Die Firma. Die Familie. Das Leben

Portrait
zuerst erschienen im Juni 2005 in brand eins
Es ist ganz einfach, so wie es Bobby Dekeyser macht: Man arbeitet, hat eine Familie und genießt seine Freizeit. Und das alles an einem Ort, mit einer harmonischen Gruppe von Menschen. Das ist dann das Glück.

Als Robert „Bobby“ Dekeyser noch in Taufkirchen bei München versuchte, mit seiner damals noch kleinen Firma Dedon auf die Beine zu kommen, schien er der Bank ein zu großes Risiko. Er löste sein Kapitalproblem schließlich elegant: Der Landwirt, der neben Dekeysers Scheune einen Bauernhof hatte, half ihm mit einer Bürgschaft über eine halbe Million Mark - dafür kaufte ihm Dekeyser einen Traktor. „Und ich konnte wieder Ware kaufen.“ Eine der typischen Dekeyser-Geschichten.

Er sei ein positiver Mensch, sagt Bobby Dekeyser schon am Telefon: Deutschland ist ein guter Standort, mit toller Infrastruktur und guten Leuten. Kreativ. Man müsse nur machen. Dekeyser hatte in Taufkirchen neben seinem eigentlichen Geschäft in einer Scheune eine Erlebniswelt eingerichtet, aber als Entertainer verdiente er eher wenig Geld. Trotzdem erzählt er heute begeistert von damals: „Ich habe Malwettbewerbe für Kinder veranstaltet, Jazzfrühstücke, Lesungen, Events.“ Außerdem leitete er Dedon, eine Firma, die aus Polyethylen Möbel herstellt, quasi Rattan aus wasserfestem Material. Aber die Sessel und Tische verkauften sich nicht.

Später, als Dedon nach Volkstorf bei Lüneburg umgezogen war, in einen ehemaligen Hühnerstall, gab es in der Firma einen jungen Praktikanten aus Frankreich, einen netten Jungen vom Bauernhof, der damals noch nicht volljährig war: Hervé Lampert. Mit 20 wurde er zum Geschäftsführer der rund 2000 Mitarbeiter in den Flechtereien in Cebu-City auf den Philippinen befördert. Der sei ein Organisationsgenie, ohne ihn hätte die Firma nicht überlebt, sagt Dekeyser. Das sagt er immer wieder. Er hat den Jungen damals nach Südostasien geschickt, weil er ihm vertraut hat wie einem Familienmitglied. Ein Freund war er sowieso schon.

Bobby Dekeyser kann viele solcher Geschichten erzählen, er hat sich mehr als acht Jahre durchgekämpft, es war immer knapp, aber er war nie allein. Ihm sei wichtig, betont er, dass er bei aller Not die Gehälter immer rechtzeitig bezahlt habe. Er habe anfangs noch Geld vom Fußball übrig gehabt, er war früher Profi. Als er mal eine Kollektion auf den Messen in Frankfurt und Köln vorstellte, und er null, noch mal: null! Möbel verkaufte, liefen wenigstens die Giraffen aus Madagaskar, mit denen er nebenbei handelte. Glück gehabt. Danach war er frustriert und wollte mal wieder aufhören mit Möbeln, irgendwas anderes machen. Einer Mitarbeiterin schlug er vor, halbtags zu arbeiten, er zahle dafür drei Viertel ihres Gehalts. „Guter Vorschlag, oder?“ Aber die Angestellte jammerte. „Also habe ich weitergemacht.“ Inzwischen hat Dekeyser mit Dedon großen Erfolg. Die Firma stellt Luxusprodukte her, in Handarbeit. Nummerierte, von Top-Designern gestaltete Stücke, auf manche muss der Kunde ein Jahr warten. Er produziert auch für große Namen, für Giorgio Armani beispielsweise, nach deren Design. Die Zahlen sind gut, es kommt viel Geld rein. 2004 machte Dedon 42 Millionen Euro Umsatz, 2005 werden es voraussichtlich 57 Millionen sein. Die Steigerungsraten der vergangenen Jahre lagen nie unter 30 Prozent. Er sagt: „Das Potenzial ist groß, wir könnten locker 200 Millionen Umsatz machen. Nur kommen wir mit der Produktion nicht hinterher.“ Dekeyser sagt: „Jetzt kann man nicht mehr stoppen.“ Auf die Idee, wetterfestes Rattan herzustellen, kam er in der Klinik, als es mit dem Fußballspielen fast vorbei war. Sein Großvater, erfolgreicher Unternehmer in Österreich, produziert unter anderem die Plastikhenkel für Waschmittelboxen. Er experimentierte mit dem Grundstoff Polyethylen. Auch davon spricht er begeistert. Und erst wenn er seine Möbel vorführt: „Die Farben, hier, schauen Sie, diese Changierungen, sieht natürlich aus, ist aber so gewollt. Hat lange gedauert, das zu können. Es gibt nachgeahmte Stoffe, die nicht so gut sind.“ Viele imitieren Hularo, seinen Rohstoff. Andere flechten die Möbel eins zu eins nach. „Anfangs sah ich das als Kompliment. Aber das ist wie ein fieses Foul. Inzwischen prozessieren wir gegen alle. Wir beschäftigen fünf Anwälte.“ Klagen in China haben keine Chancen, also verklagt Dedon alle, die Fälschungen kaufen oder importieren. Das tut weh und wirkt.

