7.10.

Ich weiß nicht mehr ganz genau, wer das zu mir gesagt hat, aber ich glaube, es war Jakob Grunert, der behauptet hatte, schreiben sei die anstrengendste Tätigkeit für ein Gehirn, weil da so viele Entscheidungen getroffen werden müssten. Gilt für das Wohnen aber auch.

Bald am Morgen musste ich feststellen, dass die Situation sich durch die Sturmschäden dergestalt entwickelt hatte, dass lediglich ein sogenannter Schienenersatzverkehr aufrecht erhalten wurde. Und selbst dieser war nicht zu gebrauchen, da von Potsdam her pumpenhaft beständig neue Menschenmassen auf den Bahnhofsvorplatz befördert wurden, die ihrer dringenden Angelegenheiten wegen in die Innenstadt gebracht zu werden – nun ja: dräuten, sich stauten, es begehrten? Und ich, ich dachte: Machst du halt das Beste aus deiner Lage hier im Nebendraußen und wohnst. Wohne! Das hast du ja schon lange nicht mehr getan.

Ein extremes Erlebnis. Das zudem noch verschärft wurde durch mein Liegenlassen des Ladekabels, sodass dem iPad alsbald schon der Bildschirm ausging (aus dem es hauptsächlich besteht), sodass nicht einmal mehr Fernsehen drin war. Was macht man da, als Fledermaus?

Lesen, als Tätigkeit an sich, kommt bei mir nur zweckgebunden vor. Wohnen darf aber nichts Zweckhaftes haben. Wohnen an sich hat frei zu sein von Anhaftungen des Zwecks. Selbst das Schmökern im Wohnklassiker Wohnen Dämmern Lügen versagte ich mir.

Bald fielen mich die Möbel an mit all ihrer Nutzbarkeit. Einfach bloß sitzen ist unheimlich. Auch durch die Schwierigkeit, dabei nicht über das Sitzen an sich zu sinnieren. Sinnieren auch. Also schwer aus dem ähnlichen Grund. Die Hölle hatte ich nach ungezählten Stunden dann erreicht, als ich über eine Veränderung meiner Wohnungseinrichtung nachdachte. Ich ertappte mich dabei. Teile meines Geistes hatten es sich also schon in einem Souterrain gemütlich gemacht, um dort sozusagen von mir ungestört eine Palastrevolution einzuleiten.

Die Wohnlichen, Roman.

Schreiben war mir aber ebenso verpönt wie das Lesen. Bald war ich satt, dann auch irgendwann ausgeschlafen. Ich schaute absichtsvoll aus dem Fenster, weil mir das absichtslose Schauen, von dem Peter Handke so schwärmen kann, nicht gelingen wollte. Vermutlich sogar durfte! Ja, ich war nun soweit, eine schlimme Absicht zu wittern hinter dem Wohnen. Ein Komplott. Twittern war aber auch verboten. Wohnen ist schlimm.

Die vietnamesische Betreiberin des kleinen Fachgeschäftes für Reisebedarf – Spätkauf ist für Wannsee zu vulgär; sogar »vulgo« nimmt hier beinahe niemand in den Mund – meinte zwar, dass sie noch ein Ladekabel auf Lager hätte, doch stellte sich das als Theorie heraus. Sie nannte es Chimäre.

Mir fiel das Bild von Martin Kippenberger ein, wo er als Gefesselter mit beiden Händen in der Plastikumverpackung eines Sixpacks steckt wie ein australischer Seevogel, bloß halt mit weißen Ladekabeln.

Malen, auch Zeichnen, Kritzeln sogar war aber auch verpönt, weil total unwohnlich. Ausmalen von Malbüchern hingegen total erlaubt. Ich hatte aber, unglücklicherweise, keines zu Hand. Und im Reiseladen waren sie ausverkauft.

Kurz hegte ich den dringenden Wunsch, mich unter die Gärtner zu mischen, die im strömenden Regen das Laub auf Haufen häuften. Bei mir drinnen war schon alles herrlich aufgeräumt. Absichtlich für Unordnung zu sorgen erschien mir albern. Vor allem des Sorgenden wegen.

Kaum jemand rief mich an. Als es endlich dunkel wurde, stellte sich die ersehnte Dämmrigkeit ein. Wohnen: ganz ausgezeichnet. Aber in Zukunft bitte ohne mich.