Roter und Weißer für alle

Weinprobe
zuerst erschienen am 29. März 2009 in Welt am Sonntag, S. 75
Nicht nur unter Kunstfreunden sind Vernissagen beliebt. Beim Galleryhopping trinkt man, was man kriegt. Aber was eigentlich? Eine große Vernissagenweinprobe sollte endlich Klarheit bringen

Vernissagen sind die Nachtklubs des 21. Jahrhunderts“, erklärte Malcolm McLaren, Erfinder des Punk, zum Abschluss des Punk-Kongresses in Kassel. Das ist jetzt fünf Jahre her. Und trotz allem - trotz Wirtschaftskrise sogar - ist es an jenen Donnerstagen, wenn die deutschen Galerien zu den Vernissagen laden, proppenvoll. Extrem, natürlich, in Berlin, wo die Galeriendichte auch nach einigen Schließungen noch enorm ist. Der Zulauf hätte Joseph Beuys gefallen, der doch immer von einer gesellschaftlichen Veränderung durch Kunst träumte. Beuys selbst hatte zu Lebzeiten angeblich bestimmt, dass auf den Vernissagen seiner Werke Blätterteiggebäck gereicht werden sollte. Ihm gefiel daran wohl das Hantieren der Gäste mit den Bröseln. Snacks sind mittlerweile eher unwichtig geworden, das Kriegsteilnehmertrauma der Hungerjahre ist der heutigen Generation von Vernissagengästen fremd. Alkoholische Getränke aber bleiben unabdingbar - und nicht nur, weil Malcolm McLaren die Galerien als Bestandteile des Nachtlebens sieht.
Schon Ernst Jünger beschrieb in seinem Drogenbuch „Annäherungen“ die aufschließende Wirkung des Alkohols. Und er unterschied dabei nach den Sorten: Die zugleich hebende wie weitende Wirkung des Weines verändere die Wahrnehmung auf eine dem Kunstgenuss geeignetere Weise als das Dämpfende des Bieres. Von Gerhard Nebel ist zumindest eine Eloge auf die inspirierende Wirkung des Weines vor der Kunst erhalten (im „Schmerz des Vermissens“); der englische Schriftsteller Kingsley Amis, selbst ein professioneller Trinker, hob unermüdlich die gesellig machende, Verkrampfungen lösende Kraft des Weines hervor.
Gewiss: Kreative trinken halt. Kingsley Amis versucht das Warum in seinem Alkoholbrevier „Anständig Trinken“ damit zu erklären, dass Freischaffende ihre Zeit, jedenfalls im Vergleich mit der übrigen Arbeiterwelt, frei einteilen können - also auch die Freiheit haben, einen Kater auszukurieren, während andere schon wieder ans Werk müssen. Das Trinken der Vernissagengäste im Angesicht der Kunstwerke ist so gesehen ein Versuch des Hinübergleitens: für einige Stunden heraus aus der Sphäre des Nichtschöpferischen, hinüber ins Reich der Kunst.
Ernst Jünger beschreibt das in den „Annäherungen“ in anderem Zusammenhang, wenn es um das Sterben geht. Dann sichtet der Hinübergleitende die bunten Schwanzfedern am Hahn des Asklepios - und taugt der nicht ebenso als Symbol eines vor Farbresten strotzenden Künstlerpinsels?
Jenseits der philosophischen Deutung wird die Galerie an solchen Donnerstagen zu einer Bar. Die Gäste ziehen dann von Tür zu Tür, machen „Galleryhopping“ - treffen Bekannte, „schauen Kunst“, gemeinsam nimmt man ein Glas.
Im Verlauf eines solchen Abends kommt einiges zusammen. Der Galerist schenkt gratis aus - und dem geschenkten Gaul schaut man eben nichts aufs Etikett.
Wir baten die wichtigsten Galerien in Berlin um Muster ihrer Vernissagenweine. Die Verkostung fand nach Feierabend im Kreise des Stilressorts wie der befreundeten „Berliner Illustrirten Zeitung“ statt. Als Eminenz gesellte sich Professor Stürmer hinzu, der bei einem Glas Frankenwein die allerwichtigste Frage beantwortete: Wann war die allererste Vernissage?
Professor Stürmer: „Vermutlich in der Antike, als die Römer sich in Griechenland vorführen ließen, welche Statuen sie gleich mitnehmen würden.“ Ob die Römer sich dazu Amphoren eines heimischen Weins (gewürzt mit Rosmarin und Honig) mitgebracht hatten, oder ob sie auf griechischen Wein zurückgreifen mussten - wir konnten das an diesem Abend nicht mehr klären; dafür hatten wir einfach zu viel zu tun, pardon: zu probieren.
