Bunker

Reportage
zuerst erschienen am 3. April 2002 in Magazin der Frankfurter Rundschau, S. 19 und 20
Fassung des Autors

Shaban Bozhiqi, 42, Bauer im Dorf Babje, Distrikt Librazahd, irgendwo in Mittelalbanien an einem Berg, räumt seinen Bunker auf. Seinen Bunker? „Ja, meiner“, brummt der große, knochige Mann, der eine kakifarbene Hose und ein weißes Unterhemd trägt. „Familienland, gehörte schon dem Großvater meines Vaters. Zwischendurch mal dem Staat. Jetzt wieder der Familie. Als ich es zurücknahm, stand der Bunker da.“ Das muß 1990 gewesen sein. Oder 1991. „Als der Kommunismus zu Ende war.“ Bozhiqis Hund, ein häßlicher Mischling mit zerfetzten Ohren, ist angekettet, trinkt Wasser aus einem rostigen Soldatenhelm neben dem Bunker. Der Ausblick ins Tal ist schön, viel Grün, einige Felsen, ab und zu Bunker. Vor allem Ein-Mann-Bunker. Bozhiqi hat aber einen Drei-Mann-Bunker. Sieht aus wie ein Iglu aus Beton, dreieinhalb Meter Radius innen, zweieinhalb Meter dicke Wände, eine schmale Metalltür, beim reingehen muß man sich ducken. Der albanische Normbunker eben. Die Schießscharte ist fenstergroß, im Kriegsfall sollte von hier aus die Straße im Tal beschossen werden. Drin liegen Holz, Steine, Sand, vier alte Helme, einige Kisten. „Ich will ein Lager für Heu und Holz machen“, sagt er, „dazu ist der Bunker gut“.

Auf die in seinem idyllischen, grünen Garten voller Enten, Gänse, Hühner und Hasen, höflich gestellten Fragen: „Was arbeiten Sie?“ und: „Wie verdienen Sie Ihr Geld?“ antwortet der Mann in der Adidas-Sporthose und dem offenen weißen Hemd mit der schwarz-behaarten Brust jedesmal: „Ich komme aus Vlora.“ Kastriot Hoxha, 39, ein Bär von einem Mann, 1,90 Meter groß, breit, muskulös, mit einem großen Kopf, sitzt auf einem Rattan-Schaukelstuhl in seinem schönen Garten in einem Vorort Tiranas, schaut abwechselnd auf den Springbrunnen und seine beiden Bunker. Damit die Antwort auch wirklich ankommt, sagt er nochmal: „Aus Vlora.“ Schon klar! Kein Problem! Verstanden! Vlora, eine Stadt im Süden, ist die Hochburg der Mafia. Italiener haben dort das Sagen, aber genug Einheimische haben sich drangehängt, sind reich geworden. Waffenhandel ist ein Geschäft in Albanien. Kastriot Hoxha sagt, er habe jetzt keine Lust, in sein schnuckeliges Haus im Hacienda-Stil zu gehen, seine Kalashnikov zu holen und vorzuführen. Entschuldigung, seine oder eine? „Haha, Sie sind lustig“, lacht er. Um Vlora herum wird Hanf in Massen angebaut, in den dortigen Bunkern getrocknet. Aber Kastriot Hoxha fragt nicht, wollen Sie was rauchen? Er fragt: „Ein Bier?“ und wartet nicht auf die Anwort. Ein kurzer, gebellter Befehl über die hohe Mauer und eine Minute später rennt ein junger Mann mit Flaschen heran. Kastriot Hoxha zeigt auf einen der Bunker. „Habe ich selbst bemalt.“ Kennen Sie Keith Haring? „Nein, wieso?“ Der malte auch so. „Ja? Nein, habe ich selbst gemacht.“ Was ist drin im Bunker? „Nichts!“ Kann ich mal rein, ich war noch nie in einem so kleinen Bunker? „Es sind Ein-Mann-Bunker. Die größeren waren für drei gedacht, die hier für einen.