7.5.2019

Il fumo uccide: selbst die Abschreckbildchen auf den Zigarettenschachteln hier sind während langwieriger Prozesse durchdacht worden, die Motive präzise ausgewählt. In der Schweiz, das vermittelt auch dieses Gefühl von Sicherheit, passiert nichts «einfach so».

Zum Mittag war Ingo zu Gast, gerade erst zurück aus der Südsee von einer Insel, wo die Eingeborenen wohl sämtlich blondhaarig sind. Er war dort auf einem Schiff unterwegs mit Mara J. Hardt, deren Buch «Sex and the Sea» ich einst mit Genuss gelesen habe. Und Ingo erzählte mir, dass sie wohl Tränen geweint hat, weil die Unterwasserwelt dort bei dem Archipel noch so intakt war, wie sie es vor den Küsten vor Kalifornien und Australien, wo sie als Meeresbiologin normalerweise taucht, nicht mehr kennt.

Wir sassen vor dem kleinen Metzgerimbiss in der Langstrasse, den ich liebe und assen Zerzupftes von der Ziege (Ingo) und Pseudojapanische Rippli (ich). Die Sonne schien, die Leute waren gut drauf. Ich noch immer ein bisschen traurig, weil ich am Vorabend ausgerechnet hatte, dass ich bloss noch zehn Tage hierbleiben darf.

In dem Gespräch mit Heinz Bude, das Ende Mai in 032c erscheint, erklärt er mir seinen Solidaritätsbegriff mit einer Formel: «Was brauchst Du?» Also nicht: Was hättest Du gerne, oder Was willst Du, oder Was stellst Du dir vor? Und genau dieser Satz fiel dann in meiner Sitzung, nachdem Ingo wieder heimwärts gefahren war nach Basel. Es sass dort vor uns eine Künstlerin, die mit der Anfertigung von Collagen beauftragt werden sollte. Und nachdem ihr alles erklärt ward und sie ihr Einverständnis bekanntgegeben hatte, frage Beda «Wieviel Geld brauchst Du?» Die Auskunft ihrerseits wurde anstandslos akzeptiert. Denn es ist hier immer und von vorneherein klar, dass die Wahrheit gesagt wird.

Ich glorifiziere nichts. Und wie Phillip, bei dem ich vor zwei Wochen, die mir mittlerweile vorkommen wie ewige Zeiten, vor meiner Abreise noch auf dem Balkon sass und er sagte «Joachim, wir dürfen uns da nichts vormachen, weil selbst in der Schweiz hinter den Kulissen wahrscheinlich schreckliche Dinge geschehen», glaube ich auch nicht, dass hier alles viel besser ist; aber immerhin um so viel, dass ich als Deutscher doch extrem viel darüber nachdenke (eigentlich von Morgens bis Abends), warum das mit Deutschland nach dem Weltkrieg, nach Kohl vor alledem: so schief gehen musste. Als ich mit Ayako im Auto von Küsnacht nach Bellevue sass, hat sie mich gefragt «What in the world happened to you? Germany used to be our idol. You were ahead of us in every field. Now you seem to disappear completely. Why canˋt you put a lid on what happened while nazi-regime?»

Ich hatte keine Antwort, fand keine. Ich war embarassed, aber Ayako lachte mir zu via Rückspiegel, um meinen face loss aufzufangen. Mein Grossvater, lange tot, war Nazi. Ich kann mich nur aus seinen Schwarzweissfotos an seinen Krieg erinnern. Und aus Büchern. Aus Schriften. Aber jetzt sollen wir das bauhaus-Jahr feiern. Ich sehe aber keine Bauten in dieser Tradition mehr in Berlin. Was ich sehe an Neubauten ist die allerbilligste, im Grunde die Seele wie auch den Geist beleidigendtste Billigarchitektur aus den Computern. Auch, und das macht es besonders schlimm: in den Neubauten der Regierungsarchitektur. Wohingegen hier in Zürich zumindest die öffentlichen Gebäude wenigstens formschön und nicht wehtuend aus Beton und Aluminium hochgezogen werden. Zusätzlich ausgesucht bepflanzt und um all das macht man hier keinen Trubel. Man tut halt so, als ob das alles selbstverständlich ist. Und jede Nachfrage bezüglich des Luxus der vielen Mülleimer aus Chromstahl, ohne dümmliche Slogans der Stadtreinigung; jede Nachfrage bezüglich der erstklassigen Qualität eines Falafelsandwiches oder der Geschwindigkeit, mit der ein Kartenlesegerät eine Buchung vornimmt, wird mit Bescheidenheit zu sich genommen.

Es gibt kaum noch etwas, das mich zurück nach Deutschland ziehen kann. Gut, eine Behausung in meiner Heimatsphäre im Strohgäu wäre nicht schlecht. Ansonsten waren diese Wochen hier in Zürich unter vielem anderen zu einem gut: Ich will Deutschland jetzt endlich verlassen. Ich glaube nicht, dass in einer Regierung nach Angela Merkel sich irgendetwas noch zum Besseren ändern kann. Die ganze Hoffnung, die ich all die vielen Jahre immer wieder hegen, manchmal auch anheizen konnte, dass aus dieser Nation noch einmal etwas werden könnte, ist mir perdu gegangen.

Ich habe seinerzeit Faserland nicht gelesen. Aber heute scheint mir dieser Satz daraus immer bedeutender: «Deutschland, die grosse Maschine, die sich selbst herstellt.»

Manchmal hilft einem die Schweizerische Präzision auch dabei, sich mit der hier sogenannten Sachlage auseinanderzusetzen.