3.9.

Mit den Worten Jürgen Dollases aus dem ausgezeichneten Gespräch mit Sven Michaelsen fuhr ich gegen Mittag in die Innenstadt. Wie schön er von seinen Lehr- und Wanderjahren verdanks LSD erzählt: »Wenn man was drin hat, kann man das so sehen. Das Drogenohr hört ja ein bisschen anders. Wir haben psychedelisch korrekte Musik gemacht, die unter Drogeneinfluss sehr gut wirkte. Ich hatte enge Beziehungen zu einer Kommune in Viersen am Niederrhein, die indische Musik hörte und sehr mit fernöstlicher Philosophie zugange war. Wir waren in einer Phase des LSD-Konsums angelangt, in der es keine Halluzinationen mehr gab. Für uns waren Drogen ein todernstes Wahrheitskonzept. Drogen waren unser Leben. Wir verstanden Leute nicht, die sich Drogen reinschmissen, nur um in ihrem Kopf irgendwelche irren Kinoeffekte zu erzeugen und dann staunend und mit offenem Mund rumzuliegen. Das war eine andere Abteilung. Mit der hatten wir nichts am Hut. Uns ging es um ein psychedelisches Klarbewusstsein.«

Das Beste an LSD scheint mir vor allem, dass man diese Wahrnehmungen, die Jürgen Dollase als »psychedelisches Klarbewusstsein« beschreibt, als bereichernde Erfahrung mit in die Nüchternheit nehmen kann. Dass man sich besser, ja: klarer als bei jeder anderen Droge, die ich kenne, daran erinnern kann, was man anders gesehen, dadurch erlebt hatte. So kann ich mir besser erklären, weshalb er (Dollase), als er noch regelmäßig in der Zeitung über Restaurantessen geschrieben hat, zu diesen für ihn typischen Texturanalysen von Nahrungspartikeln gefunden haben konnte. Er schrieb da oft und wie ich finde auch unnachahmlich aus der Perspektive eines Wesens, das irgendwelche speziellen Zubereitungen zum entweder allerersten Mal auf diese Weise zu sich nahm, oder das, aufgrund seiner Wesenheit, sämtliches, was dort auf dem Teller vor ihm wartete, in seiner fremden Eigenart zu beschreiben versuchte, als handelte es sich dabei um den Bericht von einer Expedition. So kann das Ergebnis einer gelungenen Erfahrung mit LSD sein: Man sieht den Wald, die Bäume und die Freunde, die Sonne, und später den Mond und die Sterne wie zum allerersten Mal (an das man sich bis dato ja leider nicht mehr erinnern konnte), und wächst nun noch einmal, wie ein Kind, das sich später an diese Weltwahrnehmungserfahrung erinnern können wird, mit allen Sinnen in die Dingwelt hinein. Für manche wirkt das wie eine religiöse Erfahrung, und sie verlassen die Kirche in dem Gefühl, ein besserer Mensch geworden zu sein.

Später am Tag wurde mir in der Punk-Pizzeria ein Modedesigner vorgestellt: Juri aus Nürnberg. Er ist sechzehn Jahre alt. Er betreibt mit seinem Freund ein Label, HUMM. Sie entwerfen T-Shirts, die sie aus ihren Jugendzimmern heraus vertreiben. Bezahlung per Paypal. Ich bestelle mir eins. Noch während wir reden, erhalte ich die Versandbestätigung (Tommy Hilfiger hat Juri nach Berlin einfliegen lassen, um seine Veranstaltung während der Bread & Butter mit jungen Talenten zu garnieren, der Freund ist daheim in Nürnberg geblieben und kümmert sich um die Geschäfte). Juri trägt einen medivial haircut, wie er einst für die erste Kollektion von Raf Simons erfunden wurde. Als Raf Simons auch das Ding mit den Motorradhelmen auf dem Laufsteg erfunden hat, das später von Daft Punk übernommen wurde. Juri sammelt alte Teile von Raf Simons, den er durch A$AP Rocky entdeckt hat, und den er jetzt als ein Vorbild für seine eigene Arbeit als Designer nimmt. Juri trägt eine feste Zahnspange, und Tabassom gibt ihm zehn Euro, damit er sein Telefonguthaben aufladen kann. Dann zeigen wir ihm noch das Bless-Apartement, weil Juri Bless noch gar nicht kannte. Alles viel zu teuer für sein Budget, aber er scannt jedes einzelne Teil, vor allem die rekonstruierten Jeansjacken, dann bringt ihn Jonas zur U-Bahn.