Bloß nicht liberal werden

Rezension
zuerst erschienen am 29. April 2012 in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 17, S. 28
Der Briefwechsel zwischen dem Religionsphilosophen Jacob Taubes und dem Staatsrechtler Carl Schmitt ist das Dokument einer unmöglicher Beziehung

Die Begegnung zwischen Jacob Taubes und Carl Schmitt war das Treffen eines Auserwählten mit einem Beleidigten. Der „Erzjude“ Taubes – so bezeichnete er sich selbst – gehörte zu jenen, „die da sind von Israel, welchem gehört die Kindschaft und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen“, wie es Paulus im Römerbrief geschrieben hatte. Taubes war ein Sohn des wirklich von Gott auserwählten Volkes. Am 25. Februar 1923 in Wien in eine ostjüdische Familie chassidischer Tradition hineingeboren, die mehr als zwanzig Generationen Rabbiner hervorgebracht hatte, wurde Taubes im Alter von zwanzig Jahren in der Schweiz selbst zum Rabbiner ordiniert. 1947 wurde er zudem mit einer Arbeit zur „Abendländischen Eschatologie“ in Zürich in Philosophie promoviert.

Mit der Dissertation, die zu Lebzeiten Taubes‘ einziges Buch bleiben sollte, wurde er zu einem Wunderkind der Religionsphilosophie. Taubes arbeitete danach unter Gershom Scholem in Jerusalem, lehrte in Harvard und an der Columbia Universität in New York, bis er schließlich Anfang der sechziger Jahre an die Freie Universität nach West-Berlin kam. An der FU, mit einer Doppelfunktion als Lehrer für Judaistik und Hermeneutik institutionell einflussreich, wurde er vor allem durch sein Engagement auf der Seite der Studenten während der 68er Revolte zu einer charismatischen Figur. Zu dieser Wirkung trug auch bei, dass er damals zu den wenigen international agierenden Professoren der alten Bundesrepublik mit West-Berlin als ungeliebtem Außenstützpunkt zählte, der Gott und die Welt kannte. Taubes wusste immer, was gestern in Paris diskutiert worden war und morgen in New York diskutiert werden würde. Herbert Marcuse gehörte zu seinen Freunden, in Harvard war Susan Sontag seine Schülerin, er war unter den Zuhörern, als Michel Foucault 1964 in Royaumont seinen bahnbrechenden Vortrag „Nietzsche, Freud, Marx“ hielt, und er hatte mit Ingeborg Bachmann in Prag einen Tag lang Kafkas Grab gesucht, um darauf eine rote Rose abzulegen. Mit Bachmann verband ihn eine kurze, heftige Liebesbeziehung, die ihren Niederschlag, talmudisch verkleidet, in ihren Gedichten und seinen Briefen fand.

Dagegen kam Carl Schmitt von unten. Am 11. Juli 1888, dem Drei-Kaiser-Jahr, im sauerländischen Plettenberg geboren, entstammte Schmidt dem katholischen Kleinbürgertum, der beleidigtsten Schicht im preußisch-protestantisch dominierten deutschen Sprachraum. Einer Schicht, der auch Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Martin Heidegger angehörten. Der Erste, der diese drei und Carl Schmitt in einem Atemzug und Satz nannte, war Jacob Taubes in einer 1985, kurz nach Schmitts Tod am 7. April, in der „taz“ erschienenen Würdigung des Staatsrechtlers unter dem Titel „Ein Apokalyptiker der Gegenrevolution“. Der Text wurde, als er zwei Jahre später, um einen Brief zwischen Taubes und Schmitt erweitert, im Merve-Verlag unter dem Titel „Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung“ erschien, kanonisch: als Dokument einer eigentlich unmöglichen Beziehung.

