Die Mannschaft

Reportage
zuerst erschienen im Januar 2005 in brand eins
Niemand hatte mit ihnen gerechnet. Dann gewannen sie in Athen eine Goldmedaille. Und plötzlich waren die deutschen Hockeyspielerinnen Stars. Wie es dazu kommen konnte? „Es geht nie um dich. Es geht um …“

Es lässt sich keine gute, sofort zu verstehende Erklärung dafür finden, dass die deutsche Damen-Hockey-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in Athen die Goldmedaille gewonnen hat. Warum war das Team in den entscheidenden Momenten so gut? Es hat die Niederlande im Endspiel geschlagen. Noch einmal: die Niederlande! Im Frauenhockey schlägt eigentlich kaum jemand die Niederländer. In Endspielen erst recht nicht, da machen das höchstens mal Australien oder Argentinien, wenn ein besonderer Tag ist und sich die Niederländer schlagen lassen. Die sind so gut, dass man sie nur schlagen kann, wenn sie zu lässig sind. Bei einem Endspiel ist aber niemand lässig.

Wenn man mit den deutschen Spielerinnen spricht oder mit Markus Weise, dem Trainer, findet man schon Gründe. Keinen Übergrund, aber viele Gründe, die man versteht, die man als Fundament des Erfolgs sehen kann. Mehr Training als früher beispielsweise. Neuer Trainer, neue Methoden, neuer Psychologe. Simpel. Einleuchtend. Aber nicht genug. Training allein ist nichts: Niemand trainiert so viel wie die Chinesinnen, 363 Tage im Jahr. Aber wenn sie körperlich auf dem Punkt sind, ist die Kreativität weg. Die Muskelroboter spielen mechanisch, ohne Esprit. Training allein ist keine schlüssige Erklärung, nur ein Faktor.

Genauso wenig reicht das gern benutzte Wort Motivation. Bei den Olympischen Spielen ist jeder motiviert. Der Übergrund, an dem es wirklich gelegen hat, ist am allerbesten zu fassen, wenn man mit Julia Zwehl spricht. Das klingt seltsam, denn sie ist die zweite Torhüterin gewesen. Dazu muss man wissen: Zur Olympiade dürfen 16 Spielerinnen, 11 sind immer auf dem Feld. Es gibt fliegende Wechsel, das Spiel ist sehr schnell, dagegen wirkt und ist Fußball behäbig und ruhig. Das liegt unter anderem an dem Tempo des Balles nach einem guten Schlag. Das satte Geräusch sagt alles. Außerdem gibt es kein Abseits, was das Tempo weiter erhöht. Es fehlen Verschnaufpausen, und die ganze Zeit wird richtig gerannt. Deshalb gibt es keine Ersatzspielerinnen, irgendwann muss jede mal aufs Feld. Mit einer Ausnahme: der zweiten Torhüterin. Die hat absoluten Außenseiterstatus.