“ Könnte ich rein? Ich war bisher nur in Drei-Mann-Bunkern. „Die hier sind genauso, Eskimo-Häuschen, nur kleiner.“ Würde ich gern mal sehen. „Es ist dunkel drin.“ Da liegt eine Taschenlampe. „Kaputt.“ Ganz kurz, ich will nur mal reinschauen, von draußen, mit Tageslicht. „Der Bunker ist zugemauert.“ Ach so. Der andere aber, der mit dem schönen Steinhirsch darauf, der nicht, das ist eine Tür. „Noch ein Bier?“ Gerne. Wofür nutzen sie die Bunker? Kastriot Hoxha amüsiert sich köstlich, er lacht, grinst und gröllt: „Als Hühnerstall, huah, huah.“ Er ruft nach Bier. Ihnen geht es gut hier, schönes Haus in schönem Garten, Springbrunnen. „Ja und immer kühles Bier, noch eines?” Dann fragt er nach Keith Haring. Grafitti? Hat er mal was von gehört. Daß der Künstler tot ist, tut Kastriot Hoxha leid. „Wirklich schade.” Sind sie noch ab und zu in Vlora? „Mein Junge, Sie sind wirklich witzig.“ Er lacht und brummt gleichzeitig. „Klar, ist meine Heimat.“ Können wir ein bißchen über die Mafia reden? „Ha, so lustig.” Er lacht sich wirklich halb tot. „Noch ein Bier?“ Na gut, aber das ist das letzte, mehr vertrage ich nicht in so kurzer Zeit. „Hahaha, Sie sind wirklich witzig.“ Jeder in Albanien redet doch ständig von der Mafia. Sagen Sie mir auch mal was! „Wissen Sie was, mein Junge, ich erzähle Ihnen ein Geheimnis, weil Sie so lustig sind und weil wir am Morgen schon soviel Bier zusammen getrunken haben. Sind Sie interessiert an dem Geheimnis?“ Klar! Raus damit! Prost! „Also, ich habe eine ausländische Zeitschrift gesehen, da war ein kleiner Mann drin, mit Brille. Der war nackt und hatte auf dem ganzen Körper solche breiten, schwarzen Farbstriche. Auch auf dem Penis. War lustig. Deshalb habe ich den Bunker so angemalt.“ Haha, das war Keith Haring. „Ehrlich? Na dann Prost. Wollen Sie noch eine Flasche mitnehmen?“

Er ist ein Macher. Sitzt auf der Terrasse des Vier-Sterne-Hotels: sein Reich hier, von ihm geschaffen. Erzählt in breitem österreichisch: „Ich wollt ein Cognac-Museum reinmachen oder eine Sado-Maso-Club oder eine Disco. Sowas halt.“ Reinhard Schmidt, 48, ist Chef des Luxus-Hotels Europapark, ein Ableger des Baukonzerns Rogner. In Tirana gegenüber dem Präsidentenpalast. Die Bars und Buffets des Vier-Sterne-Hotels, das jeder Rogners nennt, sind Treffpunkte der Geschäftemacher und der Mitarbeiter der vielen Hilfsorganisationen im Land. Der einzige sichtbare Ort des Luxus im Land, ein Zeichen vielleicht, daß es doch mal aufwärts gehen könnte. Der Geschäftsführer spricht wehmütig von dem großen Bunker unter dem Tennisplatz des Hotels, direkt hinter dem Swimming Pool, eine verschenkte Chance. „Drei Jahre Kampf ums Grundstück, zwei Jahre Bauen, vier Jahre gibt es jetzt das Hotel. Das Gelände hier war für irgendein Regierungsgebäude vorgesehen, da kam die Demokratie. Der Bunker für das Politbüro war schon fertig. Ich hab ihn zumauern lassen. Schade. Aber ich hatte soviel um die Ohren, da konnte ich mir so eine Liebhaberei nicht leisten.