Der als Hitlers Kronjurist übelst beleumundete Schmitt zeigte sich darin Arm in Arm mit dem ewigen jüdischen Revolutionär Taubes, um sein Haus in Plettenberg spazieren gehend. Das war nicht nur im Klima einer sozialdemokratisch, auf plattes, antiradikales Demokratie-Bekenntnisdenken gebürsteten Bundesrepublik frappierend, es widersprach auch Taubes‘ bis dahin strikt durchgehaltener Praxis, nach der es kein vermittelndes Gespräch zwischen Deutschen und Juden geben könne. So hatte Taubes einmal eine Einladung zu einem evangelischen Kirchentag, auf dem er den „Dialog zwischen Juden und deutschen Christen“ in Gang bringen sollte, mit der Begründung abgelehnt, dass es nichts zu reden gebe zwischen Juden und deutschen Christen: „Die Juden, mit denen ihr zu reden hättet, liegen alle auf dem Friedhof!“, hatte Taubes gesagt.

Was also wollte er von Schmitt? Und warum ließ sich Schmitt auf den Kontakt mit jemandem ein, den er in grausam antisemitischen Texten als Feind markiert hatte? Man kann das komplexe Geflecht der Gründe, welche die Antipoden zusammenführte, jetzt anhand des Briefwechsels verfolgen. Die kritische und gründlich kommentierte Ausgabe umfasst, neben Briefen an Dritte, 47 Briefe, die Taubes und Schmitt zwischen 1955 und 1980 wechselten. Dabei darf man sich den Briefwechsel nicht als eine kontinuierliche Auseinandersetzung vorstellen. Er begann mit einer Anfrage von Taubes an Schmitt. Taubes wollte zu der Zeit in Amerika einen Band über die konservative Denktradition herausgeben, in dem auch Schmitt vertreten sein sollte. Dass aus dem Vorhaben nichts wurde, bestimmte die Verbindung bis zum Ende. Alle Versuche, die immer von Taubes ausgingen, Schmitt in seine Vorhaben hineinzuziehen, scheiterten. Und von heute aus kann man nur sagen: zum Glück.

Der Briefwechsel erreicht seine höchste Intensität in den Jahren von 1977 bis 1980. Schmitt war 1977 fast neunzig Jahre alt, und Taubes hatte gerade seine erste schwere Lebenskrise überstanden. 1975 erlitt er einen psychischen und physischen Zusammenbruch, der ihn über ein Jahr der Obhut der Psychiatrie überwies. Es waren also zwei alte Männer, die ihren Zenit auf je verschiedene Weise schon überschritten hatten, die hier in Kontakt traten. Und es ist die ernüchterndste Erkenntnis aus diesem Gespräch, dass es dabei zu keiner Kooperation kam, die in etwas Neues, Drittes mündete. Beide verharrten auf ihren Standpunkten, die sie gelehrt, anspielungsreich und höflich austauschten. Sie fielen in ihren Gedankenbewegungen parallel nach unten, ohne dass auch nur die geringste Vision aufschien, dass diese Parallelen sich in der Unendlichkeit womöglich schneiden könnten. Damit ist dieser Briefwechsel ein Dokument des Scheiterns einer Anstrengung, die darauf hinauslaufen sollte, rückwirkend den Lauf der Geschichte in anderen Bahnen zu denken.

Taubes und auch Schmitt wollten mit ihrem Dialog demonstrieren, dass es in den Bürgerkriegssituationen zwischen Linken und Rechten in der Weimarer Republik auch noch andere Möglichkeiten gegeben hätte, als die, die dann mit dem Sieg der Nazis zumindest für die Linken tödlich wurden. Ihr Ausgangspunkt war dabei ein Brief. 1930 hatte Walter Benjamin Carl Schmitt einen Dankesbrief geschrieben, in dem Benjamin auf die Übereinstimmungen zwischen seinen kunstphilosophischen Betrachtungen und Schmitts staatstheoretischem Denken hinwies.

Der Brief, dessen Existenz Schmitt 1956 in einer Studie über „Hamlet und Hekuba“ öffentlich machte, sollte für die Möglichkeit stehen, dass sich rechte oder konservative und linke Ansichten sozusagen im geistigen Austausch treffen können, ohne sich wie im realen Bürgerkrieg die Köpfe einzuschlagen. Und über den Abgrund der wirklichen Geschichte hinweg wollten sich dann zwei im Nazismus zu Todfeinden gewordene Veteranen des Überlebens die Hand reichen, um ihren Frieden im radikalen Denken zu machen, ohne liberal werden zu müssen.

