5.7.

»Über das Verhältnis zum eigenen Körper und zu anderen menschlichen Körpern entwickelt sich die Beziehung jedes menschlichen Körpers zur übrigen Objektwelt und aus dieser die Sprechweise dieser Körper von sich, den Objekten, den Beziehungen zu den Objekten. In welcher Weise spricht die ‚faschistische Sprache‘ von solchen Verhältnissen und warum – das ist die Richtung, in die die Fragestellung entwickelt wird.« — Klaus Theweleit

Wenn es eine Tablette gäbe, ein Medikament, das den Prozessor der Wahrnehmung, also meine Seele, so verändern könnte, dass ich die Menschen so sehen dürfte wie Tiere, ich würde sie einnehmen. Ich finde beinahe alle Tiere schön und interessant und die meisten finde ich sogar niedlich. Menschen, vor allem die, die ich nur aus der Beobachtung kenne, machen mir einfach bloß Angst.

Für die Blässhühnerfamilie am gegenüberliegenden Ufer beginnt jetzt die Zeit der Vertreibung ihrer Küken aus dem Nest. Ich weiß nicht, wie man bei Wasservögeln das Äquivalent zum Flüggemachen nennt, aber es geht brutal vonstatten und in etwa so, wie es in einem Erziehungstipp aus dem Alten Testament heißt: »Sie bestreiche sich die Brust mit bitterer Salbe«. Das Gefieder der Blässhuhnjungen wirkt noch immer flaumig, staubgrau und an den Brüsten bis über den den ganzen Lauf der Halsvorderseite hinauf bis an die Unterseite der Schnäbel verläuft eine weiße Spur, die sich bei den erwachsenen Tieren emblemhaft auf jenen Tüpfel aus Tippex, der dann von der Schnabelspitze aus senkrecht bis auf das Schädeldach weisen wird, reduziert. Die Augenfarbe des Nachwuchses ist auch noch nicht rot, wie bei den geschlechtsreifen, sondern ebenfalls von einem gräulichen Braun.

Manchmal machen sie dumme Sachen. Beispielsweise steuert dann eines von ihnen zwischen die Schwimmkörper eines der Tretboote hinein, wo es ja nach vorneheraus keinen Ausweg gibt und ich frage mich, was es dort in dieser dunklen Sackgasse will. Bißchen aufdringlich auch, also sehr, dass dies kleine Geschwader während seiner Ausfahrten permanent Kontakt zueinander hält über Warnrufe, die sich für meine Sinnesorgane so anhören, als würde eine Radlaufglocke aus Glas betätigt (insofern es so etwas überhaupt gibt).

Es ist ein gefahrvolles Leben. Im Grunde genommen ist es ein Leben ohne Sinn, weil es, zumindest scheint mir das so, keine Pausen gibt. Das ist bei den Enten anders, die oft stundenlang schlafen; bei den Schwänen dito, weil die mir bei ihrem Umherfahren oft den Eindruck vermitteln können, sie täten das, um sich ihre Umgebung anzuschauen. Bei den Blässhühnern aber gibt es anscheinend ausschließlich Betriebsamkeit, ja geradezu Hektik. Wird das Nest nicht repariert, wird entweder gefickt, oder das Gefieder gerichtet, oder gegessen, oder erzogen. Wahrscheinlich liegt es daran, an deren Lebensführung, das mir die Blässhühner vor allen anderen Teichbewohnern so sympathisch sind.

Der Schwan, so schön und elegant er mir vorkommt, macht mir nicht den Anschein, als könnte er sich leer und verbraucht fühlen. Eventuell verspürt er instinktiv kurz vor dem Ende seines Lebens auch einen Impuls à la »Oh, okay that feeling – ich fahr mal besser dort rüber ins Schilf, denn meine ‚Pillen wirken bald‘«. Der Schwan kennt auch bloß den Anreiz seines Hungers und das Völlegefühl. Der Schwan weiß nicht, was ein Flugzeug ist, er nimmt lediglich bedrohliche Schatten aus dem Luftraum über sich wahr. Der Schwan kann nicht den größten Schatten aus dem Luftraum über sich in einer abstrakten Form, als Metapher auf sein Bauchgefühl übertragen, um sich selbst zu erklären, was mit ihm ist.