Den Anfang machte besagter „Silvaner Pur Mineral 2008“, ausgeschenkt in der Galerie Barbara Weiss. Momentan zeigt man dort drei Filminstallationen von Harun Farocki. Spontane Assoziationen zum Wein: Erinnert an Ahoj-Brause, schmeckt aber im Grunde wie Wasser. Der Geruch wird mit dem von Red Bull verglichen. Gesellschaftsreporterin von Taube lobt aus professioneller Sicht: „Toller Wein - damit hält man durch.“ Und erzählt die Anekdote eines Kollegen, der angeblich im Verlauf eines Galleryhoppings ausrief: „Kommt - nach dem ganzen Roten, lasst uns mal zwischendurch Weißwein trinken, damit wir wieder nüchtern werden!“ Auch Frau Hoffmann mag den Silvaner: „Schön leicht.“ Professor Stürmer, abschließend: „Der ist ehrlich, entwickelt sich im Mund. Man muss sich an Frankenwein gewöhnen.“
Es entspinnt sich eine hitzige Diskussion um Goethes täglichen Weinkonsum. Joachim Bessing behauptet, der Dichterfürst habe sechs, vielleicht auch sieben Liter Frankenwein pro Tag verbraucht. Professor Stürmer: „Wie jeder vernünftige Mensch trank Goethe eine Flasche Wein am Tag.“
Die Galerie Crone zeigte gerade Gemälde von Harald Hermann. Auf den Vernissagen wird ein „Grüner Veltliner 2007“ vom Weingut Jamek ausgeschenkt. Das Urteil fällt einstimmig, aber knapp aus: säurebetont, insgesamt schlank, fast dürr. Die junge Galerie Cream Contemporary in der Schröderstraße zeigt aktuell Pastellkreidezeichnungen und Glasarbeiten von Karl Goerlich. Ausgeschenkt wird ein „Riesling Trocken, 2008“ vom Weingut Schmitt. Eine anwesende Rheinland-Pfälzerin, die Reporterin Britta Stuff, findet den Weißwein „süffig wie eine Schorle“. Ihr stellvertretender Ressortleiter Felix Müller behauptet, der Wein „moussiere leicht“ - doch bleibt das vage. Man findet eher „Züge einer Bowle - Aprikose oder ähnliche Steinfrüchte“, einigt sich schließlich auf „mineralisch“. Wobei Professor Stürmer, durchaus wohlwollend, einfällt: „Gestern hatte der Bankenverband einen tollen Riesling.“ Womit ausreichend hinübergeleitet war zum poshen Roséchampagner „Patrick Boivin“, den die Galerie Kicken Berlin serviert. Aktuelle Ausstellung: „Pictorialism: Hidden Modernism. Photography 1896 - 1916“. Spontaner Weingedanke: „Das ist ein schicker Schwips.“ Kritisiert wird lediglich die „Puff-Optik des Etiketts“. Aber: „Schmeckt verblüffend - besser, als er aussieht. Zu feinperlig vielleicht.“ Frau Ballschmiter: „Die Farbe: Nude - ist in.“ Herr Bessing: „Hat ein bisschen was von Badezusatz. Sprudelt beunruhigend. Man trinkt ihn wirklich nur wegen des Alkohols.“ Dann, zur Abwechslung: ein Roter. „Simply Sunshine 2008“ heißt der Vernissagenwein von Arndt & Partner, wo derzeit über die drei Schauräume verteilt Einzelausstellungen von Sophie Calle, Erik Bulatov und Mathilde ter Heijne gezeigt werden. Es lässt sich nicht ausblenden, dass die Galerie sich erst kürzlich von einigen Mitarbeitern trennen musste. So lautet das erste Weinurteil, „man setzt dort auf den Schaueffekt“.
