8.1.

»Ich kann sicher nicht mit meiner
Muse schlafen, ob -
wohl ich gerne wür -
de, aber ´ch
trau‘ mich ni-hicht«,

wie findest Du das?

Ja – sagt Lorenz und lässt den Glanz in seinen Augen zuerst aus, dann wieder an, und wieder ausgehen. Um nach einer Weile hinzuzufügen »Gibt’s halt schon, oder?«

– Wie, wo denn?!?

– Na hier.

– Tatsächlich. Das ist aber schon gut! Die Gitarre vor allem –

Dann lange nichts

– Ich mag ja Lieder, in denen die Bridge besser ist als der Refrain.

– Ja, aber hier: Schau, da spuckt er auf die Straße.

– Fußgängerzone.

– Egal. Soll man nicht.

– Stimmt, wegen Verrat am humanistischen Menschenbild. Aber die Gitarre ist echt  r i c h t i g  gut. Das könnte das neue 10:15 Saturday Night werden.

– Ist es schon, glaube ich.

– Der Refrain gefällt mir jetzt auch. Allein schon wegen Tante Psychedelica!

– Die schreibt ja Joachim Lottmann.

– Die Texte?

– Die Drehbücher auch. Lottmann kommt ja ursprünglich vom Film. Ein Filmer. Das andere Lied ist aber nicht so gut. Bis auf diese letzte Einstellung eben, in der die nackten Knie von Ronja von Rönne aus der Donau ragen und der Sänger macht dann so einen müden Hechtsprung mitten zwischen diese Knie. Also müde, aber entschlossen.

– Ah ja? Das klingt aber überhaupt gar nicht nach Lottmann. Der arbeitet doch gerade an seinem Alterswerk. Hotel Sylvia, großartig! Da geht es um diese mädchenhafte Terrorfrau, die schon im Geldkomplex das Beste überhaupt ist. Die immer betrunken sein muss, damit er sie ausziehen darf und die ihm dann ins Ohr flüstert, dass er aber ganz leise sein muß, weil sonst ihr Vater – und dann schreit sie selbst ganz laut die ganze Zeit. Das klingt jetzt kitschig, aber Lottmann macht das eben gut. Der schreibt ja in dem Text auch in jeden Satz stumpf das Wort Alterswerk rein und man überliest das. Man kriegt es nach ein paar Seiten gar nicht mehr mit, aber ich habe mir dann Anstreichungen gemacht und das Wort kommt tatsächlich mehr als vierhundert Mal drin vor. Auf 180 Seiten oder so. Darin, aber eben nur darin, unterscheidet sich Joachim Lottmann auch von Martin Walser: Er altert nicht in seinen Texten. Das will ich übrigens auch nicht. Auf gar keinen Fall!

– Vermutlich handelt es sich bei dieser Frau um Juno Meinecke.

– Vielleicht. Wobei ich das inzwischen öde finde, dieses Herausfindenwollen, wer da nun für wen steht. Oder stehen könnte. Darum geht es doch auch in diesem Lied, da hat Lottmann sich doch ganz klar positioniert, wenn er ihn in diesem echt guten Bridge-Teil singen läßt: Wenn jemand fragt, wofür du stehst und so weiter.

– Das hat Rainald Goetz zitiert. Zum Abschluss seiner Büchnerpreisrede.

– War mir damals gar nicht so klar, weil ich das Lied da noch nicht kannte. Aber das bekommt jetzt für mich eine Riesenbedeutung, denn das entspricht ja einer Riesenhandreichung von Rainald Goetz an Joachim Lottmann. Damit geht eine jahrhundertelange Erzfeindschaft zu Ende. Begraben und vergessen.

