Tränen aus Blei

Schlachtengemälde
zuerst erschienen 2000 in Viva

Jetzt sitzen sie sich am Tisch gegenüber, der Mann und die Frau. An diesem Tisch, an dem sie gegessen haben, oft auch einfach nur so gesessen haben, zum Reden, nach dem Ausgehen, auf ein letztes Glas Wein. Aber mit einem Mal ist alles anders. Mit einem Mal sitzen sie sich zwar gegenüber wie immer – das Bild stimmt; aber der Ton ist ein anderer. Der Ton ist schrecklich und beiden tut er weh.

Sie schreien sich nicht an – das haben sie schon oft getan. Sie machen sich keine Vorwürfe, sie greifen sich nicht an. Früher, bis vorhin eigentlich noch, haben sie sich gestritten, sind laut geworden dabei, haben sich gegenseitig gereizt und gestichelt und verletzt. Immer dort, wo es wehtut, immer genau dort mitten drauf. Wo, das wissen beide sehr genau, denn sie kennen sich sehr gut. Sie kennen sich in- und auswendig als wären sie Briefe, die sie sich gegenseitig geschrieben haben. Das Problem ist: sie kennen sich zu gut.

Und deshalb wissen sie auch plötzlich, dass es keinen Sinn mehr hat. Daß ihnen die Liebe abhanden gekommen ist. Daß da nichts mehr ist, oder zuwenig oder zuviel – etwas jedenfalls ist ins Ungleichgewicht gekommen, sie haben Schlagseite bekommen und jetzt muß einer über Bord. Oder eben gleich beide – Bloß raus hier! Weg von hier, auf und davon.

Deshalb werden sie auch jetzt nicht mehr laut. Deshalb streiten sie nicht weiter. Deshalb ist es gerade so gnadenlos still.

Weil jeder Satz, jedes Versprechen eine Lüge wäre. Sie haben sich aneinander zu Tode erschöpft. Jetzt schalten sie die Lichter hinter ihren Augen aus und starren sich an. Da ist überhaupt nichts mehr – kein Funke, an den man sich halten könnte, auf dass da wieder eine Flamme entstünde. Keine Wärme, kein Feuer, nur: Nichts.   

Und dann dieser Satz, die Einsicht und Fügung ins Unvermeidliche. Einer von beiden muß ihn jetzt sagen: „Ich glaube, wir sollten uns trennen.“

Der andere nickt, schaut sein Glas an, den Tisch,   sagt nichts oder wenig. Begehrt nicht dagegen auf, dass plötzlich alles vorbei sein soll: Diese Liebe, diese Jahre, dieses Stück seines Lebens. Alles was da einmal so groß und unsterblich und ewig war, soll jetzt möglichst schnell und spurlos verschwinden. Absterben, der eine vom anderen – und das, bitte, möglichst schnell. Um da nicht selbst mit abzusterben, muß man stark sein. Sich nicht stark fühlen – das ist nicht nötig und auch gar nicht möglich, aber zeigen muß man sie, die Stärke: „Ja, kein Problem, ich komme auch ohne dich klar.“

Auch allein, wenn es jetzt sein muß. Uns wegwerfen, damit ich sein kann. Stimmt: Alles ist besser, als das hier. Das, was aus ihnen geworden ist. Was aus ihrer Liebe geworden ist. Oder: Was dieses sogenannte Leben daraus gemacht hat.

Und sie stehen auf von ihrem Tisch und kehren nicht wieder daran zurück. Denn so heißt es ja vor dem Gesetz: „Getrennt von Tisch und Bett“. Aber das mit dem Bett wiegt längst nicht so schwer wie diese Trennung vom gemeinsamen Tisch. Das, was an diesem Tisch geschah; das, was dieser Tisch über die Jahre gesehen hat, das fehlt. Mit diesen Erinnerungen kommen die Schmerzen. Im gemeinsamen Tisch verborgen schläft schon von Anfang an der Trennungschmerz und wartet auf diese, seine Stunde. Dann teilt er sich auf wie das scheidende Paar und geht mit jedem der beiden mit auf dessen weiterem Weg.

Und auch nach Jahren denken beide für sich an die Zeit am Tisch zurück. Erinnern sich und fragen, wie das alles so kam. Und kommen wieder nicht drauf. Und finden auch nicht mehr dorthin zurück. Egal auch, was sie sich am Tisch damals eingeredet hatten - Es ist vorbei.   

Vorbei war es in diesem Jahr wieder für Millionen von Lieben. Von ganz frischen und ganz alten, von schrecklich schönen und einfach nur schrecklichen, von denen „In High Places“ und denen hinter der Tür nebenan. Wo es kaum jemand mitkriegt, außer den Verwandten, den Nachbarn und den Nachmietern.