„Am Gaumen wirkt er wie ein Granulat“ ist ein anderer Kommentar. „Kalter Glühwein im Grunde“ - harsche Kritik. Abschließend: „Ein gefährlich schlechter Wein.“
Es sollte nicht vergessen werden, dass der Weinausschank auf Vernissagen einen erheblichen Kostenfaktor für den Galeristen bedeutet - jedenfalls wenn man es wie Rudolf Kicken betreibt, der als Rotwein einen „Château des Estanilles 2000“ anbieten lässt, der im Laden knapp 17 Euro die Flasche kostet. Das Vernissagenpublikum trinkt nämlich wie das sprichwörtliche Fass ohne Boden Sämtliches ohne Sinn und Verstand. Von daher fielen die Urteile bei diesem edlen Wein noch gewissenhafter aus. Herr Bessing beispielsweise befand, „Schon die Farbe ‚rouge noir‘ verheißt Abseitiges. Man träumt von einem gigantischen Mon Chéri, das sich einem nachts auf die Brust setzen wird.“ Professor Stürmer hingegen: „Er wird beim Schlucken immer besser, hat einen guten Abgang; doch … hat was! Brombeere, gut mineralisch.“ Der Kunstmarktexperte: „Ein ‚Bitte setzen Sie sich!‘-Wein. Nicht unbedingt für die Vernissage, eher für das Verkaufsgespräch geeignet. Nach diesem Wein unterschreiben Sie alles - wirkt wie ein Whiskey-Cocktail, haut den härtesten Vernissagenhopper um.“
Auch bei Cream Contemporary gibt es einen Roten: Der „Clos Torribas 2004“ wird als „unbezähmbar, fast schon wild“ bezeichnet. „Ein Charakterwein, der entschieden vom Glykolimage der Spanier wegstreben will. Passt sehr gut zum etwas anstrengenden Programm dieser Intellektuellengalerie.“
Für die große Vernissagenweinprobe gelten natürlich dieselben Regeln wie für alle anderen Weinproben auch: Es wird kaum getrunken, nur gekostet, viel gespuckt. Dennoch mussten sich einige Tester bereits setzen. Die Urteile fallen ab und an fantasiereich aus - sind dann aber oft nicht mehr druckreif, weil zu lang oder zu weit hergeholt. Das Durcheinandertrinken diverser Weine führt zu einem sich sachte ankündigenden, geräuschmäßig als grollend zu beschreibenden Rausch. Auch das hätte Joseph Beuys wahrscheinlich gefallen: Trinkend wird das Kollektiv der Tester zu einer sozialen Plastik eines mustergültigen Vernissagendonnerstagabends in Berlin.
Galerie Christian Nagel: Geyerhof „Grüner Veltliner 2007“ vom Geyerhof. „Nagel macht ein Programm, bei dem für jeden was dabei ist, deshalb auch ein Wein, der allen schmeckt.“ Momentan sind dort Fotografien und Installationen von Till Krause zu sehen.
Der „Rheingauer Riesling 2007“ von Barbara Weiss wird als perfekter Vernissagenwein gelobt: „Man merkt, dass Frau Weiss Profi ist. Außerhalb von Galerien allerdings enttäuschend, beinahe schal.“
Der Rotwein hingegen, ein „Spätburgunder Bürgstadter 2007“: „Riecht und schmeckt nach Erdbeere - es fehlt nur noch die Pulpe. Könnte sogar an Minderjährige ausgeschenkt werden.“
An dieser Stelle wird auch das Rätsel gelöst, weshalb es auf Vernissagen eher Weißwein gibt denn Roten. Thomas Andrae von Cream Contemporary: „Weil Rotwein Flecken auf dem Boden macht.“
Man lobt den „Nebbiolo 2007“ von der Galerie Zink: „Klassisch. Hiervon würde man jederzeit auch gern eine Kiste klauen. Der Gerhard Richter der Weine.“
Eher nicht konsensfähig: der Riesling „Geil“ der Pool Gallery. Dort wird gerade „True Norwegian Black Metal“ gezeigt. Dementsprechend der Wein: „Heftiger Stoff. Gärt vermutlich in den Vernissagenhoppern weiter.“
Auch von „tiefer Strenge“ ist die Rede. Dann: ein Flaggschiff in jeglicher Hinsicht. Contemporary Fine Arts zeigt aktuell eine „Accrochage“ (französisch für eine Gruppenausstellung aus eigenen Beständen). Der Wein heißt schlicht „Jurançon“ - und löst ungeteilt Begeisterung aus: „Raffiniert gewürzte Maccarons von Ladurée!“
„Verführt, die Flasche an die Lippen zu setzen - doch halt: Ein Wein dieser Güte verlangt nach einem Mundgeblasenen vom Riedel.“
„Haschartig, harzig, grandios.“
„Ein Vabanquespiel: Der Galerist zwingt zur Entscheidung! Wein oder Kunst?“
Die auf Fotokunst spezialisierte Galerie Camera Work schenkt einen anderen Franzosen aus: Val de Loire / Château de la Presle 2007: „Erinnert an Bionade, findet wahrscheinlich auch Verwendung als Entferner für die Preiskleber von Glasrahmen.“ Frau Exner fühlt sich an den Englischen Garten erinnert. „Bärlauch und Almdudler.“
Der Rotwein von Contemporary Fine Arts hingegen? „Übelst.“
„Im Prinzip ungeeignet für den vorgesehenen Zweck.“
„Was ist eigentlich das Gegenteil von einem Aphrodisiakum?“ Der Vollständigkeit halber: Es handelte sich um einen „L’ancienne Mercerie, Faugères 2007“.
Dann macht sich große Erschöpfung breit. Einige Flaschen würden ungeöffnet bleiben müssen. Als Letztes wird der Tropfen von Galerie Zink probiert. Die Aufzeichnungen sind schwer zu entziffern:
Zu fruchtig, erstickend aromatisch. Beklemmungen im Rachenraum! Total unklar. Men weiß eigtnlich njkcht, was man davon ahletne soll?