Das war nun ein Vorhaben, das unter bemerkenswert illusionslosen Vorzeichen stand. Taubes wusste um und rechnete mit Schmitts Antisemitismus. Ein Antisemitismus, der so tief reicht, dass Schmitt 1924, als er Chaplins Film „The Kid“ im Kino sah, in sein Tagebuch als Kommentar nur notierte: „Dreck, jüdische Sentimentalität.“ Taubes machte diesen Antisemitismus für sich kompatibel, indem er ihn als legitim deutete. Schmitt sei ein legitimer Antisemit aus der katholischen Tradition, aus der Tradition einer Kirche, die es überhaupt nur gebe, weil die Juden nicht zu Gläubigen an den Gottessohn geworden seien. Es könne also keinen Katholizismus ohne einen Schuss Antisemitismus geben, lautete Taubes‘ Argumentation, und Schmitt sei derjenige, der das nicht nur gewusst, sondern auch ausgesprochen habe.

Das ist eine Überlegung, die Taubes viel Hass und Verachtung eingebracht hat, ohne dass sie dadurch falsch geworden wäre. In Taubes‘ geschichtsphilosophischer Inszenierung des Treffens mit Schmitt kam dann noch hinzu, dass Schmitt von Beruf Jurist war und Juristen gar nicht anders können, als staatliche Verhältnisse, ganz gleich in welcher Form, zu legitimieren. Vom Staat lebten sie schließlich, der Staat sei es, der ihren Beruf erst geschaffen habe.

Damit trafen für Taubes in diesem Dialog zwei Verkörperungen der Tiefenstruktur der Geschichte aufeinander, seit es die monotheistischen Religionen gibt. Geschichte war demnach nichts anderes als der Kampf zwischen Revolutionen und dem Versuch, Revolutionen aufzuhalten, zu bekämpfen und niederzuschlagen. Es mag zwar Perioden des Friedens gegeben haben, aber wenn man genauer hinschaut, erscheinen sie doch immer als biedermeierliche Entpolitisierungen, welche die wirklichen Gegensätze nur bemänteln, ohne sie zu überwinden.

In dieser Überzeugung und der damit einhergehenden Verachtung jeder liberalen Synthese waren sich dann der Apokalyptiker von links (Taubes) und der von rechts (Schmitt) so einig, dass sie übersahen, dass ihr Gespräch als ein Paradebeispiel für das Funktionieren eines wirklichen Liberalismus gelten kann. Nur weil sich der eine beim anderen mit seinen Überzeugungen nicht durchsetzen kann beziehungsweise es auch gar nicht will, nur weil sie ihr Gespräch im Schutz auch staatlicher Alimentierung als Professor und Rentner führen, geht es so zivil zu. Dass sie sich dabei auch respektieren und als Apokalyptiker hochschätzen, versteht sich fast von selbst.

Zu klären bleibt da nur, was ein Apokalyptiker ist. Ein Apokalyptiker befindet sich am letzten Tag, am Tag des Zorns: Er sieht das Ende der Zeit und beschreibt, was er sieht. Eine Position, die Taubes und Schmitt immer dann am besten beherrschen, wenn sie sich gerade nicht mit den irdischen Mächten einlassen und stolz die Dokumente ihres direkten Zugangs zur Macht herzeigen. Bei Carl Schmitt sind das dann Dinge wie die Erzählung von einer Reise nach Rom zu Mussolini, auf die ihn Hermann Göring geschickt hatte. Bei Jacob Taubes ist es seine Angeberei mit den Intrigen, die er gerade mit dem West-Berliner Senator Peter Glotz spinnt, um seinen Fachbereich neu zu ordnen. Das wirkt zwar manchmal auch peinlich, es ist aber vor allem deshalb hochspannend, weil es zwei Intellektuelle als Symptome ihrer Zeit zeigt – und nicht als deren Beherrscher.