Julia Zwehl ist 28 Jahre alt und spielt seit 20 Jahren Hockey. Sie lebt in Hannover und spielt in Braunschweig. Die Vereine sind schwach, verglichen mit denen der Profi-Nationen Niederlande, Argentinien, Spanien. Pakistan spielt im Gegensatz zum Männerhockey bei den Frauen keine Rolle, was an der Religion liegt - Frauen dürfen keinen Sport treiben. Julia Zwehl erzählt in einem Cafe in Hannover von Athen, und wenn man sie drei Stunden reden hört, kommt man nicht auf die Idee, dass sie dort nur ein Spiel hatte. Sie sagt, drei Tore habe sie in der Vorrunde gegen Südafrika kassiert. Südafrika gehört zur erweiterten Weltspitze, Weltranglistenplatz sechs, Deutschland ist auf Platz sieben. Aber sie haben gekämpft. Und das kann eigentlich nicht sein, dass eine, die nur einmal spielen durfte, so vom Team schwärmt, so euphorisch vom Gemeinschaftsgefühl berichtet. Später sagt sie einen Kernsatz: „Es geht nie um dich, es geht um die Mannschaft.“ Julia Zwehl macht einen offenen, ehrlichen und vor allem cleveren Eindruck. Hockey ist in Deutschland ein elitärer Sport, was für Studentinnen. In den Niederlanden ist es Volkssport, es gibt sogar echte Profis. In Deutschland spielen nur Frauen, die ein langes Studium mit vielen Freisemestern planen oder halbe Jobs machen. Die Vereine sind meist Tennis- und Hockeyklubs, wobei Tennis nach dem Boom inzwischen an Status verloren hat. Hockey dagegen ist immer noch etwas Besonderes. Die Mitgliedsbeiträge sind höher als bei anderen Sportarten. In der gerade aktuellen, 18. Auflage der „Regel-Fibel Hockey“ stehen auf Seite sieben Antworten auf die Frage: “ Warum macht Hockey so viel Spaß?“ Eine ist: “ Weil nicht jeder Hockey spielt.“ Das liegt auch daran, dass Hockey bisher kaum gesponsert wurde, Frauenhockey schon mal gar nicht. Von den fünf bis sechs Milliarden Euro, die jährlich ins Sponsoring fließen, gehen rund 63 Prozent in den Sport. Das meiste, klar, in den Fußball, im Jahr 2000 waren das 36 Prozent. Es folgen Formel 1 und Motorsport (14 Prozent), Tennis (13 Prozent), Fun- und Trendsportarten (12 Prozent). Danach bröckelt es über Basketball, Golf, Leichtathletik, Eishockey, Schwimmen und Boxen bis zu Volleyball (2 Prozent). Hockey kommt in der Statistik nicht vor. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sponsoren wollen Großereignisse und Medienpräsenz. Erstere gab es bisher nicht, weil Letztere fehlten, und Letztere fehlten, weil es Erstere bisher nicht gab. Allerdings ist jetzt zumindest der Mythos gestorben, Hockey sei nicht fernsehtauglich, weil zu schnell: Die Spiele in Athen wurden visuell exzellent umgesetzt.

Andererseits ist der Deutsche Hockey-Bund (DHB) für die Situation auch mit verantwortlich: In der Geschäftsstelle arbeiten gerade mal sechs Angestellte, hinzu kommt, dass sich die Vereine untereinander uneinig sind. Allerdings hat der DHB anfang 2004 die Kölner Agentur Sponsor ad/d als professionellen Partner zur Vermarktung der Nationalmannschaft engagiert, und die hatte nach dem Olympiasieg einen ersten Erfolg zu vermelden: Der koreanische Autobauer Hyundai wird in den nächsten Jahren zumindest die Nationalmannschaften fördern. Hilfreich bei dieser Entscheidung war, dass Deutschland in absehbarer Zukunft Austragungsort für internationale Feldhockey-Wettbewerbe sein wird: 2005 findet die Herren-Europameisterschaft in Leipzig statt, 2006 die Herren-Weltmeisterschaft in Mönchengladbach. Das eröffnet für die deutschen Vereine ziemlich sicher neue finanzielle Perspektiven: In den Niederlanden finanziert die Rabobank Hockey schon lange, und dort ist es heute, wie gesagt, ein Volkssport.

Dass es bei uns anders aussieht, ist aber nicht nur schlecht: Immerhin führt es dazu, dass nur die Hockey spielen, die wirklich Spaß daran haben - als Karrieresprungbrett ist dieser Sport denkbar ungeeignet. Man muss es wollen. Das führt dazu, dass beim Hockey die Wahrscheinlichkeit, auf eloquente, smarte Frauen zu treffen, höher ist als bei den meisten anderen Sportarten, Schach mal ausgenommen.

