Are »Friends« Electric?

Besinnlicher Abend, der damit seinen Anfang nehmen sollte, dass ich den Novizen entließ. Dies auf seinen eigenen Wunsch hin, da er, aus meiner Sicht nun leider vor der Zeit, seine Ausbildung für abgeschlossen hält. Wir waren auf dem Weg ins KaDeWe, dort waren wir beide lange nicht gewesen, doch gab es dort gestern die Präsentation eines Schuhs von Jimmie Choo, den Virgil Abloh umgestaltet hatte, und den, so meinte zumindest Michie Gümbel, sollten wir uns unbedingt anschauen kommen. Am Brunnen auf dem Breitscheidplatz, den, wie jedermann weiß, der Bildhauer gestaltet hatte, der auch die Hand mit Uhr zu verantworten hat, fühlte sich der Novize an einen Brunnen erinnert, den es einst, in seiner Kinderzeit noch auf der Zeil in Frankfurt, gegeben hatte, der aber später eilig abmontiert worden war. Nicht so hier auf dem Breitscheidplatz, hier blieb rings um die kaputt gebombte Kirche samt ihrem überschätzten Anbau von Egon Eiermann und dem durch die eine Szene aus Wir Kinder vom Bahnhof Zoo zu Ehren gekommenen Europacenter einfach alles stehen, auf dem Flachdach des Letzten dreht sich, durch den verstorbenen Daniel Josefsohn festgehalten, ein Mercedes-Stern wie auf dem Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs - bloß dass der halt fraglos sehr viel schöner ist. Da er mich darum lieb gebeten hatte, gab ich dem Novizen noch ein Gleichnis mit. Es stammte, wie beinahe alle meine Gleichnisse, aus meinem Leben. Einst war ich in der heiligen Stadt am Mekong, Luang Prabang, wo es sehr viele Tempel gibt. Der schönste dort steht auf einem spitzen Hügel, an dessen Fuße einige Kinder im Schatten herumlungern. Sie bieten kleine Käfige an, die rund wie Bälle sind und aus Bambusspänen geflochten. Darin sitzt jeweils ein kleiner Vogel, von welcher Art weiß ich nicht, irgendetwas dort Heimisches. Man kauft dann also vor dem Aufstieg zu dem Tempel einem dieser Kinder einen Gitterball ab und trägt den Vogel darin bis hinauf zum Tempel, um das Tier dann, so will es dieser Brauch, im Innenhofe freizulassen. Der Vogel fliegt in einem weiten Bogen über die sich bis zum waldigen Horizont erstreckende Stadt aus lauter niedrigen Gebäuden von denen hier und da die dünnen Rauchsäulen aus Holzkohlenfeuern aufsteigen. In Wahrheit aber fliegt der Vogel nicht davon, sondern umkreist den Hügel bis zu jenem Punkte, wo ihn das Auge seines Gönners nicht mehr schaut. Um sich dann unten bei den Kindern im Schatten niederzulassen, die ihn alsbald wieder einfangen, um ihn erneut in einen Käfig einzuzwängen. Der Sinn des Rituals besteht im Freilassen des Vogels durch den Mensch, nicht in der Befreiung des Vogels. Es verbessert das Karma. Zumindest glauben das die Buddhisten von Laos. Und nicht bloß dort. Beim Goldenen Tempel von Bangkok hatte ich ähnliches gesehen, dort aber mit Fischen.

Der Schuh, den man uns in einer für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Kammer zeigte - die Angestellten trugen weiße Uniformen, die von Virgil Abloh in der für ihn typischen Schrifttype bedruckt worden waren - stand auf einem weiß gestrichenen Sockel wie ein archäologisches Exponat. Er war glänzend schwarz, aber mit einem transparenten Schrumpfschlauch aus Gummifolie überzogen. Zu trinken gab es eine grüne Limonade mit Basilikumgeschmack.