8.10.

Nach Müllabfuhr und Tanklastwagen war an Ereignissen für den Rest der Woche nichts weiter zu erwarten. Angeblich. Im Sommer, so malte ich mir aus, träfen jetzt zu heute Mittag, an heißen Abenden schon gestern, gleich nach dem Feierabend und dem Stau, die Wochenendbewohner ein. Dann, so unwahrscheinlich das gerade schien, würde die Kolonie belebt. Gestern aber, bei nächtlicher Vorbeifahrt am hiesigen Gasthof, der sage und schreibe Zum Gemütlichen Waldhasen genannt’: nicht ein Kopf zu sehen gewesen im erleuchteten Gastraum hinter den Scheiben. Die neben dem Haupthaus aufgebaute Pyramide aus imprägniertem Zeltstoff mit Folienfenstern: dunkel und wahrscheinlich leer. Unwirtlich das Ganze, wie vermutlich selbst Frau Monika König, die Wirtin des Gemütlichen Waldhasens mit Sicherheit und das nicht nur insgeheim fand. Der Geschichte des Hauses haftet ein Ruch der Dissidenz an, wie es heißt. In den letzten Jahrzehnten des DDR-Regimes war den Betreibern die Konzession entzogen und dauerhaft vorenthalten worden. Aus welchem Grund und wie genau, dazu hätte ich unter anderen, wirtlichen halt, Umständen gerne Frau König befragt.

Was Jan Wiele in der Zeitung über den Roman des Bundespräsidenten schreibt, klingt auch fürchterlich. In etwa so wie der Roman von David Szalay, den James Wood im New Yorker bespricht. Allerdings hat Szalay nicht vor, Bundespräsident zu werden. James Wood hat von keinerlei politischen Ambitionen des Schriftstellers zu berichten, außer halt literarischen, und die sind ihm, Wood, zu ambitioniert. Andauernd vergleicht er ihn mit dem Norweger Knausgård, mit Michel Houellebecq und mit Christian Kracht, wohl um die europäisch avantgardistische Erzählhaltung des Briten David Szalays, der halber Ungar zu sein scheint, herauszustellen. Was allerdings Avantgarde ist an seinem Text, dazu führt James Wood nur Stellen mit nicht befriedigendender Aussagekraft an, sodass ich leider, vor allem seitdem ich Woodsens eigenes Werk über die Kunst des Erzählens gelesen habe, das mir mal von Henning in bester Absicht ausgeliehen wurde, davon ausgehen muss oder sollte, dass es sich mit der einen Stelle auch schon hat, in der zwei Jungs in ein Konzert gehen, das Eintreten und Platznehmen im Konzertsaal wird wohl noch beschrieben, aber dann blättert der Leser, also James Wood in dem Fall, um, und dann steht da auf der Mitte einer leeren Seite bloß der eine Satz »The Music.«. Genaugenommen also nicht einmal ein Satz, weil ja das Verbum Punkt. Möglicherweise steht dieser aus avantgardistischen Gründen unvollständige Satz sogar aus Gründen des verbesserten grafischen Schockmoments auf einer leeren Doppelseite.

Egal. Als ich träumte, der neue Roman von Christian Kracht bestünde aus lauter unbedruckten Seiten, war das ja auch nur ein Traum. Wobei nur: Claudius Seidl schrieb in der Sonntagszeitung anlässlich eines Bildbandes zur Geschichte des Studios von Walt Disney: »Mir hat geträumt, sagt man im Süden, wo man noch weiß, dass sich der Träumer nicht als Autor seines Traums empfindet«. Und damit hat der Kritiker mit vergifteter Herzensgüte über einen angeblich noch existenten Süden sprechend, klar gemacht, dass es den so flauschigen wie verlogenen Dualismus nicht mehr gibt. Flauschig und in dem Sinne rettend war die dazugehörige Abbildung einer Herrenrunde an Zeichenpulten, rings um einen Teppich gruppiert, auf dem ein Haufen Heu lag und zum Zipfel vorne links unterwegs: ein Reh. Genau vor dem Pult desjenigen Zeichners für Walt Disney in spe innehaltend also, dem vom Zeichenlehrer gerade etwas beigebracht wurde. Es lässt sich leider nicht einmal unter der Lupe erkennen, was. Der Druck der Fotografie ist zu grob aufgerastert.

Hier könnte ich jetzt überleiten von der Herrenrunde bei Walt Disney, die ein weibliches Reh in eine Ikone des Zeichentricks namens Bambi zu transformieren lernen, über Navid Kermani und Ursula von der Leyen hin zur Sedisvakanz beim Amt des deutschen Bundespräsidenten und einer avantgardistischen Änderung im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Artikel 54 ff. hinsichtlich, warum das unbedingt ein Mann sein muss, der sich wählen lassen kann, beziehungsweise, weshalb Frauen per Grundgesetz davon ausgeschlossen werden, Bundespräsidenten zu werden, tue das aber nicht.