Damen, die ich kannte (I) – Madalena Chan

von 
Portrait
zuerst erschienen im September 2004 in Der Freund Nr. 1
von der Autorin neu durchgesehen im Dezember 2012

Eine Trauerweide, ein Luftzug, schweres französisches Parfum, ein einäugiger Hund zerfetzt eine brokatbezogene Chaiselongue, als ein dunkler zierlicher Schatten sich zur Villa der Yips hinaufbewegt. Madalena Chan: Lee Radziwill-Sonnenbrille, keine Falten, Augenbrauen zum ewigen Erstaunen tätowiert. Ein Luftkuss links, einer rechts. Gut siehst Du aus Eva, ihr Blick schnappt nach unten auf meine Converse, die Schuhe allerdings: ein Verbrechen, Darling.

Madame Yip, die Gastgeberin, reisst die Tür auf, breitet ihre Arme aus, Enter the Dragon, sagt sie auf kantonesisch , alle drehen sich nach Madalena Chan um. Die Sonnenbrille gleitet aus dem pudrigen Gesicht, der Kopf leicht zur Seite geneigt, nimmt sie den Applaus aus grauen Männergesichtern entgegen, die hinter Bierdosen aufsehen. Anerkennendes Rülpsen.

Vor drei Jahrzehnten feuerten die Gebrüder Shaw den Produzenten des Bruce Lee Filmes Enter the Dragon. Budget explodiert, Drehzeit episch, Madalena Chan soll engagiert werden. Sie ist jung, schön, wohlriechend und kompromisslos. Die Shaws schicken einen Wagen mit einer diamantbesetzten Uhr von Tiffany’s. Bitte, bitte den Film aus dem Dreck holen, das Ego-Monster Bruce Lee zügeln. Madalena öffnet jedoch den türkisfarbenen Karton nicht, sie trägt nur Schmuck von Cartier. Zwei Tage später klingen die weissen Handschuhe des Fahrers der Shaw Brothers Studios erneut, diesmal mit der Cartier Version der Uhr, wenige Wochen später ist der Film abgedreht, unter Budget, ein Welterfolg, The Dragon Lady wird Madalena von nun an genannt: schneller, härter, starker als Bruce Lee.

Madalena teilt die Gäste der Yips in Commies und in Honkies ein. Die Commies sind hier, weil heute der 1.Mai ist und Beijing selbst im Frühling unerträglich, da fahren die Parteikader lieber uneingeladen zu den reichen Brüdern nach Hong Kong, den Honkies und spielen im Kinderzimmer Poker um grosse Bündel Yuan, rauchen kratzige Double Happiness, daran verdient der Staat Milliarden. Ich hasse die Commies, Eva Darling, keine Klasse.

Wir sitzen auf dem grossen Sofa im Wohnzimmer, davor ein Fernseher, der so gross ist wie der von Westfalia Bambaata, die Commies folgen dem Fussballspiel der chinesischen Nationalmannschaft gegen Vietnam. Madalena Chan wird fast ohnmächtig vor Langeweile. Amüsier’ dich nur Darling, sagt sie, hast du die Anzüge gesehen und überhaupt RIECHST du das?

Madame Yip kommt zwei Champagnergläser balancierend, sonderbare Wülste im Gesicht und am Hals, eine missratene Schönheitsoperation. Sie trällert eine italienische Oper – ihre Stimme wunderschön – die Commies stellen den Fernseher lauter. Darling, du weißt doch, dass ich keinen Champagner mehr trinke, sagt Madalena, schon lange nicht mehr. Sie zwinkert mit zu. Gestern noch, im drüben im Happy Valley, besiegte sie drei Flaschen Taittinger im Brown’s und verkündete Dinner sei für Versager. Das letzte Mal als ich Champagner trank, zeigt mir Bruce sein Ding, er war ja auf dem Höhepunkt seiner Männlichkeit und es war das schönste Ding, was ich je gesehen habe. Frau Yip hebt das Champagnerglas und ruft wieder auf kantonesisch Enter the Dragon! und auf Mandarin Lang lebe die Volksrepublik China!

Die Commies heben ihre Bierdosen und dann schiesst die chinesische Nationalmannschaft ein Tor, alle fallen sich um den Hals, ausser um Madalenas, die den Kopf wieder leicht zur Seite legt und mir zuzwinkert. Im Grunde sollte man alle ständig Darling nennen, alle würden sie Angst bekommen.