DAS SOMMERMÄRCHEN

Es ist Modewoche in Berlin. Die Sonne scheint, und der salzlettenhafte Antennenstab des Fernsehturms sticht in ein makelloses Blau. Das ist jene Jahreszeit, in der man als Einwohner sich die Wachspropfen aus der Illias wünscht, aber, da es die außerhalb der Fiktion nicht gibt, dann Satzfetzen mitanhören muß á la »und aus dem Kundenzimmer, wird dann irgendwann ein Kinderzimmer…«

Eine Versprechung. Ein Versprechen war es, im Nachhinein aber nicht wirklich, als ich, 1996 aus Hamburg kommend, dort aus St. Pauli, hierher zog. Eine Weile lang hatte man uns Zugezogenen versprochen, dass sich Berlin ändern würde, sobald etwas Geld investiert würde; dann, in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends, anläßlich der Krise in den Medien nach dem 11. September hieß es, dass die Veränderung mit den sogenannten Startups der digitalen Wirtschaft zu erwarten stünden; als die Startups sich in Berlin niedergelassen hatten, hieß es, man müsste nun nurmehr noch abwarten, bis diese wirtschaftlich erfolgreich würden.

All dies ist, aus meiner Sicht, schon sehr lange her. Und der Bürgermeister von Berlin, nach einer Reihe von Bürgermeistern wie Diepgen, Momper und Wowereit, schaut nicht nur so aus wie er heißt, er wirkt sich auch genau so aus.

Vermutlich freut es ihn nicht einmal; wahrscheinlich versteht er das auch nicht, die sogenannte Dimension dessen, dass es nun, zur Modewoche, langbeinige Männer in Radlerhosen gibt aus dem Ausland, die sich vor einem Altenheim in Mitte fotographieren lassen in neonfarbenen Plateauschuhen. Er kennt die Geschichte Berlins seit der Loveparade wahrscheinlich nur von dem her, was ihm als politisch gewichtig erschienen war; die Loveparade als Event (jetzt ist es halt der Karneval der Kulturen.) Den Stoß ins Muschelhorn von Dr. Motte hat er nicht vernommen. Auch nicht nachgearbeitet—warum auch! Höchstwahrscheinlich ist Michael Müller nicht einmal auf Instagram angemeldet, um die Hashtags seiner Stadt, #Berlin checken zu können. Zuzutrauen wäre es ihm.

Sohn eines Druckers. Immerhin!

Einst, als ich in diese Stadt zog, war die Torstraße noch die unschönste im Zentrum. Heute hat dort Rafael Horzon, den Bürgermeister Müller normalerweise zum Ehrenbürger ernennen müßte, seine angebliche Aufnahme in das Designmuseum von Vitra zu Weil am Rhein begiessen lassen. Das ist doch eigentlich ein Vorgang für diese Stadt. Doch waren außer dem Bürgermeister nur alle möglichen anderen Bürger vor Ort.

Jan nennt, wannimmer ich über die Stadt klage, »die Menschen« als einen Grund für mein weiteres Hiersein. Und am vergangenen Samstag, als wir dort rings um ein Lagerfeuer saßen, war das auch so. Da fielen goldene Sätze, und ich konnte mir ein Leben ohne die Zusammentreffen mit Claudius, Thilo, Irina und Malakoff auch nicht vorstellen. Dies aber nur momentan und von daher kurz, denn wir treffen uns ja so gut wie nie; im Grunde sind es zwei Male im Jahr.

Später holte ich die Urlaubsbilder ab, es waren erstaunlich viele gelungene dabei. Es bringt doch viel, wenn man auf Film fotographiert und sich von daher auf wenige Aufnahmen beschränken muß. 36 Motive in zwei Wochen: So also war das. So schauten wir aus.