LEGE ARTIS

Wie mir Wolgang Ullrich gerne erklärt und sozusagen auseinandersetzt, ist das, was ich mir von einem Beisammensein mit Künstlern erhoffe, nie dagewesen; chimärenhaft hege ich da einen Wunsch nach dem Austausch, den es, seiner Vermutung nach, vielleicht nur einmal, ein einziges Mal in der Geschichte gegeben haben könnte. Und zwar am Hofe von Rudolf dem Zweiten, der zwar ein schlechter Kriegsherr gewesen sein soll, es gab Leute, die hielten ihn für irre, aber es war zu seinen Lebzeiten halt gut für die Kunst.

Lange her, zu lange für mich, obwohl ich selbst schon ganz schön alt geworden bin. Vermutlich gehe ich deshalb (aus beiderlei Gründen) nicht mehr viel aus.

Aber dann wurde, wie in jedem Jahr, der Michael-Althen-Preis verliehen. Und ich liebe bekanntlich diese Zeitung. Als ich, auf meine Begleiterin wartend, die wie es sich gehört, verspätet war, traf ich dort in Mitte so einige, die ich von früher noch  kannte. Am Strohhalm aus meinem Campari mit Orangensaft saugend, sagte ich Hallo. Moritz wiederum, der in Begleitung von, natürlich, DJ Hell dort an der Terrasse des Cafés vorbeikam, meinte, dass er ja leider erst viel zu spät dort bei der Preisverleihung würde erscheinen können. Komma aber: Es gäbe dort ja einen handfesten Skandal. Mehr wollte er nicht verraten, es hatte wohl mit der Preisträgerin zu tun, die ich kannte: Antje Stahl.

Im Saale dann selbst war alles wie immer. Wie in den vergangenen Jahren. Man, also ich, fragt sich zwar, warum dort die herrlichen Kronleuchter mit so seltsam von den Bouroulleq-Brüdern abgekupferten Balsaholz-Körben umfasst hängen müssen, aber ansonsten ist es dort schon festlich und dem Anlass angemessen, und gäbe es diese Balsakörbe nicht, oder die Leuchtwand dort, und keine Mikrophone, dann könnte ich mich ja tatsächlich beinahe schon fühlen, als wäre ich an den Hof zu Zeiten Rudolfs geladen. Wobei da natürlich keine Künstler saßen, sondern Journalisten, die ja irgendwie ein Mischwesen haben aus Künstlertum und Politik.

Nach den üblichen Ansprachen, bevor die ausgezeichnete Autorin selbst auf die Bühne durfte, erschien dort dann der Herausgeber des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Jürgen Kaube, um eine Rede zu halten. Das war ungewöhnlich für den Ablauf der Veranstaltung, die ansonsten ja immer gleich, immer wie immer war. Aber die Sache war ja die gewesen, dass eben diese Autorin vor einiger Zeit in einem anderen, nicht in dem zur Auszeichnung vorgesehenen Text über ihn geschrieben hatte, er sei nicht ganz bei Trost. Und also sagte er:

