8.11.2020

Ein unerwartet wundervoller Ausflug hat uns gestern weit weg in die Weinberge geführt, wo die belaubte Natur in ihren letzten Zügen lag. Farbenprächtig wie in jedem Jahr, und wie ich es trotzdem immer wieder vergesse. Auf einer schattigen Wiese, die steil bergan führte, war das Ebenbild eines Römerpokals aufgestellt — stark vergrößert allerdings, so hoch wie ich —, um auf die Weinspezialitäten der Gegend hinzuweisen. Im Grunde befanden wir uns da schon auf Baden-Württemberger Terrain. Schon schade, dass kein Besen offen war, man nirgends den neuen Wein verkosten durfte, kein Zwiebelkuchen. Der Winzerort selbst war menschenleer, bis auf eine Katze, die himmelblaue Augen hatte und ein seidig flauschiges Fell, das warm wirkte und duftig, wie frisch geföhnt. Die bot sich unserem Streicheln dar und wälzte sich bald auf dem Trottoir herum, aber da waren wir längst aus einer Dreiergruppe von Einwohnern heraus angesprochen worden; vielsagend mit der Feststellung, dass solche Katzen leicht geraubt werden können, weil sie zu sehr zutraulich sind. Aber auch die wenigen Menschen, denen wir auf unserem Weg durch die Rebreihen begegnet waren, zeigten sich blickscheu und wichen wie ängstlich aus. Das gehört jetzt zu unserer Zeit wie in dem Buch aus dem Jahr 1947, dem Tagebuch vom Leben und Überleben, das ich heute noch einmal wieder gelesen habe, dieses Misstrauen vor den Nachbarn und vor allem vor Fremden, weil man von jedem befürchtete, dass der einem die Lebensmittel klaut, zur Nachkriegszeit gehört hat. Ich kann mir mittlerweile schon nicht mehr vorstellen, dass ich jemals wieder die Gesellschaft von anderen unserer Zweiseligkeit vorziehen werde.

Als ich heute morgen von Weihnachten gelesen habe, dachte ich an die Schatten auf der Straße, unter denen Eis gedeiht, während auf den sonnenwarmen Stellen schon alles verdunstet ist, und wie es riecht, wenn man bei solchen Temperaturen an seinem Fäustling aus Wolle riecht.

Seltsam, dass es dich zu etwas drängt, was keiner braucht, schreibt Lenz.