6.10.2019

Langte in der Berlin-Dokumentation an einer unglaublichen Stelle an: Das Archivmaterial zeigt aus den Tagen nach dem 13. August einen schwarz glänzender Mercedes, der vom damaligen Sprecher als «Staatslimousine» bezeichnet wird, direkt an einem Abschnitt der innerstädtischen Grenze vorfahrend. Konrad Adenauer entsteigt dem Gefährt und geht auf die Soldaten zu, die hinter einer Wolke aus Stacheldraht mit noch mehr Stacheldraht beschäftigt sind. Bei ihnen ist ein Lieferwagen rückwärts an die Grenze herangefahren worden. Beide Ladeklappen sind geöffnet. Der Innenraum ist komplett ausgefüllt von aufeinandergestapelten Lautsprecherhörnern. Dem sich nähernden Bundeskanzler der BRD schallt daraus eine männliche Stimme entgegen, wie man sie sich allenfalls in einem Edgar-Wallace-Film vorstellt, wenn der Komissar die Geheime Kammer des Bösen entdeckt: «Guten Tag Herr Bundeskanzler!» und «Ja, wir haben uns die Freiheit genommen» und «Herr Adenauer» und so fort. Der Greis ist sichtlich völlig fassungslos angesichts, und auch von dem, was er hier an der vor aller Augen wachsenden Mauer zu hören bekommt. Noch während die Stimme schallt und höhnt und, das bleibt das Irritierendste daran: die Soldaten hinter dem Stacheldraht stumm herüberschauen, während als Quelle lediglich die enormen Lautsprecher auf der Ladefläche des Lieferwagens zu sehen sind, besteigt Adenauer seine Staatslimousine wieder, man schliesst den Schlag. Das hätte man uns im Geschichtsunterricht zeigen sollen.

Zumal es im folgenden, auch dazu gab es Material, zu einem veritablen Soundclash kommt an der Mauer. Die BRD fährt ein sogenanntes Studio am Stacheldraht auf, bestehend aus mehreren VW-Bussen, auf deren Dächern jeweils sechs Lautsprecher montiert sind. Die Bullys werden dicht an die Grenze gefahren und dann werden die auf der anderen Seite des Stacheldrahtes arbeitenden Soldaten akustisch terrorisiert. Man hört im Diktus von Stadionsprechern, wahrscheinlich waren es auch Stadionsprecher, die man engagiert hatte, hinüberschallende, konkret die jeweilige Arbeitssituation kommentierende Ansprachen à la «Hey, sie da! Sie, in der froschgrünen Uniform mit den silbernen Tressen!» und «Auch ihr Vorgesetzter versteht die Politik von Herrn Ulbricht nicht mehr». Muss ultranervig gewesen sein, wenn man gerade dabei war, das Tageszoll an Grabentiefe und Stacheldrahtlänge und Zugemauerten Fenstern zu erfüllen.

Die DDR wiederum reagiert darauf mit der Aufrichtung von zehn Meter hohen Stativen auf ihrer Seite entlang der Grenze, von deren Spitze aus die darauf befestigten Lautsprecher bis weit in den Westteil Berlins hineinschallten. Der Zeitzeuge spricht von einer Schallwirkung über die mobilen Studios am Stacheldraht hinweg von bis zu zwei Kilometern.

Der Soundclash währte wohl so lange, bis die über drei Meter hohe Mauer hochgezogen war. Die maximal provozierende Wirkung konnte die Lautbelästigung hüben wie drüben nur entfalten, wenn die Welt der Gegenseite dabei auch noch zu sehen war, aber des Stacheldrahtes wegen nicht zu belangen. Eine Schwarze Theorie des Musikvideos.

Gegengift, danach: Rozi Plain «What A Boost». Früh zu Bett.