7.8.2019

Heute früh sass im Badezimmer ein Grashüpfer an der Wand (für ihn ist das normal, an einer Senkrechten zu ruhen). Wie kommt der da hin?  In den dritten Stock? Während ich duschte, zog er sich auf eine höher gelegene Stelle (noch immer in der von mir aus gesehen Senkrechten) zurück; womöglich ist er / sind die dazu auch noch wasserscheu.

Friederike hat ja einen Vorteil: Sie kann zu ihren Einträgen bei Bedarf noch Fotos veröffentlichen; wir* hatten uns einst—wieviele Jahre ist das «jetzt» her: 4 oder fünf?, darauf geeinigt, allein mit Schriftzeichen auskommen zu wollen. Und sind, kurioserweise (gleich was kam), dabei geblieben. 

So fragte ich mich gestern erst wieder: Wie könnte ich meine Texte noch bildlicher machen?

Da fiel mir glatt ein: Sound. Denn Friederike hat zwar Bilder, aber sie postet (noch) keine Klänge. Also gab ich, und zwar «einfach so» in das Eingabefeld bei Apple Music ein: «Cheri Lady». Ich kam, ehrlich gesagt (wie Dr. Dr. Rainer Erlinger sagen würde, meint niemand, der «ehrlich gesagt» sagt, etwas ehrlich), noch nicht einmal über das Eintippen des Kunstwortes «Cheri» hinaus, da zeigte mir der Browser des iPadPros schon 37 Versionen des grässlichen Liedes an.

Dieter Bohlen, man muss seinen Namen jetzt zumindest deswegen nennen, um auf russischen Websites erwähnt zu werden, hat es in der BRD binnen dreissig Jahren zu einer gar nicht mal erstaunlichen Berühmtheit gebracht. Denn so ist Deutschland ja wirklich: Wie Dieter Bohlen, wie Tegernsee und Sylt, wie Axel Springer, wie FC Bayern und, wenn es um die Zukunftsbegeisterung für das Jahr 2000 geht: wie Elektroroller. 

Um es Friederike, die ja immerhin zweitausend Jahre jünger ist als ich vom Geburtsdatum her, schwerer zu machen, hörte ich mir also sämtliche Versionen von Cheri, Cheri Lady (die Wiederholung scheint wichtig) kritisch an, um dabei unter anderem auch herauszufinden, warum ich eigentlich jeden Monat knapp zehn Euro an die High-Design-Firma Apple für Musikstreaming bezahle, bloss um dann in deren Hochglanz-Service zig angeblich unterschiedliche Versionen von Kompositionen von Dieter Bohlen zu finden.

Es handelt sich ja nicht um Interpretationen. Es gibt keine einzige Coverversion—vom Rapper Capital Bra abgesehen, der vermutlich von Ulla Popken gesponsert wird.

1. Die Originalversion, vom Album «Let’s Talk About Love», wurde noch vom Originalsänger der «Band», Thomas Anders, eingesungen. Damals, im Jahr 1985, war das mittlerweile stilprägende Computerprogramm «Autotune» nicht erfunden. Oder wie es der inzwischen leider verstorbene #Frank Schirrmacher ausgedrückt hätte: Es war das unerfundenste Programm. Plus: Es gab noch nicht einmal Internet.

2. Die «Special Version» aus dem darauffolgenden Jahr 1986, da schon mit Verweis auf die Plazierung in den Charts von «Formel Eins», zeigt auf dem Cover sowohl den Komponisten Bohlen, wie auch den Sänger Anders. Beide mit leuchtenden Zähnen, obwohl Photoshop™️ damals noch nicht erfunden war. Es handelt sich offenbar um klassische Retusche.

3. Noch im Vorjahr erschien eine «Remastered Version», die aber für mein Empfinden einzig im von Bohlen sogenannten «Intro» einen Dopplereffekt hat, bevor dann der «Bohlen-Akkord» (vgl. Tristan) erklingt. 

[Um hier den Hi-Fi-Freaks das Wort aus dem Munde zu nehmen: Ich höre MP3 über WiFi via eines Picknicklautsprechers von B&O.]

4. Bei der «New Version» aus dem Jahr 1989 immerhin, das ja historisch geworden ist, weil ich da mein Abitur, wie es heisst: ablegen durfte, scheint der Bohlen-Akkord in ein Arpeggio aufgelöst, das, für heutige Ohren verwirrend, auf Panflöten geblasen wird. Denen sei über den Flötenklang hinweg zugerufen, dass neben Richard Clayderman auch der Rumäne Gheorghe Zamphir die legendär gewordenen achtziger Jahre dominiert hat in den Charts (die damals noch «Hitparade» hiessen.) Für Wolfgang Herrndorf war es vermutlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, mit welchem Spiesser-Sound er seinen Text bestückt.

5. Im selben Jahr, dem der Niederschrift von «Tschick» jedenfalls, veröffentlicht Dieter Bohlen, da längst von der Bildzeitung «Bild» zum «Pop-Titan» aufs Schild gehoben, eine von ihm sogenannte «New Version», die, anstatt des anfänglichen Panflötenintros nichts Neues aufweisen kann ausser einem, nun ja: Geräusch. Das machten allerhand Musikproduzenten in dieser Dekade genau so, von daher ist Bohlen da schon wieder nichts vorzuwerfen.

6. Dass «bildungsfernen Schichten», ja: dass geistig Behinderten und anderswie sozial Benachteiligten nicht bloss in der BRD, sondern auf der ganzen Welt

 

*Waahr [https://de.m.wikipedia.org/wiki/Anne_Waak]

PS Interessanterweise unterscheidet sich die «Full Length Version» bei «Common People» von Pulp von der bekannt Gewordenen dadurch, dass dort ein ganzer Paragraph in der Strophe gestrichen ward; in der es, bekanntlich, um ein Leben in der Unterschicht ging. Da hat sich mittlerweile an den sogenannten Verhältnissen so einiges verändert, wie es sich plakativ beispielsweise an der folgenden Selbsteinschätzung («philosophy») einer Eisdiele herauslesen lässt: «We’re Ice & Vice, an experimental ice cream shop based in New York City. Handcrafting our ice cream, sorbet and frozen yogurt in small, customized batches, we push the boundaries of what frozen desserts can be. Always edgy and always ultra-premium, we serve up quality and vice with every scoop.»