6.1.

Der Zeitpunkt könnte nicht günstiger gewählt werden: Seit gestern bedeckt eine zwar dünne, aber dennoch belastbare Schneedecke sämtliche Waagerechten in Prenzlauer Berg. Alle Vertikalen sind von den Plakaten des Institutes Elitepartner.de zugepflastert. Überwiegend in Leuchtkästen an den Haltestellen von Bussen und Straßenbahnen des ÖPNV der BVG, sowie konventionelle Bauzaunplakatierung, Billboards in den Stationen von U- und S-Bahn. Dazu kommt eine raffinierte Viralstrategie durch studentische Hilfskräfte, die Wildfremden in Bars und Restaurants von ihren megaguten Erfahrungen mit diesem Partnervermittlungsservice für gehobene Ansprüche berichten. Es gibt partout kein Entrinnen.

Die Botschaft lautet: Liebe! Aber bloß nicht für alle, sondern »für Akademiker und Singles mit Niveau«.

– Das hat noch gefehlt, leitet Wolfgang Schmidbauer seine Antwort ein, als ich ihn zur Blauen Stunde endlich ans Telefon kriege, aber klar: Jetzt, wo sie Weihnachten und Silvester hinter sich gebracht haben, schnellt gerade in den gebildeten Ständen die Trennungsrate hoch wie anderswo nur beim Hau den Lukas.

Hier wirken sich, so Schmidbauer, vor allem psychologische Gründe aus. Beziehungen unter Akademikern und generell unter Menschen ab einem gewissen Niveau sind naturgemäß fragiler als solche, die aus materiellen Zwängen heraus zustande gekommen sind. Intellektuelle tun sich ja gewohnheitsmäßig aus ideellen Gründen zusammen. Da soll es dann in der Beziehung vor allem um Gefühle gehen und um ein gemeinsam verbrachtes Leben als Projekt. Was diesen Beziehungen häufig fehlt, ist ein Gehäuse aus Sachzwängen, das die naturgemäß zum Individualismus strebenden Partner aneinanderdrängt. Schmidbauer nennt hier, mit einer Prise Salz zu verstehen: »in erster Linie das fehlende Geld«.

Zum Abschluß unseres in jeder Hinsicht erbaulichen Telefonats gibt mir der Autor des Klassikers Kassandras Schleier – Das Drama der hochbegabten Frau noch einen Nugget seines Beziehungswissens mit: »Eingeschneit und pleite, das Weihnachtsgeld für Geschenke, Böller, Fondue und enttäuschende Kurztrips verfeuert, den Harmonieterror der Weihnachtstage und die mehr symbolisch als irgendwie sonst anders zu deutende Eruption des Silvesterfestes mehr schlecht als recht überstanden habend, müssen Sie sich das Gros der gebildeten Bevölkerung momentan in einem inneren Belagerungszustand vorstellen. Die erleben derzeit ihr emotionales Stalingrad.«

Hierzu fällt mir, mit gemischten Gefühlen, ein Nachmittag bei der BZ mit meinem Lehrmeister Franz Josef Wagner ein. Wir bekamen damals durch seinen Stellvertreter Wolfram Schierenbeck eine Geschichte auf den Tisch, nach der ein Mann, seit Tagen schon tot, in einer Solokabine bei Beate Uhse am Bahnhof Zoo entdeckt worden war. Wagner hörte sich das an, griff nach den Zigaretten. Rauchte eine. Fünf Minute lang. Schweigend. Und diktierte dann die Schlagzeile für den kommenden Tag: DIESE VERDAMMTE EINSAMKEIT!

(Schierenbeck ab)

Der Ursupator greift, um in Schmidbauers Bild zu bleiben, von Hamburg aus zu. Elitepartner.de ist ein Spin-off der marktgängigen Plattform Parship.de, einem Matchmaker für jedermann. Hüben wie drüben regiert eine Trias aus alten Partnerschaftsvermittlungshasen die Geschäfte: Marc Schachtel, Chief Technology Officer, war zuvor bei Goodbeans und Platinion; Henning Rönneberg, Chief Operating Officer, hat bei Bertelsmann angefangen und ging danach zu Pixelpark und später Infineon; Tim Schiffers, Chief Executive Officer hat bei Bertelsmann gelernt, wurde dann bei Wundermann Direktmarketing engagiert und wechselte von dort aus zur adviqo AG. Parallel zu Parship.de und Elitepartner.de leitete er »über das letzte Jahr für Holtzbrink Digital verschiedene Optimierungs- und Strategieprojekte«. Kurz noch was zu den Privatpersonen: Herr Schachtel »ist begeisterter Vater einer Tochter. In seiner Freizeit bereitet er sich entweder gerade auf einen Konferenzvortrag vor oder plant die nächste Reise auf andere Kontinente«. Henning Rönneberg »ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner Freizeit geht er vor allem Outdoor-Sportarten wie Wind- oder Kitesurfen nach«. Tim Schiffers schließlich »ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner Freizeit sucht der gebürtige Bonner die sportliche Herausforderung beim Tennis, Laufen und Skifahren oder findet Entspannung in der modernen Kunst«.

Passend zu diesen volksnahen Lebensläufen finden sich auch die Werbemittel für Elitepartner.de gestaltet. Es gibt eine Vielzahl von Motiven, vorwiegend sind auf den Plakaten, Spuckis und Billboards aber Frauen zu sehen. Diese sind nicht nur ausnahmslos lang-, sondern auch glatthaarig. Eine trägt eine weit aufgeknöpfte Bluse mit Längsstreifen, darunter ein (quer) geringeltes Bikinioberteil. Der einzige Mann, den ich auf den etwa einhundertachtundziebzig Plakaten in meinem Viertel entdecken konnte, trägt seine Frisur und den Bart »im Stile seiner Ära« (Douglas Coupland). Seltsam, dass die abgebildeten Frauen dagegen irritierend zeitlos gestylt wurden.

Gemäß der Selbstauskunft des Unternehmens sind 54,3 Prozent der registrierten Mitglieder der Website weiblichen Geschlechts. In Personen: mehr als 2,1 Millionen. 68 Prozent aller Mitlieder können einen akademischen Background vorweisen. Seltsam finde ich da nur, dass dieser Dienst bei formulierter Anspruchshaltung dennoch funktioniert wie alle anderen auch: Profilbilder locken, dazu kommen Maße, sexuelle Vorlieben oder Wünsche, Körpergewicht, Wohnort et cetera. Werden die Akademiker und Singles mit Niveau tatsächlich ernst genommen? Warum gibt es überhaupt eine Notwendigkeit für Bilder, warum nicht bloß Texte? Wäre es nicht niveauvoller, wenn sich Akademiker und Singles mit Niveau vom Druck der Oberflächlichkeit lösen dürften; wenn sie sich sozusagen von Innen nach Außen ineinander verlieben müssten? Wäre das denn nicht wahrlich erst elitär?

Gut, klar, das ginge auf Kosten des Reibachs von Schachtel, Rönneberg und Schiffers.

Andererseits, aus intellektueller Perspektive: Was ist schon Geld. Was bedeutet denn letztendlich schnöder Profit – angesichts wahrer Liebe? Oder um Wolfgang Schmidbauer, den Doyen der Partnerpsychologie mit Niveau, beim Wort zu nehmen: »Intellektuelle tun sich gewohnheitsmäßig aus ideellen Gründen zusammen. Da soll es dann in der Beziehung vor allem um Gefühle gehen und um ein gemeinsam verbrachtes Leben als Projekt«.