5.1.

Seltsam, dass es ausgerechnet Giuseppe Arcimboldo ist; kein Künstler sonst, dessen Werke ich derart abstoßend finde. Als ich die Zeitung holte, gestern, erschrak ich regelrecht, als ich sie über die Mitte zusammengefaltet auf den Kiosktresen legte, um sie zu bezahlen: da erst sah ich auf das Bild unter dem vertrauten Schriftzug aus Frakturbuchstaben. Ich weiß bis heute nicht, um was es in den Zeilen unter dem aus Gemüse geformten Gesicht ging, weil ich die gesamte obere Hälfte der Titelseite auslassen musste, um den Arcimboldo nicht mehr mit Blicken streifen zu müssen. Es ist tatsächlich Ekel, den ich empfinde, wenn Arcimboldo malt. Und das war, so lange schon hatte ich keinen mehr zu Gesicht bekommen, dass mir das gestern unweigerlich klar wurde: schon immer so gewesen; jedenfalls, so lange ich mich erinnern kann. Die erste Begegnung mit einem Gemüsegesicht war demnach im Kunstunterricht. Man sollte die nach herrschender Ansicht meisterlich komponierten Gemälde des Italieners mit Kasein-Tempera auf grundierten Holzplatten nachempfinden. Ich brachte leider nichts zustande, denn ich fand die Vorbilder einfach nur fürchterlich. Allein die Augen: Wenn ein so einer anguckte, mit seinem Weintraubenblick hinter den Wülsten aus pickligen Cornichons, die ihm die Lider wären. Das schleifende Geräusch seines Atmens ganz hinauf durch das engporig schwammartige Fruchtfleisch einer Aubergine. Dass es ihm ein Leben lang schon auf den Lippen brennt, weil die in seinem Fall aus Peperoncini sind. (Und wie wächsern sich das anfühlen müsste, auf solchen zu küssen; gleich nun, ob als Normalfrau, oder als eine aus Arcimboldos grünem Labor, weil die dann ja, im Zweifel unter ihrer Bluse zwei Köpfe Romanesco herzuzeigen hätte, und ihre Lippen wären dann vielleicht gerade noch die ideale Ergänzung zu den seinen, weil sie kühlend wirken könnten, auf seinen ewig brennenden Kuss – aus Minzblättern? Ist processed food wie Joghurt erlaubt?)

Beim Mittagessen mit Götz Offergeld konnte ich mich manchmal nur schwer konzentrieren, weil ich nebenher noch damit beschäftigt war, die Gedanken an Arcimboldos Gemüsegesichter abzuwehren. Besonders das eine, vorwiegend aus Tomaten und anderen roten Früchten zusammengesetzte, wo die Zähne aus Kirschen sind: Wenn der erst zubeißt, dass die Kerne splittern – Gänsehaut der unguten Art, als ob ich auf dem Stiel eines Stieleises herumkauen müsste!

Dabei saßen wir im Café Einstein Unter den Linden, das, seit Stefan Landwehr und Boris Radczun (Google ergänzt automatisch zu »Boris Radczun Nachname«) es beinahe stillschweigend übernommen haben, zum neuen Treffpunkt für mittägliche Besprechungen geworden ist. Man sitzt dort halt wie in Paris im Café de Flore. Preise dementsprechend. Essen aber mindestens genauso gut. Also ziemlich gut! Besonders die Ente. Götz trank Bier. Das, also Bier zum Mittagessen und überhaupt, das Sich-im-Einstein-Unter-den-Linden-verabreden, gehört bekanntlich zu seinem politischen Programm, denn wie er uns allen mit einer SMS am 24. Dezember mitgeteilt hatte, will er jetzt Bürgermeister werden. Hendrik Lakeberg, der Wasser trank, beurteilt die Chancen einer Kandidatur seines Verlegers als gut. Ansonsten kam von ihm nicht mehr viel, wohl weil er in Gedanken schon an dem Essay schrieb, den er uns zu Anfang des Gespräches vorgeschlagen hatte. Thema: Der weiße Mann ist am Ende. 60 Jahre nach Norman Mailers The White Negro. So ungefähr.

Zwischendurch machte ich Offergeld den Vorschlag, eine im Fahrwasser von Beef und Wolf positionierte Zeitschrift herauszubringen mit dem Titel Pils. Die Zeitschrift für den Mann, der gern in Kneipen geht. Mit so Themen wie: »Kleiner Feigling Ja oder Nein – eine Frage der Haltung«, »Futschie deluxe – aus Bio-Cola und mit Rum aus Martinique«, »Hotspot Düsseldorf: An der längsten Theke der Welt«.

Der Privatmann Offergeld fand das lustig und vielversprechend. Der Geschäftsmann eher so medium.

Danach planten wir das Frauenheft. Das es ja schon gab am Markt, und dessen Themen sich von daher tendenziell mühseliger finden ließen. Vor allem: wie nur die Charybdis des Feminismus umschiffen wieder einmal? Lakeberg zeigte auf dem Display seines Telefons die aktuelle Titelseite der Glamour aus den USA herum: die sogenannte Lena Dunham zeigte dort im Kreise von Freundinnen und Kolleginnen ihre nackten Oberschenkel vor, mit Grübchen ihrer Orangenhaut besetzt, so tief diese auch unter anderem, das man Erbsen drin verstecken konnte, ohne diese jemals wiederzufinden – schon war ich wieder in meiner Angstwelt gefangen. Mit lustigen Gesprächen hatte ich es also lediglich geschafft Arcimboldo für einige Zeit zurückzudrängen. Aber er war noch immer präsent.

Erst als wir nach vier Stunden alles, wirklich alles besprochen hatten, und es schlicht keinen Grund mehr gab, nicht nach Hause zu gehen, gingen wir nach Hause. Ein jeder zu sich.

Müde. Eventuell ein Anflug von Lust auf Protestschlaf. Es war ja auch schon wieder dunkel. Und ich noch immer auf Frankfurter Zeit, wo die Sonne ja, gefühlt, einige Stunden später unterzugehen pflegte. Außerdem kalt. In der Post ein Buch mit Besonderen Liebesbriefen aus der Zeit. Einer von mir. Außergewöhnlich hübsch gestalteter Umschlag. Lauter grüne Herzen. Eines in Rot. Mit Prägung sogar: Arche. Wie passend. Wie schön.