VON BERLIN ÜBER HAMM NACH BAD GODESBERG UND ÜBER BONN UND KÖNIGSWINTER ZURÜCK III

So weit ich mich erinnern kann hat es schon immer einzelne Wörter gegeben, die auf mich magisch wirkten; das nicht allein durch ihren Klang beim Ausgesprochenwerden, sondern schon von ihrem Schriftbild her und also beim bloßen Gedanken an ihre Gestalt. Eines davon war Königswinter. Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich das Wort zum ersten Mal in ausgesprochener Form mitbekam (Verkehrsfunk), oder ob ich es doch, was mir naheliegender scheint, in einem Theaterstück von Botho Strauß entdeckte. Lesenderweise. Ganz sicher habe ich aber niemals eine Aufführung von Bekannte Gesichter, Gemischte Gefühle besucht.

So standen wir dann also am letzten Tag unseres Aufenthalts in Bonn am Ufer und warteten auf unsere Einschiffung nach Königswinter. Das angeblich modernste Motorschiff Europas sollte Rheinfantasie heißen. Als es dann kam, schaute es aus wie ein schwimmender Plattenbau. Wir waren ungefähr zweihundert Passagiere, die sich durch erstaunlich breit eingerichtete Rolltreppen und Fahrstühle befördert, auf dem Oberdeck verteilten. Es gab jede Menge Stühle aus grellblauem Plastik, von denen man sich nehmen durfte. Jeder saß bald, wo er wollte. Wie von allein ergaben sich Reihen. Da auch der Boden des Decks in dem freibadhaften Blau der Stühle lackiert war, dachte ich mir zunächst die bunten Menschen weg und dann an Herbert Fritsch. Das linksrheinische Ufer zog in optimaler Geschwindigkeit vorüber. Geräuschlos. Es gab keine einzige Möwe, von denen ich am Morgen erst noch eine gesehen hatte, die in aller Frühe auf dem minimalistisch gehaltenen Glockenturm der St.-Cyprianskirche auf dem goldenen Kreuz gelandet war, bloß um dort dann, in Weiß auf Gold vor blitzblauem Himmel einen weißen Strahl in den Wind zu scheißen. Der Fotograph, dem es mittlerweile den Umständen entsprechend besser ging, also vergleichsweise schlecht, sagte »Ist dir aufgefallen, dass die Menschen in Deutschland Wert darauf legen, dass es unaufhaltsam vorangeht mit ihnen? Man sagt Guten Morgen, fragt, wie es geht und sie sagen ‚Ich bin gut durchgekommen.‘«

An der Kaimauer von Oberkassel stand in mannshohen Buchstaben JANKA ICH LIEBE DICH. Kurios, dass ich denke, das diese Inschrift noch aus den achtziger Jahren stammt (wegen Janka.)

Königswinter hingegen nicht bloß eine Enttäuschung (Brecht hat halt Recht), es war dort einfach nur schlimm. Und das trotz des herrlichen Wetters. Es waren ja, das wurde uns erst an Land klar, sämtliche Passagiere mit uns gekommen. Die blauen Stühle wurden allein fortgeschippert. So also fühlt man sich als Traube. Wobei ich kenn’s ja. Einmal war ich schon in Peking. War fürchterlich und soll nie wieder vorkommen.

Das Vorantrippeln vorbei an leergeräumten, oft schon arg verstaubten Ladenfenstern machte dem Fotographen Lust auf eine Brezel. Doch gerade als wir, offenbar um eine Mülltonne herum, in die Fußgängerzone der Altstadt von Königswinter am Fuße des sogenannten Drachenfelsen geschleust werden sollten, sprang dort ein jüngerer Mann in weißen Sportklamotten von seinem Stuhl auf, um sich mit einem anderen, dort mitten in der Fußgängerzone Aufgebauten, anzubrüllen. Beide standen offensichtlich unter dem Einfluß der unseligen Ostdroge Crystal Meth. Der weiß Gekleidete hielt bald seine Tochter, ein kleines Kind, vor sich wie einen Schild, um sich vor den Kampftritten des anderen zu schützen. Die Kellnerin, selbst noch ein Kind, mußte das mitansehen. Wir auch. Und die anderen legten die Tortengabel beiseite. Ich dachte an das Stück von Milo Rau, das ich in der vergangenen Woche an der Schaubühne gesehen hatte. So ähnlich ging es hier zu. Ein Mexican Standoff von allen mit allen. Aus einem Friseursgeschäft kamen zwei Männer mit Türsteherfrisuren; bei dem einen war erst die eine Seite frisch gemacht. Denen gelang es natürlich, den einen, der dem Geschrei zufolge Dealer war, der mit dem Kind war sein Kunde, nach weiter hinten in die Altstadtgasse abzudrängen, wo sage und schreibe der Gesangsverein Gemütlichkeit mit Th (seit 1862) schon seit dem Morgengrauen sein traditionelles Herbstfest mit Rievkoche samt handgemustem Apfelbrei im bläulich schimmernden Halbschatten eines hierfür eigens aufgebauten Zeltes abhielt.

Die Brezel war schrecklich. Wir schauten andauernd auf die Uhr. Bis auf zwei Frauen, die eine im weinroten Hijab, die andere in samtigem Grün, die wir fortan Backbord und Steuerbord nannten, gab es absolut überhaupt gar nichts zu sehen. Interessanterweise schien die Rheinfantasie mit dem Strom deutlich schneller unterwegs als bei der Hinfahrt nach Königswinter. Ruckzuck waren wir zurück in Bonn.