Es ist möglicherweise relativ leicht, ein schlichtes Gemüt dazu zu bringen, eine Mannschaft zu lieben, die ihn als einzigen Ersatz braucht, aber sicher nicht Julia Zwehl. Sie lebt Hockey und war sogar schon 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney dabei, wie die Mehrheit der Mannschaft: Im deutschen Team von Athen waren 9 von 16 Spielerinnen vier Jahre zuvor bereits dabei - und erlebten ein Desaster. Vor Sydney hatte es geheißen, die Deutschen gehören zu den Favoriten. Dann wurden sie Siebte. Sie waren schon gut, hatten große Momente, aber Glück und Zufall spielen eben auch eine Rolle. Wer Gold will, muss so gut sein, dass er mit Unplanbarem umgehen und auf dem Platz improvisieren kann. Das Fundament, der Körper, muss stimmen. Aber dann kommt noch etwas dazu: der Kopf.

Das Motto für Athen lautete: ganz oder gar nicht. Also legten sie Urlaubssemester ein und kündigten Nebenjobs In den vier Jahren zwischen den Spielen stürzten die deutschen Frauen tief. Nicht ein einziges Mal wurden sie zur Champions Trophy geladen. Da spielen jedes Jahr die sechs besten Mannschaften, also die Niederlande, Argentinien, Australien, China und zwei weitere. Auch sonst waren die deutschen Frauen bei keinem Turnier auch nur halbwegs wichtig. Keiner hatte sie auf dem Plan, niemand Angst vor ihnen. Puma, der alte Sponsor, ließ den Vertrag auslaufen. Auch die Qualifikation für Athen gelang nur knapp. Dort erst kamen die Spielerinnen aus der tiefen Nacht ans helle Licht. Als sie Gold gewonnen hatten, bekamen sie vom Verband T-Shirts, „auf denen so ein Spruch war mit dem Wort Gold“, erzählt Julia Zwehl. Die T-Shirts waren in Herrengrößen, denn mit den Herren, Welt- und Europameister, hohe Favoriten, hatte der Verband gerechnet. Mit den Frauen nicht.

Julia Zwehl erinnert sich an 2003: „Es ging darum: Was wollen wir?“ Die Frage stellten sich die Spielerinnen, weil sie der neue Trainer vorgab. Die Antwort war: Wir konzentrieren uns voll auf Athen. Markus Weise gab das Motto aus: „Ganz oder gar nicht“. Freisemester wurden eingelegt, Nebenjobs gekündigt. Trainingsanforderungen hochgeschraubt. Sie knieten sich mehr rein als vier Jahre zuvor. „Wir sagten, wir brauchen die körperlichen Voraussetzungen, damit wir uns da nichts vorwerfen müssen, falls es wieder nichts wird.“ Und dann war da der neue Trainer.