»…Kunstfeindschaft sei noch nie so gut verpackt worden wie durch mich und meinesgleichen. Wobei meines gleichen im Unterschied zu mir von Antje Stahl gar nicht benannt worden sind. Aber vielleicht kommt es eines Tages noch. Frau Stahl hätte einen Kollegen von der NZZ noch erwähnen müssen, der ähnlich argumentiert hat wie ich. Weil es ging um Kritik. Es ging um die Sache, die wir hier verhandeln. Und nicht nur, um mit der Situation hier zurande zu kommen. Ich habe das gestern erst gemerkt, dass das alles so—: nicht ganz bei Trost ist ein scharfes Urteil. Sich durch die Einsendung eines Textes für den Preis eines Zeitungsfeuilletons zu bewerben, das man der Kunstfeindschaft für fähig hält, ist außergewöhnlich. Also entweder ist das alles nicht so ernst gemeint, und wir befinden uns hier in der journalistischen Spielwarenabteilung: Hauen also tagsüber ein bißchen auf die Trommel, stoßen ein paar Jagdschreie aus und gehen dann abends einen trinken, oder es ist doch ernst gemeint, aber dann: dann müssen wir herausfinden, was das soll. Worum ging es? Es gab in den letzten Jahren, vor ein, zwei Jahren, eine Reihe von Aktionen in Museen, durch die die Frage aufgeworfen wurde, was wer malen dürfe. Und ob nicht manche Kunst aus moralischem Zweifel heraus entfernt werden sollte. Sie erinnern sicher den einen oder anderen Fall, da sich eine weiße Malerin—was ist das, eine weiße Malerin?—sich eines Bildmotivs aus der afrikanischen Geschichte bedient hatte. Sind die sexuellen Blicke des Malers Balthus erträglich? Dürfen nicht eigentlich nur Dakota-Indianer das Leid der Dakota-Indianer in Form eines Kulturteppichs knüpfen? Sind auf einem Laufband rennende Hunde in einem Kunstvideo erlaubt? Diese Fragen sind allerdings, und das ist wichtig, nicht diskutiert worden. Vielmehr wurden sie in Form von Forderungen vorgetragen, die entsprechenden Kunstwerke aus den Ausstellungen zu entfernen, in die Depots zu schieben, oder sogar, in seltenen aber extremen Fällen: zu zerstören. Ende Januar hatte die Manchester City Art Gallery das dort vielleicht berühmteste Gemälde des Hauses, Hylas und die Nymphen von John William Waterhouse, demonstrativ abgehängt. Die Abhängung geschah im Rahmen einer künstlerischen Intervention. Angeblich, um eine Diskussion über den weiblichen Körper in der Kunst und über kuratorische Entscheidungen zu eröffnen. Tatsächlich aber, das war meine Überlegung, wird durch die Abhängung hier, so wie auch in anderen Fällen, keine Diskussion eröffnet, sondern das Ergebnis einer solchen Diskussion symbolisch vorweggenommen: Das nicht so hätte gemalt werden sollen. Und das aus schlechten Gründen, nämlich so, der weibliche Körper gemalt worden ist. Jeder mag es für andere Künstler, oder vielleicht auch für die, selber durchdenken, ob das Nichtzeigen eines Werkes dazu geeignet ist, die Diskussion darüber intelligenter zu machen. Ästhetischer Streit, glaube ich, setzt die Gegenwart der Werke voraus. Und das Recht zum individuellen Ausdruck. Wer ein Bild auf Gesinnung hin prüft und nicht auf die ästhetische Qualität, scheint mir eine Komponente der Kunst zu verpassen. Ganz abgesehen davon ist die Vorstellung von der Victorian fantasy, die da gechallenged werden sollte, selbst von erheblicher Schlichtheit. Das hat nämlich dann, muß ich zugeben, mich ein bisschen geärgert an dem Urteil, unserem schönen Feuilleton fehle jeder Sachverstand. Noch sechs Tage bevor Antje Stahl uns das in der NZZ vorwarf, hatten wir einen längeren Beitrag zur Diskussion des Bildes von Waterhouse. Eine Diskussion, in der die amerikanische Kunsthistorikerin […] zuletzt davon gesprochen hatte, das Bild stelle den weiblichen Blick auf Männer dar, wie er 1893 beim Aktzeichnen an der Royal Academy, an der Waterhouse tätig war, thematisiert wurde. Dieser Beitrag blieb der einzige Beitrag im deutschsprachigen Feuilleton, der sich inhaltlich mit der viktorianischen Fantasie und deren Themen auseinandersetzte. 

Sehr geehrte Damen und Herren, das alles gehört zu diesem Abend, weil es um Maßstäbe für Kritik geht. In der Begründung des Preises heißt es, es werde ein Schreiben gelobt, das anlytische Schärfe mit einem Bewusstsein verbindet, dass man von der Kunst nicht sprechen kann, wenn man die Emotionen ausblendet. Vielleicht müsste man noch etwas Drittes hinzunehmen, um es, wenn es um Kriterien für Kunstkritik geht. Denn viele Leser einer Kritik haben die Bilder nicht vor Augen, haben das Buch noch nicht gelesen. Und das Theaterstück noch nicht gesehen, waren noch nicht in der besprochenen Ausstellung.

Und wir sagen noch.

Und wir wissen, dass wir damit eine erhebliche Hoffnung verbinden. 

