Bei den Freunden von Kakteen und anderen Sukkulenten

Die Wetterverhältnisse, wahrscheinlich liegt es am Luftdruck, machen mir zu schaffen. Den Donnerstag über mußte ich das Bett hüten, schlief mehr oder weniger die ganze Zeit hindurch bis zum Morgengrauen, bei dem ich mich dann aufraffen mußte, um den Zug nach Frankfurt noch zu erreichen (was mithilfe von Weißdorntropfen gelang.) Aus dem Bordlautsprecher eine originelle, weil bislang noch nie von mir bezeugte Ansage (man sammelt ja unwillkürlich mit der Zeit:) »Der Speisewagen und das Bordbistrot stehen unter Wasser. Sie müssen von daher bis zum Erreichen des Endbahnhofs Basel geschlossen bleiben.«

Abends dann zur Weihnachtsfeier der Frankfurter Freunde der Kakteen und anderer Sukkulenten. Die Feier fand angeblich statt in einem Gemeindehaus in der Nähe des Künstlerbedarfshandels. Es regnete flächendeckend. Wir hatten, da wir, bislang ohne offiziellen Mitgliedsstatus, einer freundlich formulierten Einladung auf der nüchtern gestalteten Website des Vereins Folge leisten wollten, unser angebliches Greisenhaupt, einen Däumling mit hinter vergilbender Wolle verborgenen Dornen, in einer kleinen Tragetasche dabei, um uns vor dem Freundeskreis als Kakteenfreunde ausweisen zu können (wie es bei Woody Allen der Psychoanalytiker macht, wenn er seine Tabakspfeife hochhält »Ich bin Psychoanalytiker, hier ist meine Pfeife!«)

Erstaunlicherweise schien es dort in dem Festsaale schon schäumend hoch herzugehen. Durch beschlagene Scheiben meinten wir eine Art Polonaise erkennen zu können. Auch wurden teilweise rote Pullover oder Blusen getragen. Ein schier unaufhörlicher Strom von Kellnerinnen schleppte überladene Tabletts in den murmelnden Saal. Doch tagte dort am frühen Abend, wie man uns sofort zurief, ein Kegelklub. Die Kaktusfreunde hätten sich ein Stockwerk höher eingefunden im Kabinett Römisch Zwei.

Hier saßen, der Verein blickt auf eine Geschichte seit der Gründung im Jahre 1924 zurück, sieben Mitglieder um eine mit Gestecken und Kerzen geschmückte Tafel. Drei Ehepaare und ein einzelner Herr, der sich unmittelbar als Nestor der Versammlung zu erkennen gab—handelte es sich doch um Günther Anderson, den langjährigsten Gartenmeister des Frankfurter Palmengartens. Man nahm uns freudig auf in dieser Runde. Bevor das Essen aufgetragen wurde, sahen wir uns aufgefordert unseren Pflegling auszuwickeln, um ihn zur Begutachtung herumzureichen.

Eindeutig kein Greisenhaupt, wurde einstimmig festgestellt. Aber im bestmöglichen Zustand. Weder Spinnmilben, noch schrundige Stellen. Dabei hatten wir uns nach dem Sommer schon Sorgen gemacht, ob die unbotmäßige Vergilbung seines Faserkleides womöglich durch unsere Fehlbehandlung, vor allem halt durch das Bestäuben mit Leitungswasser hervorgerufen ward. In unserer Sorge hatten wir Ansichten des Vergilbten in ein Kakteenforum im Internet hochgeladen. Doch wurden wir dort, wie Tautropfen an einem Spinnenseil, alsbald in einen verschwörungstheoretisch grundierten Wirrwarr aus Privatmeinungen gezerrt.

Herr Anderson wiederum, der schon in den siebziger Jahren Forschungsreisen nach Bolivien und Afrika unternommen hatte—möglich gemacht wurde dem Palmengarten Frankfurt dies durch einen Mäzen, der selbst aufgrund einer Herzerkrankung keine Fernreisen mehr unternehmen konnte—um in den Herkunftslandschaften der Kakteen und anderen Sukkulenten deren ursprüngliche Lebensbedingungen recherchieren zu können, zerstreute diese unsere Bedenken mit der dem Sachverstand eigenen Ruhe: Denn das Faserkleid dieser Kakteen diente ja gerade eben dazu, den Morgentau und die Nachtfeuchte sozusagen einzuspinnen, um dann die darin gefangenen Tröpfchen während heißer Sonnenstunden dem Kaktuskörper zur Verfügung stellen zu können. Desweiteren ging es dann auch mal um die Signaltrommeln im ländlichen Indien der siebziger Jahre, um Gelbfieber, sowie um die hygienischen Verhältnisse von Ägypten versus Mexiko.

Die Fachsimpelei wurde aufs Schönste rhythmisiert durch das Vorlesen amüsanter Kurzgeschichten von Ludwig Thoma. Bald waren die kleinen Kerzen herunterbrannt, der Vorsitzende ließ es sich in seinem Schlußwort nicht nehmen, uns für unser unverhofftes Kommen zu danken, da der Abend durch unseren Beitrag einen für alle Anwesenden erfrischenden Verlauf genommen hatte. Das erinnerte uns freilich an die Reden auf dem CDU-Sonderparteitag, den wir am Nachmittag auf Phoenix verfolgt hatten, wo in mancher Rede, wenngleich metaphorisch, von Frischluftgefühlen und aufgestossenen Fenstern erzählt ward.

Man gab uns eine herrliche Fotographie mit, Aufnahme einer in voller Blüte stehenden Sukkulente. Ganz unscharf ist darauf im Hintergrund feiner, weißer Kieselstein zu sehen. Das Gewächs ist womöglich in Wahrheit nur wenige Millimeter stark.