7.12.

Rehe in Landschaft mit Sonnenuntergang, gemalt von Anton Zwengauer: Vor diesem Bild blieb ich im ersten Nebenraum des Städel Museums lange stehen. Von weiter her hatten mich die im Spiegel des Sees dargestellten Farben des Sonnenuntergangs angezogen. Das Bild, die Farben vor allem, erinnerten mich an daheim. Gleich daneben hing der mir liebe Rosenfreund von Carl Spitzweg. Entstanden im selben Jahr wie Zwengauers Gemälde. 1848 war also ein gutes Jahr für die Malerei. Und so sehr ich das Städel Museum gut finde, mit der Bildbeschreibungstafel für den Rosenfreund war ich nicht einverstanden. Wer auch immer die verfasst haben mochte, es wird dem an einer Rose schnuppernden Wanderer dort Voyeurismus unterstellt! Das lässt sich, ganz eventuell und mit sozusagen erotomanem Willen in die Komposition hineinlesen (im, auf dem Original übrigens im Vergleich zu meiner Postkarte, noch einmal doppelt sinister verschatteten Garten, ist ja ganz weit hinten im Schatten eine Frau auszumachen, die sich, wenn man so will, von einer anderen Gestalt, könnte ein Mann sein, stützen, eventuell sogar umarmen lässt, während dahingegen im vom letzten, geradewegs im scheiden begriffenen Sonnenlichte, das den an diesem schatt’gen Grundstücke vorbeiführenden Pfad noch streift, der Rosenfreund, ein im übrigen, es ist ihm anzusehen, unbescholt’ner junger Mann mit einem Stapel Bücher in der linken Hand, die er im Rücken hält, um sich zu stützen, zum Zwecke dass er an die dort am Zaune zum schatt’gen Grund emporrankenden Rosen schnuppernd sich erquöcke), doch wozu?

Hat möglicherweise etwas mit der museumspädagogischen Haltung des Hauses zu tun, die Themenausstellung Geschlechterkampf, derentwegen wir auch gekommen waren und die nach diesen ersten, Altmeister wie Carl Spitzweg und Anton Zwengauer ausstellenden Räumen beginnen sollte, war jedenfalls ebenfalls auf der textlichen Ebene etwas boulevardesk geführt. Das Treppenhaus ist mit Zitaten aus Zeitschriften und Zeitungen tapeziert, die irgendwie zusammenhängen, weil es in den Textstellen jeweils irgendwie um Männer und Frauen geht bzw. ging. Man hätte also in dem Stile vermutlich sogar ganz Frankfurt, ja sogar die unter Journalisten beliebte Strecke vom Planeten Erde bis zum Trabanten Mond und wieder zurück tapezieren können; ein anderer Serviervorschlag bestünde darin, sämtliche Textstellen ohne Quellenangaben zu einem einzigen Text zu montieren und den als einen die Ausstellung begleitenden Essay abdrucken lassen.

Die gezeigten Bilder hingegen sind überwiegend interessant und oft auch sehr schön. Ich kannte Leo Putz auch gar nicht, vor dessen Gemälde Der Schneckenkampf mich erneut das Heimweh kurz ergriff. Die Zusammenstellung konzentriert sich auf die ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es gibt ein ganzes Kabinett mit den tollen Bildern von Franz von Stuck, den ich verehre. Unter anderem ist Die Sünde zu sehen, die ich zuvor noch nie im Original vor mir hatte. Die Materialität der Schlange, also wie das die Schlange im Zickzack überziehende matte Narbengewebe sich absetzt von der wie schleimig glänzenden Schuppenhaut (Victor Hugo stellte sich den Sternenhimmel als eine Schlange vor, von Sternen geschuppt, die nächtens ihren Leib um unsere Erde enger zieht wie um ein Ei) und dann noch einmal mit demselben Pinsel gemalt: vom winzigen, dafür umso kostbarer funkelnden Aug‘. Und wie das Gesicht der Sünde dort im Dunkeln glüht!!! Und es gibt das Bild eines Künstlers namens John Collier, Porträt der Klytämnestra kurz nach dem Zerhacken Agamemnons. Collier, der Engländer war, malt die Frau mit Doppelbeil (angeblich ja ein Symbol für sapphische Präferenzen?) wie nach den neuesten Erkenntnissen der Profiler mit hängenden Schultern (angeblich macht das Töten ja angenehm müde, vergleichbar mit dem Verlangen nach einem Chillout nach dem Rave), das Blut sickert zwischen grandios gemalten Marmorfliesen in einen Spalt, aber besonders sind vor allem Licht und Farben: Das Bild sieht aus wie ein Standbild aus Ben Hur, also von der Farbigkeit her, aber gab es denn da überhaupt schon farbigen Film? Irritierend jedenfalls. Aber auf eine sehr gute Weise. Man schaut es immer wieder und das gerne an. Auch von weitem noch. Durch die Flucht der Räume. Wie um Abschied zu nehmen. Weil es ja dort hängen bleiben muss.

Museumsshop größer als das Museum selbst. So ist sie halt, die Zukunft. Es hätte schlimmer kommen können für die Kunst. Passend zur Ausstellung gibt es Geschlechterkampftee. Riecht schon durch die Tüte irgendwie oll. Am Kaffeetresen empfiehlt uns der freundliche Barista ein Buch. Ohne dass wir uns ihm vorgestellt hätten. Le Corbusiers Sustainable Cabin im Birkhäuser Verlag. Sehr schönes Buch. Über Hütten für zwei, die man an schönen Orten aufstellen kann. Könnte. Wie kommt er darauf? Draußen ist der Nebel mittlerweile von den dreißigsten Stockwerken auf die zwölften herabgesunken. Man weiß schon beinahe nicht mehr, in welcher deutschen Großstadt man sich gerade befindet. Jemand hat den Platanen ein Leid getan. Und zwar allen dasselbe.