– Es ging um das geheime Wort. Lottmann schrieb es in den Liedtext hinein – du hast ja schon recht, dass die Bridge auffällig andersartig gut ist als der Rest. Damit konnte und wollte Lottmann Rainald Goetz auf seine Botschaft hinweisen, die eben in diesem geheimen Wort besteht, demnach das ganze falsche Wesen fortzufliegen hatte. Dass Rainald Goetz nun dieses geheime Wort als Pointe seiner Büchnerpreisrede nennt, muss für Joachim Lottmann eine Riesenerleichterung nach Jahrzehnten der Schande bedeutet haben. Dazu musst du freilich wissen, dass Joachim Lottmann ganz ursprünglich, also noch vor der Filmerei, von der Malerei herkam. Er war ja Maler, Lottmann. Martin Kippenberger beschäftigte ihn als Studioleiter, die Kanarienvogelserie beispielsweise: alles Lottmann. Ich kann mich da noch gut daran erinnern, das war noch vor der Entdeckung des Meinecke-Strudels – und auch nicht in Frankfurt, sondern in Köln – da war es insbesondere Joachim Lottmann, der als das eine Talent gehandelt wurde, mit dem in der deutschen Malerei zu rechnen sein würde. Sogar noch vor Gerhard Richter und Andreas Schulze. Aber dann kam es, wie es leider noch sehr oft kommen sollte in der Karriere Joachim Lottmanns, dass er sich auf fatale Weise mit Martin Kippenberger überwarf. Um die Preise für die Gemälde Kippenbergers hochzutreiben, die kosteten ja damals noch so gut wie gar nix, hatte Joachim Lottmann sowohl dem Spiegel als auch der Quick jeweils extrem ausführliche journalistische Portraits des sagenumwobenen Malers angeboten. In enger Absprache mit Martin Kippenberger selbst hatte Lottmann diese Portraits dergestalt verfasst, dass der Text im Spiegel zu einer einzigen und beinahe unerträglich guten Lobeshymne würde, der in der Quick hingegen ein ultrabösartiger Verriss auf zwanzig Seiten. Das konnte aber auf der medialen Metaebene nur zünden, wenn beide Texte in derselben Woche gedruckt würden. Tja, und da passierte dann das Malheur. Die Quick brachte die extrem geschäftsschädigende Horrorstory natürlich, beim Spiegel aber stimmte die Redaktion gegen die Veröffentlichung. Kippenberger brach noch in derselben Woche mit Lottmann. Sein Einfluss auf die Kölner Gesellschaft war damals bereits gigantisch, sodass Joachim Lottmann schließlich umziehen musste. Er verließ die Stadt. Seitdem ist er auf der Flucht.

– Da hat Adorno Recht, wenn er in Hinter den Spiegel schreibt, dass der Schriftsteller letztendlich nicht einmal mehr in seinen Texten zu Hause sein darf. Vermutlich war es also diese Vertreibung aus Köln und letztendlich auch aus der Malerei, die Joachim Lottmann ins Schreiben endgültig hineingejagt hat. Und jetzt gibt es ja schon wieder Probleme, denn sein Alterswerk Hotel Sylvia sollte ja bei seinem neuen Verlag erscheinen. Und der heißt ja unglücklicherweise Haffmanns & Tolkemitt.

– Tja.

– Vermutlich wird Rainald Goetz ihn bei Suhrkamp unterbringen. Woraus besteht eigentlich dieser Meinecke-Strudel?

– Der Meinecke-Strudel entsteht in Frankfurt während der Buchmesse. Sobald Thomas Meinecke am Stand des Suhrkampverlages erscheint, wird er von Studentinnen der Kulturwissenschaften umringt. Da Meinecke selbst bereits eine gewisse Leibesfülle mit sich bringt, entsteht durch die zusätzliche und zunehmende Umringung in jedem Jahr ein Strudel, der das Betreten des Suhrkampstandes oft über viele Stunden unmöglich macht. Das ist der Meinecke-Strudel. Jedenfalls habe ich ihn einmal so genannt. Und seitdem heißt dieses Phänomen so.

– Okay. Ich sehe übrigens gerade: Histiophryne psychedelica wurde vor gerade mal sieben Jahren erst entdeckt!!!