Aber wer im Licht steht, lebt und liebt, muß sich auch im brutalen Licht trennen. Vor aller Augen. Dieses Licht macht nicht nur die Menschen größer, sondern auch ihre Liebe. Sie erscheint uns besonders glanzvoll, bekommt so etwas wie Vorbildcharakter. Reich und schön oder begabt oder alles zusammen – und dazu noch verliebt? Das ist traumhaft schön. Wenn so eine Prominentenliebe dann zuende sein soll, erscheint uns diese Trennung auch alptraumhaft schlimm. Und die Millionen Trennungen blenden sich aus und treten zurück in den schattigen Hintergrund, denn vorne im Licht wird dann jeder Platz gebraucht.

Platz für Veronika Ferres, die sich nach knapp zehn Jahren von Helmut Dietl trennte, für Liz Hurley und Hugh Grant – nach 13 Jahren, Dagmar und Ralph Siegel, Jutta und Rudolf Scharping, Yvonne und Klausjürgen Wussow, Demi Moore und Bruce Willis, Claudia Schiffer und Tim Jeffries, Lilly und Alexander zu Schaumburg-Lippe, Melissa und Harrison Ford, Jessica Stockmann und Michael Stich, Heiner Lauterbach und Jenny, Jenny und Alex, Hera Lind, die Fielmanns – „Gut, gut, reicht!“, ruft da endlich einer „dann gibt es eben einfach keine Liebe mehr; nicht oben, nicht unten, hinten nicht und vorne erst recht nicht; jedenfalls nicht für immer.“

Und Falsch! Die Liebe hört ja nicht auf, sie macht nur eben kurz Pause und hüpft dann wie ein Floh auf den nächsten Mensch. Kaum hat sich ein Paar getrennt, sieht man seine Einzelteilchen mit neuen Begleitern und manchmal ist dann plötzlich die Liebe wieder da. Man wird die nicht los.

Und auch nicht los wird man die Neugierde, ja: Hoffnung, ob es nicht doch die ewige Liebe gibt. Wenn das auch nicht gleich der Grund für alles ist: Sich jetzt endlich einmal für immer verlieben, dass man sich bitte nie wieder trennen muß. Ein Tisch, ein Bett, ein Leben – für immer.

Barbara und Boris Becker: Das war ein so Paar, das war so eine Liebe von der scheinbar alle dachten: Für Immer. Bis zum Dienstag letzter Woche um genau 12 Uhr 33. Da kam dieses Fax aus den Geräten der Redaktionen und darauf stand, dass es vorbei ist; dass Barbara und Boris sich getrennt haben, weil sie seit geraumer Zeit „feststellen müssen, dass unsere Auffassung über die Prioritäten unserer Beziehung zu unterschiedlich sind. Wir haben erkannt, dass es so nicht weitergeht.“ 

Deshalb die Trennung. Das steht auch genau so in diesem Fax: „Deshalb die Trennung.“

Aber Moment, Augenblick – ist das nicht zu wenig? Ist das nicht zu karg oder kalt formuliert? Wo waren wir, als das passierte, und warum habt ihr uns nichts davon gesagt?

Der Münchner Radiosender, der die Nachricht zuerst bringt, muß es innerhalb einer Stunde Hunderten von ungläubig Anrufenden versichern: Ja, es ist aus.

Was kümmert das die Leute? Haben die kein Privatleben oder warum geht ihnen das Herz über, wenn sich die Beckers trennen – zwei Menschen, mit denen sie noch nie gemeinsam an einem Tisch saßen?

Weil die ein Traumpaar waren! 

Boris Becker hatte 1985 als erster Deutscher das Tennisturnier in Wimbledon gewonnen. Da war er gerade 17 und wurde zum Nationalheld. Sechs Jahre später war er der beste Tennisspieler der Welt und in Deutschland wurden Neugeborene auf den Namen Boris getauft. 

Gut möglich, das gerade jetzt in einigen Wohnungen ein Boris Irgendwer mit seiner Frau am Tisch sitzt und zu ihr den Satz sagt: „Ich glaube, wir sollten uns trennen.“

Aber ohne Barbara war Boris nur ein Nationalheld. Ein Mann zum verlieben und anhimmeln eher nicht. Kabarettisten ahmten ihn genau so gerne nach, wie den damaligen Bundeskanzler Dr. Kohl. Boris gab damals unfreiwillig komische Sachen von sich und zwischen den Worten machte er unfreiwillig oft „Ähm“.

Auch sein Liebesleben verströmte wenig Glamour: Eineinhalb Jahre war er mit Benedicte Courtin zusammen. Die Tochter des Polizeipräsidenten von Monte Carlo lernte er 1986 im Wartezimmer eines Arztes kennen.

Kurz nach der Trennung lernte er die Hanseatentochter Karen Schulz kennen, mit der er zwei Jahre zusammenblieb. Beide trugen dieselbe Seitenscheitelfrisur und Boris’ damaliger Manager, der strenge Ion Tiriac hätte zu einer Heirat sogar seinen Segen gegeben.

