamten T-Shirt-Konzept den Flair einer limited edition verleiht. Heute, als ich hinschaute, war beispielsweise 100026 eine rauchen mit 100027. So etwas merke ich mir, seltsamerweise. Die Namen der beiden wohl kaum.

Richter muss es freilich auch geben. Man erkennt sie an der weißen Krawatte zum weißen Hemd, so überqueren sie die Schnellstraße, um in die Kirchstraße einzutreten. Den Talar dabei oft lässig über die Schultern gehängt.