Daraus erwächst dann eine erhebliche Verantwortung. Der Kritikerinnen und der Kritiker. Man könnte auch sagen, daraus erwächst eine erhebliche Verführung: Sie reden von etwas, das die anderen oft nur vom Hörensagen kennen. Zum Beispiel davon, wie Jaqueline Bisset auf einen zukommt. Neben Schärfe und Emotion ist auch ein gutes Kriterium für Kritik dass sie nicht versucht, ein Programm durchzuziehen, sondern bei den Sachen bleibt, die sie gesehen hat. Ganz egal, was zu sehen gewesen war. Ich hatte das schon bei unserem Empfang auf der Buchmesse ganz kurz zitiert. Wolfgang Herrndorf schreibt: »Wer von der Literatur etwas bestimmtes verlangt, soll es sich selbst schreiben«. Programmatische Anforderungen könne man nur an Gruppen richten, in der Literatur gäbe es keine. 

In diesem Sinne würde ich sagen, bin ich skeptisch, ob es Malerinnen und Maler gibt—als Geschlechtsgruppen. Ob es Alte und Junge gibt—als Altersgruppen. Ob es Weiße und Dunkle gibt—als Hautgruppen. Oder wie man das immer nennt. Ob es Arme und Reiche gibt als Klassengruppen in der Kunst. Ich bin sehr unsicher. Ich glaube, das gilt für alle Künste. Und man ist glaube ich kein Vertreter des L‘art pour l‘art wenn man so denkt. Und man hat, glaube ich, auch nicht den Verstand verloren. 

Es gibt eine Passage in dem Text, in dem sie etwas sagt am Schluss zu dem Unterschied, der dann dazu führt, dass bei gewisser emotionaler Aufreibung man sich wechselseitig vorwirft, »nicht ganz bei Trost zu sein«. Der Unterschied zwischen einer Auffassung von Kunst, die in ihr eigentlich Kräfte beherbergt, die selber nicht ästhetisch sind. Sie schreibt sinngemäß es gehe in der Kunst um Umverteilung in kulturellem Gewand. Sie werden jetzt gleich merken, das spielt auch in dem Text, der prämiert worden ist, eine Rolle: Es geht um Umverteilung in kulturellem Gewand. Eigentlich, glaube ich, denkt sie, es geht in der Kunst um eine Kampfsituation. 

Als ich diesen Satz las, dass es um Umverteilung in kulturellem Gewand eigentlich gehe, und dass jemand wie ich, der das nicht sieht, auf die Schiene von L‘art pour l‘art und entpolitisierter Kunst rutscht, bis hin zu solch albernen Dingen, dass ich mich für einen Maler, der 1893 Nymphen gemalt hat, interessiere—ich glaube, der Unterschied kommt daher, dass ich nicht ganz genau weiß, was da umverteilt wird in der Kunst. Das wäre eine Frage, die ich mit Frau Stahl gerne diskutieren würde: Ist es Aufmerksamkeit? Ist es Geschichtlichkeit, die umverteilt wird? Bewirkt denn die Kunst durch die Korrekturen, die sie vornimmt, oder die Programme, die sie verfolgt, in der Welt politische Veränderungen?

Das sehe ich nicht so. Ich habe einen vergleichsweise engen Begriff von Politik. Ich denke, da geht es um die Beschaffung von Mehrheiten. Um Stimmengewinne. Politik ist Entscheiden. 

Kunst richtet sich, glaube ich, oft zu sehr an die Individuen. Sowohl von den Produzenten aus, die extrem sein dürfen—das ist der Sinn des Begriffes Kunstfreiheit—als auch von den Rezipienten. Die nicht als Kollektiv angesprochen werden. 

Es wird keinem Indianer der Welt besser gehen, weil ein politisch korrektes Kunstwerk nur von den Indianern hergestellt werden kann.

Der Sinn der Kunst ist es, gute Kunst herzustellen.

Insofern sehe ich sie nicht so sehr in einer Kampfsituation. Wenn man damit nicht den Kampf um die Qualität der Kunst meint. Aber ich erkenne, dass das zwei Positionen sind, die man zu der Sachlage haben kann.

Und ich wollte Ihnen meine schildern. Und versuche im Anschluss, Frau Stahl zu überzeugen. 

Vielen Dank.«