Tzschoppe

von 
Brief
zitiert nach: Hans Bender [Hrsg]: Klassiker des Feuilletons, Stuttgart 1967. S. 19-23.

Nicht von Jean Pauls unsterblichem Schoppe soll dies Blättchen reden, sondern von dem verstorbenen Herrn von Tzschoppe, weiland Königlich preußischem wirklichen Geheimen Oberregierungsrate und Präsidenten des Oberzensurkollegiums in Berlin. - Ob wohl die Leser ein Gefühl verstehen werden, das ich ihnen zuerst beschreiben will? -Wandelnd im Lichte seiner Gedanken, sich anschmiegend an Gott und das göttliche Leben der Geschichte, bewegt vom Drang des innersten Herzens und in sich frei geworden, frei vom fesselnden Buchstaben des Gesetzes, frei von den trüben Beklemmungen des irdischen Dunstkreises, demütigt plötzlich unsern Stolz, entmutigt unsern Glauben die kläglichste Anforderung des irdischen Daseins. Einem Schmetterlinge nachjagend, verirren wir uns in einen Blumenhang, aus dem uns ein Büttel vertreibt.

Auf der Landstraße schlendernd und still für uns mit dem Weltgeist redend, fährt uns die Wegepolizei mit einem Verlangen nach unserm Passe an. Die redlichsten Wünsche werden verdächtigt, die Keime und Blüten des in uns wachsenden Dranges nach geistiger Bewährung werden mit roher Hand abgeknickt. Man kann von den Zitronen und Orangen Italiens schwärmen, von Roms Größe und Neapels Schönheiten, und die Polizei untersagt dir, hinzureisen. Man nennt das die Zivilisation und die moderne gesittete Gesellschafft.

Mit Gefühlen dieser Art habe ich mehrere Male in der Behrenstraße zu Berlin vor dem Kasinogebäude, wo Herr von Tzschoppe wohnte, gestanden. Die Umstände machten es mir zur unumgänglichen Bedingung, wenn ich in Berlin unangefochten bleiben wollte, den Chef des gesamten allgemein literarischen Verdächtigungswesens zu besuchen. Wehmütig schlenderte ich Unter den Linden, um mir den Mut zu holen, bei Herrn von Tzschoppe einzutreten. Es empörten sich die heiligsten Empfindungen gegen diese klägliche und demütigende Begrüßung, ich lächelte die Rebellen meines Herzens nieder, bat Gott, sich die Leiden freier Seelen in seinem Buche der ewigen Ausgleichung aufzuschreiben, und trat die Stiegen hinauf zu dem allmächtigen Polizeiwart der Literatur, von dem jetzt die preußischen Blätter eingestehen, daß er sich in Wahnsinn aufgelöst hat, in Wahnsinn gestorben ist. Ich mußte Herrn von Tzschoppe zweimal sehen. Das erstemal war er soeben geadelt worden. Es ist dies jetzt sechs Jahre her. Das zweitemal stand er auf dem Zenit seines Glücks oder war schon im Sinken begriffen. Dies war kurz vor dem Tode Friedrich Wilhelms III.

Herr von Tzschoppe war ein kleiner, noch jugendlich tuender Mann, Blondkopf, mit angenehmem Äußern. Er sprach viel und lebhaft. Sein Dialekt gehörte der schlesisch-sächsischen Mischung an, er sprach, wie man in der Niederlausitz spricht, mehr singend als sprechend. Weit entfernt, die Gegenstände zu berühren, wegen deren man ihn besuchte, sprang er auf hundert entfernt liegende Dinge über. Statt mich über die Bedrängnisse, die man meiner literarischen Tätigkeit setzte, zu beruhigen, sprach er von Norwegen und den Romanen Henrik Steffens“, die ihm mißfielen. Von Steffens sprang er auf Bernadotte, von Bernadotte auf den Bremer Walfischfang, und entließ mich mit dem Gefühl, mich in dieser Art von einem geistreichen, schlauen und durchtriebenen Kopfe - mystifiziert zu sehen. Der Erfolg bewies, daß das, was ich für Witz gehalten hatte, schon die Anfänge der Geistesschwäche Waren.