Eine Woche später in Mannheim. Trainer Markus Weise hat noch ein Beispiel für den Einsatz. Bei den letzten Vorbereitungstreffen, intern Schweinelehrgänge genannt, waren 18 Spielerinnen dabei. Zwei, Britta von Livonius und Alexandra Kollmar, wussten definitiv, dass sie nur Ersatz sind. Es war klar, dass sie nicht mitfahren, außer es passiert etwas Schlimmes. Sie sahen Olympia später auf dem Bildschirm und wussten vorher, dass sie nicht dabei sein würden, als sie sich bei den Lehrgängen quälten. „Aber es war nicht zu erkennen, wer Ersatzfrau ist“, sagt der Trainer. Er sagt auch, da hätte er etwas geahnt. Markus Weise betont: In den Bundesliga-Vereinen ist das Training nicht wirklich gut. Da sind neben den Nationalspielerinnen Frauen, die zu spät von der Arbeit kommen oder von der Uni, die ab und zu nicht können und eigentlich doof wären, wenn sie sich richtig reinhängten für 18 Bundesliga-Spiele pro Jahr. Der Abstand zwischen Bundesliga-Niveau und Nationalmannschafts-Niveau ist weit größer als der zwischen Fußball-Bundesliga und Nationalmannschaft. „Die Gefahr ist immer groß, dass sich gute Spielerinnen dem Niveau nach unten anpassen. Sie sind konstant unterfordert im Verein.“ Deshalb bekommen die Nationalspielerinnen exakte Trainingspläne. Fünfmal die Woche so und so lange laufen, Kraftübungen, Technikübungen, Schlagtraining, Sprint - und Schnelligkeitssachen. Vielleicht kommt eine auch mal zum Vereinstraining, aber meist findet das Training der Nationalspielerinnen allein statt. Es ist ziemlich viel, es ist einsam, und es gibt keine Kontrolle. Sie müssen den inneren Schweinehund jedes Mal allein überwinden, zwei-, dreimal am Tag. Aber Julia Zwehl sagt: „Ich konnte immer davon ausgegeben, dass die anderen auch trainieren, wenn ich trainiere. Ohne Zweifel.“ Der Trainer sagt, das Wichtigste sei die Motivation. Das heißt: Man muss dasselbe immer wieder anders sagen können Auch im Hockey kommt es heutzutage immer mehr auf die Physis an - niemand kann sich allein mit Technik oder Kreativität durchmogeln. Aber vor allem ist die Motivation wichtig. Markus Weise erzählt, was zwischen den Spielen an Motivationsakrobatik lief. Er ist 42 und hat früher in Mannheim gespielt. Im Hockey ist es immer so, dass Spieler auch Trainer von Jugendteams sind - so verdienen sie ein bisschen Geld. Er hat Betriebswirtschaftslehre studiert und ein paar Jahre bei TK Hockey Equipment gearbeitet, das ist der weltgrößte Hockeyausrüster. TK steht für Thomas Kille, der die Firma in den achtziger Jahren gegründet und sehr schnell von Mannheim aus zum Weltmarktführer gemacht hat. Weise betreute auch mal zwei Jahre beim Arbeitsamt Mannheim Langzeitarbeitslose. Aber immer arbeitete er als Trainer, beim TSV Mannheim oder beim Landesverband, dann auch als Trainer der U-21-Frauen-Mannschaft des Deutschen Hockey-Bundes. Von da aus kam Markus Weise kurzfristig ins Amt.

Sein Vorgänger gab sechs Wochen vor der Europameisterschaft 2003 in Barcelona auf. Es musste schnell gehen mit der Trainerfindung. Weise, der gerade ein halbes Jahr die jüngere Mannschaft betreut hatte, gehörte zu den Favoriten. Doch er lebt mit Fanny Rinne zusammen. Die ist Hockey-Nationalspielerin, also könnte das ein Problem sein oder werden. Der Verband hat ihn trotzdem bestimmt. Von da an war vieles anders.

Er sagt: „Es waren sechs Wochen bis zur EM. Danach sollte für Olympia entschieden werden.“ Das Team wurde Dritter. „Ordentlich“, sagt Weise. Mehr hatte keiner erwarten können. Er bekam einen Vierjahresvertrag. Die Schlüsselerfahrung war: gute Spielerinnen, „es fehlt aber die Wettkampfstabilität“. Seine Aufgabe war, „ein stabiles Wettkampf-Ich zu schaffen“. Weise sagt von sich, er sei ein emotionaler Trainer. Aber er liest auch viel, aus jedem Buch zum Thema Sport oder Psychologie oder Motivation holt er etwas raus. Ein großes Problem sei, dass Motivationsansprachen von Trainern schnell an Wirkung verlieren. Dieses Jetzt-geht-es-um-alles nutze sich einfach ab. Eine wichtige Aufgabe des Trainers sei es deshalb, die gleichen Inhalte immer wieder mit anderen Worten zu wiederholen. Wenn er von der Vorbereitung für Motivationsansprachen erzählt, ahnt man, wie er mit Büchern, die sonst Manager lesen, etwas Philosophie und viel Menschenverstand am Abend vorher eine feurige Rede zimmert.