Billard, Yoga, Fußball, Sauna, ein Fitness-Studio, eine Köchin - alles gratis für die Angestellten Hularo, der Grundstoff, der zur Weiterverarbeitung auf die Philippinen geht, wird in einem typischen Gewerbegebiet in Lüneburg produziert. Dedon zahlt kräftig Steuern in Lüneburg, obwohl er das wegen der Zweigstelle auf den Philippinen vermeiden könnte. Die Zahl der Mitarbeiter in der Zentrale in Deutschland steigt stetig, zurzeit sind es 75.

Das Erfolgsrezept der Firma lässt sich auf einige Begriffe zurückführen: Familie, Wohlfühlen, Vertrauen, Eigensinn. Bobby Dekeyser lebt seine Sehnsucht nach Familie und Harmonie aus. Die Firma ist seine Familie, ein Ersatz für etwas, das ihm in der Kindheit fehlte. Er sagt: „Ich bin kein großer Zampano, der alles weiß. Ich entscheide aus dem Bauch heraus. Ich habe auch Fehler gemacht. Aber ich bin mir treu geblieben, ich lebe so, wie ich leben will. In der Großfamilie, mit Freunden. Ich will mich selbst in der Arbeit verwirklichen.“ Den Einwurf, das klinge naiv, kontert er mühelos: „Es hat bisher funktioniert. Ich versuche, eine bestimmte Atmosphäre zu kreieren, und das funktioniert, wenn man die richtigen Leute findet.“ Er lacht. Auf der linken Seite seines Gesichts sind Narben zu sehen. Er ist 40 Jahre alt und sieht kantig aus, aber frisch. Er sieht gut aus. Seine Frau ebenfalls, ein Ex-Model. Sie sind seit fast 23 Jahren zusammen und haben drei Kinder. Sie leben als Großfamilie mit Onkel und Tante idyllisch auf dem Land, mit einem großen, friedlichen Hund namens Anouschka, Pferden und einem kleinen Weiher.

Bobby Dekeyser will Harmonie, und er schafft sie sich. Sein Leben scheint angenehm: Er arbeite nicht zu viel, mache täglich zwei Stunden Sport und gehe oft allein spazieren. Gerade hat er eine Insel im Pazifik gekauft, die Mitarbeiter können dort in einem Luxusressort günstig Urlaub machen. Dafür hat er extra ein Reisebüro eröffnet. Alle in Lüneburg duzen sich, sie essen zusammen, kickern oder spielen Billard, sie haben einen Fußballplatz, eine Yogaschule, eine Saunalandschaft, ein Beachvolleyballfeld und ein Fitness-Studio, mit kostenlosen Trainern. Adriana Vinci, die sizilianische Köchin, die ein großartiges Kantinen-Essen macht, falls man das so nennen kann, besucht bald einige Wochen lang Kochkurse in Asien. Geschickt vom Chef. Einfach so. Jeder Mitarbeiter in Deutschland soll mal nach Asien. Auch länger, wenn er wolle. Er brauche nicht so viel Geld, also gibt er einen Teil den Mitarbeitern. Denn die sind seine Freunde.