“ Inzwischen nicht mehr. Vergangenes Jahr hat Reinhard Schmidt einen Kranwagen losgeschickt, irgendwo draußen in Albanien zwei kleine Bunker holen, für den Garten hinter dem Hotel. „Vielleicht bring ich den Hundertwasser dazu, die anzumalen. Sie sind jetzt unser Kinderspielplatz. Die Kleinen gehen gern rein oder klettern rauf. Zur Straße hin hätte man die aber nicht hinstellen können. Da sind die Albaner zu sensibel. Das ist deren Geschichte. Bunker waren ja Enver Hoxhas Hobby. Sag ich Hobby? Paranoia meine ich. Die haben ein Jahrzehnt zehn Prozent ihres Bruttosozialprodukts in Beton zu Bunkern gegossen. 700.000 Bunker, für jeden Albaner ein Bunkerplatz. Ein Bunker kostete soviel wie eine Wohnung. Deshalb die Wohnungsnot. Überall diese Pilze. Unzerstörbar. Sind ja simpel, die Dinger, aber Geld haben sie gekostet. Meine Theorie ist: Die Bunker zeigten dem Volk, Albanien ist klasse, alle würden es gerne kassieren, unser Paradies.“ Der Macher ist auch Pionier: „Die kleinen Bunker, die Briefbeschwerer, gibt es heute an jedem Souvenierstand, das war meine Idee. Inzwischen leben zehn Familien von der Produktion. Jeder Gast bekommt von uns einen aus hellem Alabaster. Die Leute freuen sich. Alabanien, das ist für viele das Land der Bunker. Perfekte Andenken, unsere Alabaster-Stücke.“ Reinhard Schmidt hat also einfach den Kranwagen losgeschickt. „Wenn ich da offiziell angefragt hätte, oh je, hätte Monate gedauert. Fünf Stempel und zehn Unterschriften braucht’s. Die Dinger sind überall, einige werden genutzt, viele stehen blöd rum. Sie sind schwer, aber sie wurden nur in ein Erdloch gesetzt. Kein Fundament, nur Gewicht. Wir haben einfach zwei mitgehen lassen. An Ostern bunte Eier drin versteckt. Die Kinder haben Spaß mit den Bunkern.“

Achtzehn Uhr. Mittagsschlaf zuende. Bashkim Salillari, 54, sieht aus, als hätte er ihn Schnaps trinkend verbracht. Er riecht auch so. Ist extrem hager. Seine Wangen- und Kieferknochen genau zu sehen, da, wo keine Knochen sind, hängt die Haut. Seine Stirn - ein Faltenmeer. Er sitzt in seinem Restaurant Fari i Detit - Scheinwerfer der See - am Strand von Durres. Hat es ganz in Blau gehalten und um einen Bunker rum gebaut. Wände, Vorhänge, Tischdecken, Überdecken, kitschige Bilder an der Wand, alles in Blautönen, nur die Bodenkacheln sind braun. Sieben Tische zwischen Säulen und Verstrebungen, in der Mitte die Rundung des Bunkers als Brunnen. Oben kommt Wasser raus, läuft am blaubemalten Beton runter, am Boden in eine Rinne, eine Pumpe bringt es wieder hoch. Lichtstrahler sorgen dafür, daß es noch blauer scheint. Bahkim Salillari trinkt Kaffee. Sein Bruder manage das Restaurant. „Ich bin für das Bauunternehmen zuständig. Schließlich bin ich Ingenieur.“ Bunkerfachmann. Er kam mit vierzehn auf die Militärschule, war am Ende Major. „Das Militär? Ich liebte es. Ich hatte 2000 Leute unter mir, war Befehlshaber der Einheit, die im Bezirk Durres für die Bunker zuständig war. Bauen, Instandhalten. Kein Bezirk hat soviel Bunker wie Durres. Es war geheime, wichtige Arbeit.“ Bunker sind seine Leidenschaft: „Bunker gehen nicht in andere Länder, wir haben damit nie jemanden angegriffen. Ich bin dagegen, sie zu zerstören. Es sieht so aus, als hätten die Bunker keinen Sinn. Stimmt nicht. Jeder hatte eine genau festgelegte Funktion. Dieser hier deckte die Bunker, die näher am Meer sind. Aus denen hätte man Schiffe beschossen, dieser hier hätte den Rücken freigehalten. Würde er heute noch.