Beim zweiten Besuche hätte ich seine Krankheit voraussagen können. Herr von Tzschoppe schien mir liebenswürdiger geworden, aber es ist schlimm, wenn man, um dies zu sein, erst wahnsinnig werden muß. Statt mit mir über die fortgesetzten Bedrückungen der Presse zu reden, führte mich Herr von Tzschoppe in seine Bibliothek, zog eine hebräische Bibel hervor und sagte: „Sie müssen mir das Zeugnis geben, daß ich gebildet bin, denn ich kann sogar hebräisch!“ Dabei bestieg er eine Leiter und kletterte an einen Bücherschrank hinauf, aus welchem er ein altes Heft vergilbter Papiere holte, die mir Se. Exzellenz mit Emphase und den Worten überreichte: „Sehen Sie da, hier haben Sie meine hebräischen Präparationen.“

Nicht genug, mich auf so komische Art mit den Anfängen seiner Bildung bekannt gemacht zu haben, rühmte er die Gelehrsamkeit seines Vaters, eines Senators in der lausitzischen Stadt Görlitz, und zeigte mir eine Menge von Handschriften, die sich auf die Geschichte von Görlitz bezogen. Der arme, gewiß schon gestörte Mann hatte die Absicht, Geschichtschreiber von Görlitz zu werden. Kaum hatte er diesen Gegenstand erschöpft, so trieb ihn eine ängstliche Hast, wieder in ein anderes Gebiet der Mitteilung überzuspringen. Er führte mich von Schrank zu Schrank, um mir seine kostbaren Ausgaben alter Klassiker zu zeigen. Besonders verweilte er bei den Glossarien, Wörterbüchern, bei großen Sammelwerken und knüpfte an jeden dieser Folianten die kuriosesten Details aus seiner Studienzeit. Endlich schien ihn wieder ein Vernichtungsgedanke zu überkommen. Es fiel ihm seine inquisitorische Stellung ein, und mit einer Miene, die mir angst machte, fragte er: „Wissen Sie, wie Alba ausgesehen hat?“ Ich wußte ja, daß Alba sein Held war. Er stieg wieder die Leiter hinauf und holte mir einen alten Holzschnitt, der das bekannte Porträt des niederländischen Würgers wiedergab. „Welche Größe in diesen Zügenl“ Herr von Tzschoppe verlor sich in die tiefste und andächtigste Betrachtung seines historisch-politischen Ideals.

Endlich, um mir noch zum Schluß einen Begriff von seiner Allmacht zu geben, zeigte er auf eine geschlossene Mappe, die soeben ein Kanzleibote gebracht hatte. „Wissen Sie, was hierin enthalten ist?“ Schon erschöpft von dieser sonderbarsten aller Audienzen, schwieg ich mit leidender Erwartung. Der neue Bücher-Alba öffnete und zeigte mir eine Liste aller der Personen, die den Abend vorher unentgeltlich im königlichen Theater gewesen. Obgleich diese Liste nur zur finanziellen Kontrolle angefertigt war, so wehte es midi doch schauerlich und geheimpolizeilich an, ich mußte an die Schicksalsfäden der Inquisition und die dunkeln, verhängnisvollen Register der Santa casa denken. Mit der charakteristischen Bemerkung: „Ich war es, der Professor Raupach als Theaterdichter angestellt hat!“ entließ mich Herr von Tzschoppe. Ich wußte nicht, was diese Bemerkung sollte, verstand die Audienz nicht und war innerlich so vernichtet und gekränkt, daß ich nach dieser verkehrten, lieblosen Unterhaltung über den Lauf der Welt, über Erdenlos und Menschenschicksal, über mein eigenes Dasein, über Himmel und Erde hätte verzweifeln mögen.

Ich teile diese Charakterzüge nicht der bloßen Kuriosität wegen mit. Ich frage: Wie war es möglich, einen Mann, der so unverkennbare Spuren von Wahnwitz verriet, über das geistige Leben und den geistigen Tod von Dichtern und Publizisten entscheiden zu lassen? Ich frage, da zwei Dinge entschieden sind, einmal der Wahnsinn dieses armen Mannes und zweitens die unumschränkte Herrschaft, die derselbe zehn Jahre lang über die preußische Preßgesetzgebung ausübte, ich frage: ob diejenigen Autoren, die durch Herrn von Tzschoppe gekränkt wurden, nicht die gerechtesten Ansprüche auf Genugtuung haben?

Es ist jetzt viel für die Presse geschehen, aber noch nicht alles.