LA CAPTIVE

Wie festgefroren in der Atmosphäre, was sie in Wirklichkeit auch sind, waren die Wolken in Form von Gespinsten, fadenscheinig von Beginn. An solchem Morgen greift mein Leben auf die hohe Saite um. Ich dachte: Nein, jetzt diese Stille, weihevoll, allein vom so gar nicht majestätischen Kieksen der Blässhühner akzentuiert, die störe ich nicht mit meinem Movielärm. Am offenen Fenster aber sitzen wollte ich dennoch. Und mußte sowieso noch Popcorn besorgen (Videokassetten zurückbringen gibt es nicht mehr.)

Am Olof-Palme-Ufer standen die Warnhütchen in einer Kurve quer über dem Weg aufgestellt. Dahinter gab es sogenannte Dreharbeiten, dort stand ein Cateringzelt des Unternehmens Donata (mit der gleichnamigen Ehefrau des Regisseurs Wim Wenders haben die aber nichts zu tun.) Man drehte dort irgendeinen Schmonzes fürs Fernsehen, aber der vordere Teil der Szenerie am Ufer, diesseits der Hütchen, war ja dadurch ebenfalls als abgesperrt zu betrachten, und in dieser Zone stand ich mittendrin. Mit mir zwei Männer mit Schallschutzpolstern auf den Stirnen wie Mickeymäuse (wahrscheinlich wegen der Dialogregie vom jenseitigen Teile, aus dem es ja durch Verstärker herüberschallte.) Zu beider Füße lagen dort Rohre, vorne angespitzt, die waren bestimmt mehrere Meter lang, jedes für sich, und ich sagte: »Was machen Sie denn da—Bodenproben entnehmen?« (Abb.: Emoji »Eyes Full of Love«.)

»Ja, genau.«

»Und, was kommt dort unten?«

»Wir sind jetzt erst bei zwei Meter sechzig. Bis dahin: Sand.«

»Ach schön. Haben Sie das von der Bodenverflüssigung gelesen, neulich?«

Hatten die freilich nicht. Mich hatten die Augenzeugenberichte von dem Tsunami in dieser Hinsicht mit Angstlust erfüllt: auf einer halben Seite hatte sie in der Zeitung berichtet von einem selbst für die Experten neuen Phänomen dergestalt, dass sich dort auf dieser betroffenen Insel der Boden unter der Einwirkung der Schockwellen des Unwetters wie eine Flüssigkeit gebärdet hatte. Er war in weichen Wellen an die Beobachter herangelappt mitsamt der Häuser und Palmen, hatte sämtliches in sich hinabgezogen, ohne danach noch eine Spur davon zu hinterlassen, wie unschuldig oder wie eine Sinnestäuschung und so fort. Die Erklärung der Experten, vorläufig, war, dass sich ein Boden aus Sand jederzeit auch verflüssigen kann. Weil die Reibung, die Sandkörner an sich beieinander fest hält, bei extremem Wasserdruck von tief unten her, reibungslos gemacht werden kann. Und dann gibt es zwischen denen kein Halten mehr.

Soviel zur Märkischen Streusandbüchse, der vielgerühmten. Später saß ich dann noch länger unter dem Weinlaub bei Mutter Fourage, wo mit blanken Scheren geernet wurde. Die Trauben waren genau so klein wie im vergangenen Jahr. Und wie in dem zuvor auch. Farblich schwarz. Und ich las in einem vorzüglich geschriebenen Buch aus der Tauschecke dort, das den herrlichen Titel hat Berlin, wie keiner es kennt.

Mensch Meier, schon wieder rundet sich ein Jahr.