“ Wie bitte? „Der Bunker wird als Lager genutzt, in einer Stunde wäre er leergeräumt und einsatzbereit.“ Aber drumrum ist das Restaurant. „Es würde leiden. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, daß ich den Bunker im Notfall sofort zur Verfügung stellen würde. Wäre mir eine Ehre.“ 1990 gab das Militär die Bunker des Bezirks Durres den Leuten, die sie wollten. Die Miete ist lächerlich gering, „etwa ein Essen mit Wein im Monat“, sagt Bashkim Salillari. Bevor er den Bunker übernahm, nutzte ein Fischer ihn, um Netze aufzuhängen. Salillari zahlte ihm umgerechnet 2000 Mark Ablöse. Viel Geld. „Ich wollte unbedingt diesen, wegen der Lage, optimal für ein Restaurant.“ Er läßt sich Anisschnaps bringen.

Südlich von Durres, am Sandstrand. Liljana steht in der Küche des Fisch-Restaurants Barbon, brät Sardinen in der Pfanne, mit viel Knoblauch. Daneben ein zweiter alter Gasherd, eine große Kühltruhe, zwei Tische, auf denen sie Salat macht. Es ist eng. Die Hitze und der Dunst sind schlimm. Der Bunker, der Küche ist und um den zum Land hin das Lokal mit Brettern, Holzplatten und Glas gebaut wurde, hat keinen Abzug. Der Ventilator im Schießscharten-Fenster zum Meer hin, bringt nur Krach. „Aber ich kann bei der Arbeit das Meer sehen“, sagt Liljana. Und das rostige Schiffswrack, das vergangenes Jahr von Betrügern benutzt wurde, um 200 Leute auszutricksen. Die, im Hinterland geworben, hatten 400 US-Dollar für eine Überfahrt nach Italien vorausbezahlt. Sollten an einem Sonntag Morgen um fünf auf dem Schiff sein. Kamen geschwommen und verbrachten zwei Tage an Bord, bevor ihnen klar war, daß sie betrogen worden waren: Keine Elektrik, kein Motor, die Bilge voll Wasser, nur noch Rost! Das Wrack hatte schon damals keinen Namen mehr.

Endlich! Schulferien. Das heißt: Fatmir Gaxiu, 37, aus Kavaja vermietet sein kleines Haus am Strand an zwei Familien aus Tirana. Er sieht aus wie ein dicker Italiener, lacht viel, ist laut. Mit seinen beiden Schwestern, eine jünger, eine älter, seiner Frau Lumuturi, 31 und den Kindern Renato, 11, Angela, 4 und mit Großmutter Haxhie, 70, ist er in den nahen Bunker mit Meerblick gezogen. Auf dem Dach ist ein grüner Plastik-Wassertank, der herabhängende Schlauch ist die Dusche im Freien. Drinnen steht in der Mitte ein Riesen-Bett, acht Quadratmeter: Die Kinder und die Großmutter machen Mittagsschlaf. Liegt da nicht noch eine Frau? „Besuch, die Mutter meiner Frau.“ Bleibt drei Wochen. Die Schwestern schlafen in Pritschen, eingezwängt zwischen Bett und den Rundungen des Bunkers. Lumuturi Gaxiu in einem Liegestuhl. „Ist natürlich eng, ich schlafe oft im Freien“, sagt ihr Mann. „Aber es ist so: Ich habe einen Bagger, den vermiete ich, mit mir als Fahrer. Das reicht nicht. Im Sommer muß ich das Haus vermieten. Nebenan baue ich noch eines, das dauert, weil ich es nebenbei mache.“ Fatmir Gaxiu ist ein Mann, der über Sex spricht. Er grinst. „Ja, ein Problem. Aber man kann nachts an den Strand. Es gibt Möglichkeiten tagsüber, wenn die Großmütter mit den Kindern am Strand sind und meine Schwestern weg. Keine Angst! Klappt schon.“

