En attendant les Barbares

Ist vermutlich eine Generationenfrage, aber ich verspüre ein schlechtes Gewissen, wenn ich am Vormittag den Fernsehstream anwähle. Es erscheint Kapitän Blaubär, den gab es zu meiner Zeit als legitimer Rezipient der Sendung mit der Maus noch nicht; damals war es der tschechoslowakische Maulwurf, der mit seinem terrazzohaften Maulwurfshaufen und vor allem auch mit seinen piepsenden Geräuschen meine Ästhetik maßgeblich geprägt haben wird. Wenn ich mir dagegen nun den Käpitän Blaubär anschaue: schaut aus wie ein mittelprächtiger Wärmflaschenüberzug. Ich mache drei Kreuze.

Die Sonderausgabe der Tagesschau zum Abstimmungsergebnis der Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur Großen Koalition beginnt pünktlich um 8 Uhr 50 mit der Nachricht, dass es zu einer Verschiebung kommen wird hinsichtlich der Verkündigung des Abstimmungsergebnisses. Die Sendung ist auf 40 Minuten angesetzt. Moderiert von der seltenen Kirsten Gerhard, es berichtet Bettina Scharkus aus Brüssel; in Berlin steht Tina Hassel vor einer Statue von Willi Brandt. Gegen 10 nach 9 lässt sie in ihre Rede einfließen, dass die Gerüchte besagen, die Abstimmung sei zugunsten der Großen Koalition verlaufen. Das nimmt freilich die Spannung. Another 20 minutes to go. Tina Hassel ist als Reporterin der alten Schule freilich just a camera in front of a camera. Mit einem nervös gemeinten Augenzwinkern raunt sie, dass auch Kevin Kühnert noch eine Ansprache halten wird. Doch, so gibt sie zu bedenken: bereite der sich zur Stunde noch auf seinen Auftritt vor. Durch diesen rhetorischen Trick entsteht bei mir unweigerlich ein von Tina Hassel induziertes Bild des nackten und schwer muskulösen Monsters namens Kevin, das unterdecks bei Kapitän Blaubär von diesem nur mühevoll und vermittels schwerer, ölverschmierter Ketten im Zaume gehalten werden kann.

Den Rest erspare ich mir. Die totale Zeitgenossenschaft ist halt leider nichts für mich. Am Freitag hingegen, auf dem Geburtstag von Nina, setzte sich zu später Stunde Malakoff noch an den Flügel, der dort glücklicherweise zur Verfügung stand, und spielte Anin Goldkind, wie ich es schon viele Male von seinem Album gehört hatte. Nur war es jetzt live, die Melodie entstand vor meinen Augen und in meinen Ohren. Ich habe seine Hände gesehen.