Aber das waren Jugendlieben, die Verpuppungsphase quasi, denn erst im Oktober 1991 trifft er Barbara Feltus. Die Tochter des Modefotgrafen Ross Feltus arbeitet an einer Karriere als Model und Sängerin, war vorher schon mit Sat1-Chef Fred Kogel zusammen, und wie sie ihm an diesem Abend im Münchner Lokal „Königinnengarten“ vorgestellt wird, weiß er gleich, dass es ernst ist. Verwirrt trinkt er aus ihrem Bierglas. Fragt sie nach ihrer Telefonnummer, notiert die gleich zweimal, aus Furcht, den Bierdeckel zu verschlampen, bringt sie nach Hause und ruft gleich nachts noch bei ihr an, um zu prüfen, ob die Nummer auch stimmt.

Seinem Masseur Waldemar Kliesling vertraut er sich am nächsten Morgen an: „Waldi, ich habe meine Traumfrau getroffen!“

Den ersten Heiratsantrag macht er ihr schon nach drei Monaten und – bei MacDonalds. Die 26jährige Barbara Feltus ist aber nicht nur seine Traumfrau, sondern auch eine Frau mit Stil und Klasse: Sie lehnt ab.

Aber sie bleiben zusammen, und in den nächsten zwei Jahren lernt Boris bei ihr scheinbar viel über Stil und Romantik, denn am 5. März 1993 lädt er sie in München in den schönen „Bogenhausener Hof“ ein, bestellt ihr zum Nachtisch einen Whisky-Sour, in dem der Kellner einen Verlobungsring versteckt hat. Den Barbara beinahe verschluckt, aber dann findet sie ihn und sagt ihm endlich das ersehnte Wort: „Ja!“

Hochzeit kurz vor Weihnachten in Leimen, zuhause, im Wohnzimmer der Becker-Eltern. Barbara ist Hochschwanger, bringt vier Wochen einen Sohn, Noah-Gabriel Becker, zur Welt.

Er über sie: „Ich habe eine junge Frau an der Seite, die all das hat, was ich an einer Frau gerne habe“.

Sie über ihn: „Ich habe mir das vorher nie erträumt. Er ist mein Traummann, er hat sich zu meinem Traummann entwickelt.“ 

Er über die Ehe: „Meine Eltern sind seit 37 Jahren verheiratet. Das ist mein bestes Vorbild.“

Fast sieben Jahre bleiben die Beckers verheiratet. Sie sind es ja noch, denn wie heißt es im Fax: „Von Scheidung ist aber keine Rede“.

Warum aber überhaupt Trennung?

Schätzungen des Beckerschen Vermögens schwanken zwischen 200 und 280 Millionen Mark. Verdient nicht nur im Verlauf seiner Karriere als Tennisspieler, sondern mit Werbeverträgen, Firmenbeteiligungen und als Unternehmer. Boris Becker besitzt mehrere Mercedes-Niederlassungen, ist Werbepartner von AOL und Daimler-Chrysler, besitzt mit BBM in Unterföhring und BBI in Pfäffikon zwei Marketingfirmen und ist am Start-Up „Sportgate“ beteiligt. Die Familienvilla in Bogenhausen wird auf den Wert von acht Millionen Mark geschätzt, in Florida besitzt er eine Wohnung im Luxusressort „Fisher Island“, und auf Mallorca lässt er gerade eine Finca ausbauen – auf einem 450.000 Quadratmeter-Grundstück zwischen den Anwesen von Claudia Schiffer und Michael Schuhmacher.

Aber es war sicher nicht der Reichtum, der den ehemals linkischen Boris zu diesem Titan von deutschem Mann werden ließ; die Leser der „Bunte“ wählten ihn gerade zum „sexiesten Mann Deutschlands“, noch vor Tote-Hosen-Sänger Campino und Michel Friedmann. 

Sein Stil und seine Starqualitäten sind an der Seite von Barbara gereift. Die Frisuren, die vernünftigen Anzüge, die Kameragesichter – das konnte er von ihr lernen. Sie hat ihm Selbstvertrauen gegeben, hat ihn gestützt, wenn er ein Turnier verloren hatte und, ganz wichtig, als 1997 sein Vater verstarb. 

Mit dem Tod seines Vaters sei ihm seine Familie immer wichtiger geworden, sagt Becker. Freunde sagen, Boris sei vom Typ der Patriarch. 

Hinter jedem großen Mann steht eine große Frau, heißt es im Lied. Und es scheint, als wollte Boris Becker, dass seine Frau weiter hinter ihm steht. Daß sie nun, da der zweite Sohn nicht mehr rund um die Uhr ihre Aufmerksamkeit braucht, nach einer eigenen Karriere strebt – eine Platte aufnehmen wird, einen Werbevertrag mit Coca-Cola abgeschlossen hat -, könnte ihm als Patriarch und nicht immer wunschgemäß erfolgreichen Selfmade-Unternehmer an der Ehre gekratzt haben. Der König trägt die Königin auf Händen zu Tisch, aber er lässt sie nicht zu sich auf den Thron.

Fest steht, dass es auf einmal gnadenlos still war an diesem Tag in München-Bogenhausen, als sich Barbara und Boris am Tisch gegenüber saßen.