Es ist sehr heiß, knochentrocken, staubig. Im Bunker der Familie Kosime gibt es keinen Kühlschrank. Die einzigen Elektrogeräte sind ein uraltes Philips-Radio und ein Lura TV, ein Riesenkasten, ein albanisches Produkt, noch aus der Zeit Enver Hoxhas. An der Decke hängt eine Lampe, die nicht funktioniert. Wie so oft gibt es tagsüber keinen Strom. Ein Kühlschrank wäre sinnlos, hier an der kleineren der beiden Straßen von Tirana zur Hafenstadt Durres. Bunkerfrau Nadine Kosime, 49, lagert Lebensmittel in einer Kühltasche ohne Aggregate und in einer Plastikkiste. In dem Beton-Iglu mit den dicken Wänden ist es kühl. Luft zieht durch den zwei Meter breiten, dreißig Zentimeter hohen Schießspalt rein und zur 1,60 Meter hohen Tür raus. Von hier sollten Angreifer auf der großen Straße nach Tirana, unten im Tal beschossen, werden. Die Wohnung ohne Ecken und Winkel hat eine Spanplatte als Trennwand, die an einer Ecke ausgefranst ist. Da, wo versucht wurde, sie rund zu machen, damit sie genau in den Bogen paßt. Dahinter liegt Frau und Herr Kosimes Matraze, in der Mitte des Bunkers kann man über die Trennwand schauen. Davor steht ein Regal mit Gläsern, einer Rakiflasche und einigen Coladosen. Die Töchter, Elida, 23, Naxhie, 21, schlafen auf ein Meter schmalen Pritschen, möglichst nahe an die Wände geschoben. Näher geht nicht, wegen der Bunker-Rundungen. Dazu Couch und Tisch, ein gehäkeltes Bild eines galoppierenden Schimmels, voll ist der Bunker. Neben Elidas Schlafstatt ein Gitterbettchen für Leonard und Verona. Das sind die Kinder von Elida, zwei und drei Jahre alt. Die beiden passen nur in das Bett, weil sie für ihr Alter zu klein sind. Die Wohnung der Kosimes wird von dem Lura-Fernseher dominiert. Den haben sie aus dem Norden mitgebracht, aus Peshkopia. 1991 kam Jonuz Kosime, 49, mit dem Bus in Durres an, auf der Suche nach einer Bleibe für seine Frau, die drei Kinder, sich und den Lura-TV. Er ist Automechaniker, wollte ein Heim an einer befahrenen Straße, nahe dran an der Kundschaft, fand den alten Bunker in Romanut, holte die Familie und grub ein schmales Loch, um Ölwechsel machen zu können. „Ich habe keine Urkunde, aber wir leben hier, also gehört er uns.“ Seit drei Jahren liegt auf dem TV-Gerät, als Symbol für die gute Zeit, eine Packung Lux-Seife. Nebenan hängen Zeitschriftenseiten mit Bikini-Mädchen und eine mit Cindy Crawford, die für eine Gesichtskosmetik wirbt. Der Mann ist klein, 1,60 Meter etwa, sehr mager, sein braungebranntes Gesicht wirkt knochig, keine Falten, die Haut spannt überall. Die Augen
zeigen Erschöpfung. Ganz anders Nadine, seine Frau: ein Kopf größer als er, ihr Gesicht rund, ihre Haare kurz, ihr Busen groß, sie trägt ein Sweatshirt mit der Aufschrift „Skippers Yacht Club“. Sie lacht viel. Nadine Kosime kocht im Winter drinnen auf einem kleinen Camping-Gas-Kocher. „Den Sommer verbringen wir draußen. Ich kümmere mich um die Zwiebeln und die
