ARKTISCHE RADIESCHEN

Vor meinem Fenster fängt es sich an zu bewegen. Und zwar an jedem neuen Morgen, denn dort gräbt man jetzt den Blaumilch-Kanal. Sie attackieren die Grünflächen mit Fräsen. Angeblich soll so die neue Bewässerungsanlage entstehen. Ich bin ja leider keine Krähe, aber die Krähen hüpfen zwischen den platinenhaft in den Grundriß meines Lebensraumes gefrästen Bildes herum, so dass ich denke, dass es dort, in den Gräben für sie etwas zu holen geben muß. Vermutlich Würmer.

Im Vorübergehen entdeckte ich dann kurz vor dem schottischen Traditionscafé eine neue Möglichkeit, etwas andersartiges zu essen. Dort war nun in einem Häuschen am Straßenrand, wo in den vergangenen Jahren ein rotgesichtiges Schwulenpaar extrem überteuerte Flammkuchen feilgeboten hatte, ein polnisch grundierter Imbiß eingezogen. Ich fühlte mich vor allem von den prominent angepriesenen Bratwürsten direkt aus Polen angezogen.

Am Herd stand ein Greis, mit einer Frisur, wie man sie eigentlich nur von Perücken her kennt. Auf der von ihm betreuten Bratfläche lagen so einige der von mir begehrten Würste. Sie schauten extrem gut aus. Ich bestellte mehrere. Aber diese, meine, Bestellung schien in Vergessenheit geraten. Jedenfalls ließ mir die die Wartezeit genug an Muße, darüber nachzudenken, warum ich eigentlich nicht davon leben könnte, irgendetwas zu essen, um darüber zu schreiben. Weil das ja eigentlich exakt die Verwertungskette darstellt, der ich mich sehr gerne anheim geben würde. Neulich las ich anläßlich des unerwarteten Todes von Jonathan Gold, dass der wiederum eines Tages auf einer Busfahrt beschlossen hatte, sämtliche Snackpoints entlang dieser Buslinie abzufressen. Und daraufhin — Bang! —: Pulitzer Prize.

Und eigentlich will ich doch nur wissen, wie das zu finanzieren wäre, dass ich um die Welt reisen könnte, um alles auszuprobieren; und um davon zu berichten; beziehungsweise: wo? Weil das ist ja das einzige, was mich interessiert. Anscheinend. Aber das in Echt.

Was Patrick Bahners heute in der Zeitung schreibt, anläßlich des morgigen Geburtstages von Jürgen Dollase, es ist der siebzigste: dass sie bei dem ersten Treffen auf dem Parkplatz gar keine Vorstellung haben konnten, wie der (Dollase) denn aussehen könnte, weil er ja, wie sie annehmen mußten, unendlich reich war.

However. Der Pole wiederum war um diese Uhrzeit herum schon zu stark angetrunken, um mir noch meine Bestellung erfüllen zu können. Als die Würste dann, nach einer halbherzig angedrohten Schlägerei, endlich vor mir abgesetzt wurden, waren sie freilich köstlich. Begleitet von lustlosen Spritzern aus Cocktailsauce und einem süßlichen Ketchup. Mayonaise und sogar etwas Senf waren auch dabei.

Bei Martina & Moritz ging es heute um Essen für Menschen mit nicht sehr viel Geld.

PS Neulich hatte ich das Geräusch, das die Schiffsrümpfe bei der von der Wasserbewegung verursachten Reibung an den Kaimauern als quietschend beschrieben. Das war nicht präzise. Das hierbei verursachte Geräusch ist vielmehr zu beschreiben mit den Worten Woody Allens aus seinem oskarprämierten Film »Manhattan«, wenn er dort, in der ersten Nacht seines Umzugs in eine vermeintlich preiswerte Wohnung sich gegenüber seiner noch minderjährigen Freundin beschwert: »Hörst Du das Stacey? Das klingt doch, als ob der Typ dort oben eine Posaune spielt; nein, als ob der seine Posaune zersägt!«