An einen möglichen Erfolg wurde kaum gedacht. Wichtig war, was jede Spielerin persönlich erreichen wollte Für die Mannschaft holte er zuerst mal einen neuen Psychologen. „Das war ein Angebot, es wurde niemandem aufgezwungen. Es ging nur, wer wollte.“ Es gebe immer welche, die diese Zeit nur absitzen oder nicht hingehen. Vor allem bei Einzelgesprächen. Mit dem neuen Psychologen Axel Esser klappte es besser, es gab mehr Einzelgespräche und bessere. Weise sagt: „Wettkampfsport ist eine Auseinandersetzung des Willens. Wenn ich den Gegner zwingen kann, auf mich zu reagieren, ihm meinen Willen aufzwinge, gewinne ich.“ Er lacht, weil wir zum vierten Mal an den Punkt kommen, an dem einer von uns sagt: „Das klingt schrecklich banal.“ Weise weiter: „Ganz banal, es gibt zwei Möglichkeiten auf dem Feld: total aktiv oder eben passiv. In einigen Spielen werden selbst gute Spielerinnen manchmal zu normalen Menschen, die die Hosen voll haben.“ Es gebe Trainings-Weltmeisterinnen. Andere gehen ins Spiel mit einem „Gucken wir mal, was rauskommt“. Und es gebe klassische Mitläuferinnen. „Wenn es gut läuft, spielen sie gut. Also war klar, wir müssen die Einstellungen bearbeiten. Alle müssen sich aktiv einbringen.“ Zu Beginn der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele schrieb jede Spielerin zwei Zettel. Alle Spielerinnen erzählen davon, sie nahmen die Zettel sehr ernst. Jede hatte aufzuschreiben, was sie erreichen will. Zwei Zettel, erklärt Markus Weise, weil es um zwei Sachen ging. „Einmal Erfolgsziele. Also, wo will ich in Athen landen.“ Keine schrieb Olympiasieg. Halbfinale kam, aber auch nicht oft. Eine hat geschrieben, sie will aufs Treppchen. Aber das sei unwichtig, Erfolgsziele sind egal. „Wichtig sind die Leistungsziele. Ein: ,Ich will kaputt vom Platz gehen‘ ist Hasse. Eine Spielerin schrieb: ,Ich will alles reingeben, keine Ökonomie‘.“ Die Zettel hingen überall, bei jedem Schweinelehrgang und später im Olympiaquartier. Die Erfolgszielzettel tauchten nicht mehr auf.

Weise beschloss, kein Ziel zu setzen. „Wir hatten keine Erfolge vorzuweisen, die ein Erfolgsziel gerechtfertigt hätten.“ Das Erreichen des Halbfinales wurde als wünschenswert angesehen, weil es dann weiter die bisherige finanzielle Unterstützung der Sporthilfe für die Spielerinnen gegeben hätte. Sie ist leistungsabhängig. Julia Zwehl sagt: „Wir wollten Fünfte bis Zehnte werden, damit wir unsere Stufe bei der Sportförderung halten.“ Das bedeute eine Bahncard, die man auch privat nutzen kann. Oder bezahlte Kontaktlinsen. 150 Euro oder so Grundhilfe im Monat, dazu noch kleine leistungsabhängige Summen. Aber nicht viel.