Tomaten.“ Davor gackern die beiden Hühner. Der junge Hund, ein Mischling, könnte tot sein, der bewegt sich stundenlang nicht. Naxhie, die jüngere, humpelt, eine Folge von Kinderlähmung, weg, als Elida erzählt, daß sie ihre Kinder nicht im Bunker geboren hat. „Im Dorf, bei der Hebamme.“ Jonuz Kosime hat jedesmal außen auf den Bunker mit einem großen Pinsel in schwarzer Farbe den Namen des Kindes geschrieben. Er ist stolz auf die Enkel. Daß deren Vater weg ist, irgendwo in Italien. „Naja, was soll ich sagen?“ Besonders stolz ist er auf Rahmen, seinen Sohn. Der 16-Jährige ist in Minnesota, mit dem Stipendium einer Hilfsorganisation. „Große, große Chance. Er wird es besser haben. Nicht, daß es uns schlecht geht, wir leben besser als im Norden. Aber es geht noch besser.“ Wenn Rahmen wiederkommt, wird es eng. „Wir sind dann wieder sieben Leute im Bunker. Wir müssen zwei Jahre durchhalten, vielleicht drei, bis das Haus fertig ist.“ Er deutet vorbei an dem grünen Plastikwassertank auf den kleinen Rohbau hinter dem Bunker. Eine Toilette ist nirgends.

Skender Kadin, 58, hat in seiner Heimatstand Kavaja 35 Jahre in einer Papierfabrik gearbeitet. Nur wenn er von dieser Arbeit redet, wird der dicke Mann mit dem runden Gesicht und den dünnen, grauen Haaren laut. „Ich habe Papier geweißelt, Dämpfe, schlechte Luft, widerlich.“ Aber als die Papierfabrik geschlossen wurde, 1991 oder 1992, das kann er nicht genau sagen, „das war ein Schreck“. Eine Zeitlang handelte er mit Wasser und Benzin. Das lief nicht gut. Dann hatte er die Idee mit dem Bunker-Restaurant am Strand. „Ich habe nur im Sommer auf. Was ich verdiene, reicht, die Familie über den Winter zu bringen.“ Seine Frau und die beiden Teenager-Töchter, die am Wochenende im Lokal helfen. Skender Kadin hat zwei kleine Anbauten drangemauert, die vermietet er als Schlafpätze. In beide paßt genau eine Luftmatraze, dann ist aller Boden bedeckt. „Das war hier früher Militärgebiet, deshalb mußte ich diese Bunker nie putzen.“ Mehrmals im Jahr hatten alle Bewohner des Ortes die Bunker außerhalb der Zone zu säubern, streichen, auszubessern. „Zwei, drei Wochenenden, ab und zu noch eine Woche Urlaub. Ich habe die Dinger gehaßt. Jetzt sehe ich es anders, mein Bunker ernährt uns.“ Er hat ihn vor fünf Jahren aufgebrochen, „ein Vorhängeschloß, keine große Sache“. Anfangs verkaufte er nur Eis und Cola, nach ein paar Wochen schaffte er sich eine Friteuse an. „Pommes liefen gut.“ Seit zwei Jahren hat er ein richtiges Restaurant, sechzehn Plätze im Anbau aus Glas und beschichteten Spanplatten. „Ich koche. Die beste Arbeit, die ich je hatte.“

Der Bunker ist, eine Seltenheit in Albanien, weiß gestrichen. Auf dem höchsten Punkt der Halbkugel steht ein Kreuz. Ein Meter hoch, aus rostigem Metall, mit Stacheldraht umgeben. Über dem Eingang des Bunkers steht in einem schwarzen Feld CAPPELLA SANTI PIETRO E PAOLO. Drinnen stehen und liegen sieben Hocker, metallene Füße, hölzerne Sitzflächen. In der flachen, breiten Schießscharte zum Meer hin ist in einem weißen Holzrahmen Fensterglas. Rot, grün und blau