4.4.2019

Robert Habeck hat in einer Berliner Buchhandlung gelesen, und ich war dabei. Warum? Ja, warum nicht, könnte ich schreiben, wenn dieser Entgegnung nicht eine Selbstverständlichkeit innewohnte; aber Spitzenpolitiker lesen nicht in Buchhandlungen—weder in Berlin, noch außerhalb des Hauptstadtareals; weder die von der Regierungspartei, noch die von den Grünen. Also war das außergewöhnlich, deshalb war ich dabei.

Robert Habeck kommt natürlich erst kurz vor Beginn seiner Lesung, die drei-, bis vierfach ausverkauft war. Die Reihe »Meine Lieblingsbücher« zieht regelmäßig einhundert Leute aus Prenzlauer Berg in die Buchhandlung von Katharina von Uslar und Edgar Rai, aber dieses Mal war es extrem.

Ich muß ja gestehen, dass ich Robert Habeck als gesichtsähnlich empfinde mit Campino—was nichts Schlimmes bedeuten soll, weil ich mag den ja auch. Aber Habeck wiederum braucht keine Pose. Und im Gegenteil nahm er sein Publikum ein mit Verletzlichkeit, mit Fehlern. Denn die Bücher, die er als seine Lieblingsbücher vorstellen wollte, die waren nicht etwa Raupe Nimmersatt und Die Kinder von Schewenborn, Die Grüne Wolke oder der »Hirbel«: Habeck las aus Celan. Dann Levinas. Und aus dem Sisyphos von Albert Camus, den auch Heinz Bude als zentral befindet für das Verständnis unserer Krise.

Was mich beeindruckt hat—in und zu dem Maße, dass ich vor ihm niederknien wollte—war, wie er das vorgetragen hat. Nämlich verletzlich. Und unvollkommen. An den Texten selbst scheiternd. Als nicht dabei Gewesener sollte man es sich so vorstellen, dass da ein Spitzenpolitiker vorne steht, in seiner spärlichen Zeit, vor zweihundert Berlinern, und aus einem Buch vorliest, dass er selbst nicht versteht. Und das sagt er auch so: Ich verstehe den Text nicht, aber er scheint mir wichtig.

Als ich niederknien wollte, sagte Robert Habeck: In der Kuhle, wenn der Stein noch nicht wieder heraufgeschoben wird, aber eben erst herabgerollt ist; wenn der Sisyphos dann einen neuen Anlauf nimmt, scheint für mich das Kreatürliche im Menschen hervor.

Und dann, so dachte ich: welcher andere Politiker würde das oder so etwas vor Publikum sagen?

Wer traut sich, derart laut zu denken?