5.2.

Der Taxifahrer, der uns vom Hauptbahnhof bis ans Hotel mitnahm, war nicht gut auf Bonn zu sprechen. Mit seiner Stadt ginge es nur noch bergab. Und das, na ja, seit ewiger Zeit. Aber was hieß schon seine Stadt – in Bonn aufgewachsen war er ja nicht, sondern als Fahrer des Schweizer Botschafters hier her gekommen, damals, in den Achtzigerjahren, als die eidgenössische Bundesrepublik noch in Bonn vertreten war. Damals – er hatte nun, um das zeitlich hinter ihm gelegene Areal erzählerisch auszuleuchten, weit ausgeholt und dazu passte, dass die Straße, auf der er uns fuhr, ihren Namen abschnittsweise änderte von Adenauer-Allee in Willy-Brandt-Allee – in jener Zeit war alles noch herrlich gewesen. Heute alles bloß Abfall. Hatte man früher von einem Haus in Bad Godesberg nur träumen können, musste man heute stets fürchten, dort tatsächlich hinziehen zu müssen. Selbst in den Bonner Stuben, einst angeblich erstklassig in der Altstadt, befände sich mittlerweile eine Shisha-Bar. Bonn, so seine Meinung, sollte sich endlich löschen.

Ein Wutbürger, ganz klar, der den goldenen Zeiten hinterher trauerte, als er mit seinem Chef, dem Schweizer Botschafter noch nach Dienstschluss den sogenannten Einkehrschwung im Nightclub Zur Dicken Bürste üben durfte. Dieser ehemalige Vorzeigeclub Bonns inmitten der Altstadt war mittlerweile geschlossen. Das Schild mit dem Pagenkopfgesicht hing sinnlos über der mit Brettern vernagelten Türe, die dazu noch mit einem Palimpsest unterschiedlichster Sprühdosenhandschriften verunziert war. Dito die ehemalige Bäckerei gleich nebenan. Sogar die Betreiber eines wohl erst kürzlich eröffneten Burgerlokals hatten ihre Ambitionen mittlerweile entnervt (vermutlich) aufgegeben. Das Mobiliar war bereits abtransportiert.

Doch die Sonne schien und die berühmte milde Rheinauenluft sorgte bei stellenweise mehr als sieben Grad für eine gesunde Euphorie, denn zum ersten Mal seit vielen Wochen war ein Ende dieses Schreckenswinters tatsächlich denkbar geworden. Es würde Frühling werden. Und so in etwa würde es dann.

In der Konditorei Müller-Langhardt wusste man sich leider nicht mehr spezifisch zu erinnern an jene Torte, die Helmut Kohl sich dort am liebsten bestellt hatte, obwohl in der Speisekarte noch Werbung mit der Naschlust des Altkanzlers getrieben wurde. Wir bestellten von daher zwei unterschiedliche Stücke, eins von der mit Stachelbeeren und Baiser, eins von der mit Haselnusssahne unter der Marzipanhaube – ganz klar: es konnte nur die letztere der beiden sein. Das schmeckt man, es funktioniert in etwa so wie beim Gläserrücken der Spiritisten, wenn man einen fraglichen Tortenfreund so lebendig vor Augen stehen hat, beinahe schon in 3D, wie ich unseren Altkanzler Dr. Helmut Kohl.

Im Mineralienmuseum, das allein die Reise wert ist nach Bonn, gab es einen Stein namens Jaspis, gefunden in Kandern, Baden-Württemberg, der sah einer schönen Leberwurst sehr ähnlich. Also einer bereits angeschnittenen. Mit rötlich frischem Kern. Die Pellenfarbe vom Typ Hausmacher. Man roch förmlich den Majoran. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein schöneres Mineral gesehen zu haben.

Und wiederum war draußen alles freundlich und unzerstört. Vor den Häusern der Burschenschaften hingen bunte Fahnen herunter und hinter geöffneten Fenstern gingen junge Männer mit turbanhaften Kopfverbänden umher und tranken aus Henkelbechern Kaffee. Nach einem brutalistischen Halbmeisterwerk aus den Achzigerjahren kamen wir am Haus der Tierzucht vorbei. Ein schönes Schild aus Bronze, die Versalien sauber herausgearbeitet. Circa 1956. Die Lust, nach Bad Godesberg überzusetzen, um sich die schlimmen Zustände dort vor Ort anzuschauen, von denen im Bonner Generalanzeiger im Café eben auch schon berichtet worden war, wurde davon nicht groß intensiviert. Vor dem Traditionslokal Zum Gequetschten (weil dort ein Kruzifix in einem steilen Winkel knapp über der Tür hängt, angeblich) standen einige Narren und Narralesen in ihren Kostümen und rauchten. Trotz tadellos sitzender Narrenkappen machten sie im Licht der scheidenden Sonne einen derangierten Eindruck. Aus dem Inneren des Gequetschten kam Stimmungsmusik.