bemalt, Himmel, Sterne Wüste, Taube, eine Hütte, drei Männer auf Kamelen. Die Farben decken nicht richtig. An der Wand hängt Maria mit Kind. Jesus am Kreuz oben an der Decke. Wand und Decke sind seltsame Worte in einem albanischen Bunker, den Halbkugeln. Wand gleich Decke, Decke gleich Wand. Der Bunker steht in einer Touristensiedlung am Strand. Es gibt keine Touristen. Eine Zeitlang war in den Baracken italienisches Militär. Truppen, die für die UNO verhinderten, daß in Albaniens Chaos ein Bürgerkrieg ausbricht. „Das erste, was die Italiener hier machten, war die Kapelle“, erzählt Stefan, 13. Er trifft hier seine Freunde. „Wir trainieren in der Kapelle.“ Vier Jungs sind da. Sie wechseln sich ab. Immer zwei stemmen die Gewichte, die anderen erholen sich. Die Gewichte sind Metalldosen, fünf Liter Volumen, gefüllt mit Beton, immer zwei verbunden mit hölzernen Besenstilen. Auf einer Dose klebt noch ein Teil des Etiketts, griechische Schrift und das Bild einer roten Tomate.

Endlich einmal Abwechslung! Setz Dich, junger Mann. Hier, Ziegenkäse, selbst gemacht. Ja, von diesen Ziegen hier. Das sind nicht alles meine. Mir gehören fast alle Schafe hier, zwölf. Aber nur drei der Ziegen. Ich komme aus Prajce, unten im Tal, fast am See. Jeden Tag geht ein Mann unseres Dorfes mit den Ziegen und Schafen hier rauf. Einmal in der Woche ich. Zwei Kühe auch. Hier gibt es genug zu fressen für die Tiere. Jedes Mal treffe ich Orhan, immer hier am Bunker. Den haben wir beide mitgebaut. Orhan ist 74, fünf Jahre älter als ich. Er kommt aus Lin, unten am Orhid-See. Von Lin aus kannst Du nach Makedonien rüberschauen. Orhan Bashalli nickt. Was Murat Bashi aus Prajce gesagt hat, stimmt. Die Hirten sind drahtig, klein, haben unrasierte Gesichter. Beide wirken wesentlich jünger als sie sind. Haben rauhe, heißere Stimmen. Löcher in den Hosen und Jacken. Mützen auf dem Kopf. Murat hat keine Schuhe, dafür aber zwei Paar dicke Wollsocken. Im Bunker sind die meisten der Ziegen. Es ist heiß draußen, drinnen kühl. Der Bunker steht auf einem Hügel. Während Orhan und Murat erzählen, kommt eine Ziege raus aus der fenstergroßen Schießscharte, stellt sich neben sie. Orhan knufft sie, sie meckert, dreht sich, springt rein. Die Bunker mußten wir bauen. Hier oben sind drei große. Drei-Mann-Bunker. Die kleinen waren vorher schon. Wir mußten den Zement für die Großen hochschleppen, in Säcken. Ich habe immer zwei Säcke auf einmal getragen. Als Murat das sagt, lacht Orhan so laut, daß die paar Ziegen, die draußen, im flachen Schatten des Bunkers stehen, aufschrecken. Unter den Schafen, deren Fell kurzgeschoren ist, bricht Panik aus. Sie galoppieren weg. Die Ziegen bleiben. Zwei Jungs kommen. Auf einem Esel. Ziehen zwei Kühe an Stricken hinterher. Gafur, 14 und Allidri, 12, Brüder. Sie führen vor, wie gut sie den Esel im Griff haben, setzen sich sofort dazu, als Murat sagt: Erzähl von Deinem Land! Habt ihr genug Vieh und genug auf den Feldern? Hast du eine Frau, Kinder? Siehst Du den Fels da oben? Wenn die Sonne dahinter geht, muß ich das Vieh ins Tal treiben. Also erzähl! … Was? Keine Bunker?