9.3.

Solche Gespräche lassen sich mittlerweile nur »schwer noch« zum Abdruck bringen. Wenn ich mich mit jemandem zu einem sogenannten Interview verabrede, bekomme ich dabei seltener und seltener ein Gespräch. Oft halt tatsächlich bloß ein Interview. Ob das an Facebook liegt, an Twitter, daran, dass sich nun wirklich sehr viele Menschen schon wie ihr eigenes PR-Department fühlen können, müssen, oder bloß sollen? Dass sie ihr jeweiliges Produkt pushen – in meinem Bereich oft nur ein Thema – und sich selbst lieber raushalten aus einem sogenannten Medium, dem man, solange man es noch nicht vollends kontrollieren können wird, auf sicher misstraut?

Geführt werden die Gespräche ja weiterhin – privat, wie es heißt. Darin lag für mich der Zauber bei Bohrer und Kaube: Es war seinem Klang nach privat. Und das kann sich, ebenfalls meine Privatmeinung: dadurch verändern. Die ganzen Privatpressemitteilungen rühren mich nicht.

Manchmal denke ich, dass es auch sehr zum Verständnis unserer Zeit beitragen würde, wenn sich geschätzt ein Viertel bis Drittel der Menschheit in ein Volontariat aufmachte, um an den verschiedensten Orten, zu den üblichen Zeiten, die Gespräche von anderen zu transkribieren, um sie danach für alle anderen zugänglich machen zu können. In einer elektrisch gestützten Version transkribierender Mönche. Aus dem Glauben an die Schönheit des flücht’gen Hauches heraus, dem Gestalt zu verleihen ist. Der menschlichen Sprache. Dem interessantesten Ding unter der Sonne so to say.

Für mich wurde diese Phantasie von Wim Wenders wahr gemacht; vermutlich war es eine von Peter Handke, die in den Neunzigerjahren im Film Bis ans Ende der Welt gezeigt wurde: Sie hatten sich Videobrillen gemacht, ein ausgedachter Rekorder zeichnete nachts ihre Träume auf. Tagsüber saßen sie, die Brillen über den Augen, in ihrer Höhle (draußen war es eh zu heiß mitten in Australien, wo das Ende des Filmes traditionellerweise inszeniert ward), und schauten sich ihre Träume an.

Beim Abtippen von Gesprächen geht es mir ähnlich. Das Belauschen, beispielsweise gestern, im Haus am Bayernbrunnen, ist aber auch schon nicht schlecht.

Dort saßen – ganz nah an den Kälte und Feuchtigkeit abstrahlenden Scheiben zum Platz hin – zwei Greise. Beide redeten, aber es war die Stimme des mit seinem Gesicht mir zugewandt Sitzenden, die tragend war. Der andere murrte seine Zeilen, wie es mir schien, in sich hinein. Der Laute brachte dann in die scheinbaren Gesprächspausen des von mir abgewandt Sitzenden seine Vorwürfe. Es ging, das war nach wenigen seiner Repliken klar für mich, um eine Frau. Bald schrie er schon beinahe ein auf seinen Freund – ich musste annnehmen, dass der ihm einer war, denn er zuckte nicht zusammen, ließ es sich gefallen. Offenbar befand sich der vom Umgebungsgeräusch Ausgeblendete in einer Trennungssituation.

Auf der Speisekarte wurde erzählt, vermutlich im Scherz, dass einst ein Stammgast, mit dem im alten Westberlin gern genommenen Pseudonym Nante, in diesem Lokal nach dem Trinken von 24 Gläsern Fernet Branca einen Reim auf das Wort »Orgasmusschwierigkeiten« gefunden habe, sich aber am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern konnte. Das Ganze steht eingedruckt auf dem Deckblatt des Leporellos. Es handelt sich also todsicher um eine Fiktion.

»Du musst«, schrie nun beinahe schon der Laute auf den Gemuteten ein, »diese Zitterpartie beenden – heute ist der 9. März! Sonst bist du nächstes Jahr immer noch hier!«

Um ihm – da war sein Freund bereits aufgestanden, um sich zur Toilette hin aufzumachen – eins noch mit auf den Weg zu geben: »Wenn Du das Rauchen aufgeben willst, gibst du es ganz auf.«

Der andere, es war deutlich: »Du hast ja recht.«

Alleine am Tisch zog der Wartende nun eine Plastikschachtel aus seiner Hosentasche und streute sich daraus Schnupftabak in die Beuge zwischen Zeigefinger und Daumen. Verkehrte Welt: Der eine geht aufs Klo, der andere zieht was offen am Tisch, aber es wirkt bei ihm anscheinend umgekehrt: Er wurde ganz still. Der andere blieb es. Zahlen, gehen.

Re: Alexander Kluge, Ich

Ich: »Aber wenn Sie doch selbst schon sagen, dass nur wenige noch ihr tausendseitiges Buch mit kurzen Geschichten kaufen werden – was wird denn dann mit dem modernen Roman?«

Alexander Kluge: »Ich halte ja das, was ich mache, für den modernen Roman.«