Die Spielerinnen hatten also Leistungsziele, sie trainierten hart, ließen alles andere schleifen. Ganz oder gar nicht. Wer nicht mitzieht, ist nicht dabei. Julia Zwehl: „Anfangs waren 25 Spielerinnen bei den Lehrgängen, nach und nach hat sich die Spreu vom Weizen getrennt.“ Einige studierten lieber. Anderen kam der Job dazwischen. Ein paar spielten im Winter die Hallensaison mit, weil die Vereinstrainer drängten. „Ich hab‘ zu meinem Trainer gesagt, ich spiel‘ nicht so viel Halle. Der hat geguckt wie ein Auto.“ “ Es gab viel Symbolhaftes“, sagt Julia Zwehl. “ Wir sind am Neujahr um sechs Uhr zum ersten Trainingslager geflogen. Und am Rosenmontag hatten wir ein Trainingslager in Köln.“ Sie hätten irgendwann „als Mannschaft gut funktioniert. Es gab mal Zoff, aber es war eine verschworene Gemeinschaft“. Der Trainer: „Die Leute waren motiviert, und die Anerkennung innerhalb der Mannschaft, im Team, war auch eine wichtige Belohnung. Dazu der Spaß an der Leistung: phasenweise total fertig zu sein, aber zu wissen, es hat sich für mich gelohnt. Und später eben auch für die Gemeinschaft: Goldmedaillen für alle.“ Franziska Gude von Rot-Weiß Köln hat gegen China einen Siebenmeter verschossen, was bitter war, fast das Aus. Im Endspiel hat sie das 2:0 gemacht. Jetzt sitzt sie auf der Tribüne der Halle, gleich trainiert sie junge Mädchen. Sie hat nach Olympia ihren Studienabschluss in Spanisch und Englisch geschafft, zuvor war sie mehrfach durchgefallen, es war ihre letzte Chance. Vor Olympia hat sie ihren Nebenjob gekündigt. In den Prüfungen hatte sie die Goldmedaille als Glücksbringer dabei. Sie sitzt im Trikot auf der Tribüne, man sieht ihre Kraft, spürt ihre Energie, eine angenehme Lässigkeit. Sie lächelt und erzählt, sagt aber nicht, dass sie ein Tor geschossen hat. Sie spricht viel vom Wir, wie Julia Zwehl und die anderen Spielerinnen. Franzi Gude sagt: “ Nach Sydney hatten wir die Motivation, es besser zu machen. Olympia ist mehr als nur ein Turnier.“ Nach Athen hat sich viel verändert: Sie wurden eingeladen zu “ Stars in der Manege“, Unicef-Galas, stellen Sportmedizinern Hockey vor. Es glaubt zwar niemand, aber die Verletzungsquote ist gering, trotz Schläger und Tempo. Heute interessiert das die Leute. Franzi Gude: „Das ist völlig ungewohnt. Früher hat sich kein Schwein um Frauenhockey gekümmert.“ Nach dem Olympiasieg hörten viele Frauen auf. Doch sie haben das Fundament gelegt für einen Neustart ihres Sports Vor Sydney habe es geheißen, die Mannschaft hätte viele Spielerinnen-Persönlichkeiten. Das habe vor Athen niemand gesagt. Es war das Team. Was sich auch danach zeigte: Alle erfolgreichen deutschen Sportler werden von Sponsoren zu einem Club-Urlaub in Griechenland eingeladen. Die Hockey-Frauen kamen zusammen und beeindruckten - ein Team, das auch privat funktioniert. Die Mannschaft ist extrem geschlossen, ein Freundeskreis. Hinzu kommt: Wer auf so hohem Niveau Hockey spielt und studiert, muss diszipliniert sein, der hat ein Top-Zeitmanagement. Das sind interessante Leute für die Wirtschaft. In den Hockeyklubs sind tatsächlich viele Leute aus der Wirtschaft. Das sei eine eingeschworene Gemeinschaft, wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aber Franzi Gude findet das nicht so schlimm.

Viele der Spielerinnen haben aufgehört nach dem Sieg. Zwar hätten sie jetzt höhere Sätze von der Sporthilfe bekommen, aber das reiche als Motivation nicht. Es gab 15 000 Euro Prämie für alle zusammen. Und es gab endlich wieder eine Einladung zur Champions Trophy, im November in Argentinien. „Das war ein grauenvolles Timing, wir waren nach Athen in einem Loch“, sagt Markus Weise. Es ist keine Olympiasiegerin dabei gewesen, sondern neue, junge Spielerinnen, die dank der Goldmedaille etwas mehr Sporthilfe bekommen. Die Mannschaft unterlag im Endspiel gegen die Niederlande 0:2. „Die waren zu stark motiviert“, sagt der Trainer. „Die hatten noch was abzuarbeiten.“ Aber das ist nicht so wild, auch hier gilt: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Und im deutschen Frauenhockey hat das Spiel gerade erst begonnen.