8.9.

Seit längerem folge ich dem Hasen Puku auf Twitter. Natürlich ist es nicht der Hase selbst, der da twittert, der Account mit dem Handle @33jd2 wird von seiner Besitzerin gefüttert. Der Feed besteht aus mehr als 1000 Fotos und Collagen, die das Heranwachsen des Hasen Puku dokumentieren. Es handelt sich um ein orangebraunes Exemplar der Rasse Farbenzwerg, eine neben dem Zwergwidder in Japan extrem beliebte Rasse. Der Kopf dieser Zwerghasen bleibt auch nach dem Erreichen der Geschlechtsreife babyhaft rund, die Ohren erscheinen beinahe katzenhaft kurz, das Fell ist dicht und es glänzt seidig. Die verkürzten Läufe sorgen dafür, dass der Farbenzwerg oft in einer aufmerksam wirkenden Habachtstellung zu beobachten ist.

In Japan gibt es viele solcher Hasenaccounts. Die schönsten werden von den sogenannten Hasencafés betrieben, also öffentlich zugänglichen Cafés, in denen die Besucher bei den üblichen Snacks und Getränken mit den ebenfalls dort angebotenen Hasen etwas quality time verbringen können. Es gibt auch Katzencafés, Igelcafés, Eulencafés et cetera. Aber der Hase scheint in der Ikonographie dort eine zentrale Bedeutung inne zu haben. Was vermutlich auch damit zu tun hat, dass es in einigen asiatischen Kulturen eine Häsin ist, die auf dem Mond lebt, um dort in einem Stampfmörser den Teig für Reisküchlein herzustellen (Tsuki no Usagi). Von hier aus glaubt man ja bekanntlich, in den Kraterschatten auf der Mondoberfläche einen Mann zu sehen (Mann im Mond).

Puku kam am 20. September 2014 zur Welt. Seine spätere Besitzerin eröffnete den Account in jenem Herbst und dokumentierte zunächst ihre Besuche in diversen Hasencafés Tokios. Die ersten Postings bestehen aus den Portraits der verschiedenen Hasen, mit denen sie auf ihren Streifzügen durch die Szene Bekanntschaft macht. In dieser Zeit unterhält sie auch noch einen Account bei Instagram, der aber mittlerweile geschlossen wurde. Den Hasen, den sie später Puku nennen würde, entdeckt sie am 26. Dezember 2014 in einem Hasencafé in Shimokitazawa. Am 27. postet sie ein eigens neu gekauften Hasennachthemd mit roter Samtschleife. Hier wird auch erstmals der Name Puku enthüllt. Am 3. Januar 2015 schließlich zeigt sie eine Reihe extrem niedlicher Aufnahmen des noch sehr babyhaft wirkenden Farbenzwergs mit dem bierblonden Fell: »Puku kommt zu mir nach Hause!«

In diesem Tweet ist auch erstmals von »geschwollenen Brustwarzen« die Rede, aber dabei wird es sich um einen Fehler der Übersetzungsfunktion bei Twitter handeln, die von Bling angeboten wird.

In den folgenden Monaten wird das Zusammenleben mit Puku auf die ansprechendste Weise dokumentiert: Puku bezieht einen für Tokioter Wohnverhältnisse extrem geräumigen Käfig, in dem sich neben einem hasenförmigen Schlafhaus aus geflochtenem Heu (das er in Folge noch zwei bis dreimal komplett zerlegen und aufessen wird), einem möhrenförmigen Knabberstift und einem Spiegel auch eine Hasentoilette befindet. Vergleichbar mit Katzen können Haushasen durchaus zu Stubenreinheit erzogen werden. Puku wiegt bei seinem Einzug 475 Gramm.

Am 7. Januar wird eine Aufnahme gepostet, die den Kopf Pukus mit den ordentlich aneinandergelegten Ohren in der Draufsicht zeigt. Entzückt stellt seine Besitzerin fest, dass diese Ohren sie an Hummerscheren erinnern. Am 12. Januar erscheint der Stammbaum, auf dem Mama Puku und Papa Puku abgebildet sind. Hier wird nun auch zum ersten Mal das Geschlecht des Hasen bekannt gegeben. Es ist, so schreibt die Besitzerin: »ein Junge«. Von nun an gibt es reichlich feminization play: Puku im Ballettröckchen aus gelbem Tüll, Puku im Jeanskleid, Puku mit rosa Schleife um die Ohren, Puku an der Leine im Park, Puku vor dem Spiegel et cetera. Über die nöchsten Monate wird Puku auch immer wieder gewogen und seine Besitzerin freut sich (»geschwollene Brustwarzen«) sehr über seine stete Gewichtszunahme. Mittlerweile hat sie mehr als 2000 Follower. Und Puku wiegt 750 Gramm.

Im Frühsommer wurde noch Pukus erster Pfirsich dokumentiert, ein meganiedliches Bild, auf dem ihr die delikat geformte Scheibe in einem blitzblanken Porzellanschälchen serviert wurde, sowie, beinahe mein absoluter Liebling: Puku und die Hortensie — (Abb.: 15 Emojis »Eyes Full of Love«). Dann aber kam es zu einer, wie @dickebuerste53 es nennen würde, »Twause«: einer Pause auf Twitter. Es kamen einfach keine Tweets mehr von Puku (und das ist einer von nur zwei Accounts, die ich auf Notifications gestellt habe). Ich befürchtete das Schlimmste. Japanische Sommer sind ja extrem heiß, da hilft angeblich gegrillter Seeaal, aber das wollte ich mir lieber nicht vorstellen müssen!

Nun ist ein langer Brief erschienen, er klebt oben auf der Seite in Form des mittlerweile virulenten »angehefteten Tweets«. Es handelt sich um einen Screenshot, da kann Bling nicht weiterhelfen, von daher danke ich herzlich und in aller Form Frau Midori Hirano,  die mir freundlicherweise mit einer Übersetzung geholfen hat. Es war wohl so, dass ein feindlich gesinnter Hasenaccount mit dem Handle @k11036151k, der mir ab und an schon unangenehm aufgefallen war, eine beispiellose Schmähkampagne gegen Puku gestartet hatte. Das Cybermobbing, das dieser vermutlich von Neid befeuerte Wuthase gegen den von mir so geschätzten Puku gestartet hat, muss wohl für derart schrecklichen Stress bei der Besitzerin gesorgt haben, dass in Folge auch der empathiebegabte Farbenzwerg seines Lebens mit ihr nicht mehr richtig froh werden konnte. Von daher hat sie, die Besitzerin, sich vorerst entschlossen, ihre Postings einzustellen. In dem Brief entschuldigt sie sich in aller Form bei allen ihren 2472 Followern. Vor allem auch ausdrücklich bei denen, es waren wohl einige, die sie in den Verwirrungen der letzten Wochen entfolgen musste.