Zähne zeigen

Literaturkritik-Kritik
unveröffentlicht

Es ist ja erstmal immer gut, wenn jemand seine Meinung in Worte faßt und damit sagt: Es reicht!

Es ist ja erstmal immer hilfreich, wenn die Kritik nicht von irgendwo außen herkommt, sondern von Innen heraus, aus dem System – vom Gleichen für seinesgleichen; kollegialer  Beistand und Rat.

Letzte Woche war es wieder soweit: In der letzten Ausgabe der „Die Woche“ benutzte der Schriftsteller Matthias Altenburg den für ihn neugeschaffenen Kolumnenplatz im Kulturteil der Hamburger Wochenzeitung, um sich endlich Luft zu machen. Unter der Überschrift „Aufhören! Es reicht!“ rief Altenburg im Ton des enttäuschten Liebhabers „Agenten, Verleger und Kritiker“ dazu auf, „bis auf weiteres keine Romane von deutschen Debütanten“ mehr zu vermitteln, veröffentlichen, bzw. zur Kenntnis zu nehmen.

Das Bizarre an dieser Forderung im Zuge seiner kurzen Polemik war nicht ihr Inhalt, sondern ihr Anlaß: Altenburg war von den „Woche“-Redakteuren  nicht gegen seinen Willen beauftragt worden, den neuen Kracht, Hennig von Lange oder von Stuckrad-Barre zu rezensieren – seine neue monatliche Kolumne erscheint unter der Rubrik „Mein Buch des Monats“, und Matthias Altenburgs Buch des Monats März war wohl Ingo Niermanns „Der Effekt“.

Abgesehen davon, daß den in London lebenden Schriftsteller Ingo Niermann mangels Veröffentlichungen nun wirklich kaum jemand kennen kann, und abgesehen davon, daß Altenburgs Polemik die erste Kritik am Roman des Debütanten war – In Punkten Ton, Länge und Leidenschaft müßte dieser lang gefeilte Verriß des Schriftstellers als Kritiker gerechterweise und unter wachen Umständen in irgendeine Geschichte eingehen.

Es waren nicht einmal die lustigen Vorwürfe („Der Autor beherrscht nicht einmal die Groß- und Kleinschreibung… steigert ‚plötzlich’“ etc), die das Lesen dieser Kolumne zu einem selten gewordenen und perversen Vergnügen machten – es war die Lektüre der Gemütsverfassung des Kolumnisten selbst, die dort, unweigerlich, quasi zwischen seinen Zeilen, zu lesen bereitstand.

Erinnerungen wurden geweckt – ans letzte Jahrhundert, an eine sogenannte Tagung in Tutzing am Starnberger See, die von Altenburgs `78er Generations- und Berufskollegen Maxim Biller einberufen wurde, und auf der dieser, vor einer Gruppe von älteren und jüngeren Schreibern, eine Art Manifest festklopfen wollte, nach dem in Deutschland ab sofort andere Bücher zu schreiben wären. Biller redete damals wirr aber sehr pathetisch von „Blut, das aus den Seiten zu spritzen habe“, von den „toten Juden, die aus ihren Gräbern steigen“ und ähnlichem.

Ziel dieser vitalen Veranstaltung mit gelegentlichen Standgerichtseinlagen in den Aulen, Salons und lichten Parks der Evangelischen Akademie war aber zur Enttäuschung fast aller Anwesenden dann doch nur die literaturpolitische Positionierung von Billers eigenem Roman „Die Tochter“, der im knappen Anschluß an Tutzing bei Kiepenheuer & Witsch erschien und in dem, nach Meinung von Biller, all die von ihm selbst eingeforderten Elemente eines neuen Erzählens, das doch wieder nur ein altes war, in Vollendung enthalten waren.

Interessant ist dieser Rückblick nur insofern, daß Matthias Altenburg – aus welchem Grund auch immer – nun am Beispiel des Niermannschen Romans denselben und von allen überwunden gehofften Quark von Neuem einzufordern beginnt: Er will lebendige Figuren und findet bei Niermann nur Tote. Er will Verbindlichkeiten und kann im „Effekt“ noch nicht einmal das Problem der zeitlichen Ansiedelung befriedigend gelöst feststellen. Und obendrein noch das Problem der Groß- und Kleinschreibung. Und die Steigerungen. Selbst an den Namen der Romanfiguren findet er nichts, kein gutes Haar.

Als junger Mensch könnte man sich nun mit einem Klassiker trösten: Bloß gut, daß keiner „Die Woche“ liest. Oder man sorgt sich etwas und fragt: „Woher kommt Altenburgs Haß?“

Will sich dieser Matthias Altenburg lediglich an die Pose des sich selbst so bezeichneten „Hass und Moral Amokmanns“ Maxim Billers anlehnen, um sich für seine neue Kolumnenreihe in „Die Woche“ die für Kolumnisten nötige Aura des Fürchtenswerten anzueignen?

Oder ist es noch bitterer: hat ihn Niermanns schmaler Roman wirklich zur Vrzweiflung getrieben, war Altenburg, wie er behauptet, wirklich vor der Lektüre noch so „voller Hoffnung“?

Und ist das von Altenburg so bezeichnete „Neue Erzählen“ mit Ingo Niermanns Werk wirklich an den Abgrund gewälzt worden? Geht denn nun wirklich überhaupt gar nichts mehr?

Zwei Bücher seien allen denen empfohlen, die sich mit Altenburg fühlen:

1. „Zähne Zeigen“ von Zadie Smith, bei Droemer: Sechshundert Seiten voll mit lebendigsten Figuren aus dem Londoner Emigrantenmilieu. Keiner tot, nicht einmal leise, alle so lebendig, daß es quietscht und auf jedem Absatz zumindest eine Metapher, für die es sich weiter zu leben lohnt. Die Geschichte einer Soldatenfreundschaft ist episch und über einhundertfünfzig Jahre hinweg angelegt, spielt durchgängig in pittoresk vollgestopften Wohnungen voller lärmiger Großfamilien der Unterschicht, die pausenlos durcheinanderschreien und jeder, auch das kleinste Kind, hat eine weitverzweigte Lebensgeschichte zu bieten. Oft wird es tragisch, aber dafür erzählt man es ja. Die tragische Komik, mit der jedes auch noch so verpfuschte Leben verklärt wird, erinnert an die Songtexte von Tom Waits und für die Freunde der Genomentschlüsselung wird zum Ende hin eine weiße Übermaus gezüchtet.

2. „Offene Blende“ von Antje Rávic Strubel, bei DTV Premium:

Eine Art Variante des Gegenteils zu Zadie Smith. Die Geschichte zweier deutscher Frauen in New York. Die eine, Christiane, Tochter einer Fluglotsin aus Eisenach; die andere Leah, Fotografin aus dem ehemaligen Westen dort. Christiane gründet ein Off-Off-Theater am Broadway und nennt sich Jo, damit Leah nicht herausfinden kann, daß sie genau so eine Deutsche ist wie sie selbst. Die Frauen verlieben sich ineinander - Lesbische Liebe in New York. Es geht um Fotografie, um Licht und die Liebe, die wie ein Schatten hängt zwischen Sucher und Objektiv. Liebe als Film. Was beginnt wie „Der junge Mann“ von Botho Strauß endet wie Julio Cortazàr.

Wo Emigranten sind, deutscher Kritiker, da laß Dich nieder. Emigrantenlieder sind vertraute, sind die lebendigsten Lieder.