Bobby Dekeysers Mutter ist Österreicherin, sein Vater Belgier. Er wuchs in Osterreich, Belgien und in der Pfalz auf. Als Früh-Teenager stellte er fest, dass Mädchen auf Kicker stehen. Er habe kein Talent gehabt, das aber mit Training kompensiert, sagt er. Mit viel Training. Er wird, weil er schlecht ist, ins Tor gestellt. Mit elf Jahren kam er in ein Internat. Er trainiert weiter, unterschreibt mit 16 Jahren einen Jugendvertrag beim 1. FC Kaiserslautern. Eines Dienstags in der zweiten Stunde, Englisch, steht er auf und sagt, dass er mit der Schule aufhöre. Die Eltern mussten irgendwas unterschreiben, das haben sie gemacht - sie haben sich um nichts gekümmert. Er sagt, er komme aus dem Chaos, aus einem Zirkus, redet aber dennoch nett und respektvoll über seine Eltern. So waren sie nun mal. Aber sie haben ihn geprägt. Mit der Zeit wird offensichtlich, wie sehr.

Zum Beispiel wenn er durch die Verwaltung und die Fabrik führt. Er stellt jeden vor. Jeden. Und geht davon aus, dass man sich die Namen merkt. Er ist mit allen per Du und umarmt viele, „das machen wir in Belgien so“. Seine Schwester Sonja ist gerade da und ihr Mann Jan van der Hagen, die von Barcelona aus den Vertrieb leiten. Sie sitzen in Barcelona, weil sie in den Süden wollten. Hätten sie nach New York gewollt, wäre heute dort die Vertriebszentrale. Ein Ex-Freund der Schwester, Harald Aichinger, leitet in Lüneburg die Logistik, der andere Schwager Sven-Erik Jost die Finanzen. Die Geschäftsleitung gehört zur Familie.

In der Kantine: Tischfußball, Billard, ein Samowar. Es ist wie in einem Wohnzimmer. Bobby Dekeyser und Heiko Prüfer vom Einkauf denken darüber nach, zum Champions-League-Finale nach Istanbul zu fliegen. Demnächst fliegen einige Mitarbeiter zur Messe nach Mailand. Danach 16 andere Mitarbeiter nach Ibiza - dort wird der Katalog fotografiert. Einer würde reichen, aber in der Gruppe ist es schöner. Sie reden über die Ausstellung des Designers Nick Thomkins in der Schweiz, wer hinfliegen will und wer in Dekeysers Privatflugzeug passt. Sie reden über die Kinder, jeder kennt die des anderen. Nichts ist gespielt, die Familie ist echt.

„Ich war immer kurz vor der Pleite, ich stand immer unter Druck. Und ich habe doch nichts gelernt. Aber alle haben geholfen. Es war ein ständiges Kämpfen, doch meine Frau. war da, mein Onkel, die Tante.“ Und die Freunde. Er sei oft verzweifelt gewesen. „Ich hatte zwar ein Ziel, aber es waren harte Zeiten. Oft bin ich für zwei Tage in die Berge gefahren, um mich zu sammeln.“ Jedes Mal, wenn er dachte, es ist aus, kam ein Auftrag, sagt er lachend. Er habe einiges versiebt: die Rahmen, auf die sie ihr Kunststoffrattan flochten, hielten nicht - Reklamationen. Er hat alles ersetzt und schließlich Alurahmen genommen. Er war pleite, hat aber die besten, teuersten Designer angeheuert. „Es war klar, ich muss anders sein.“ Er schreibe ständig Ideen auf Zettel, jeden Tag einen Block voll. Überall liegt Papier mit Ideen. Er habe wohl ein Gen, das dafür sorgt, dass im Kopf immer was los ist. Das habe nichts mit Geld zu tun. Er wolle Veränderungen. „Ich kann nicht organisieren, dafür bin ich zu sprunghaft. Deshalb brauche ich Leute, die mit Leidenschaft organisieren.“ Bevor er die Produktion von Hularo zeigt, führt er durch die Sportanlagen der Firma, wie ein stolzer Junge. Vom Sport ist er besessen - er habe in den vergangenen acht Wochen eine halbe Million Euro für Sportanlagen ausgegeben. Aber könnte es nicht sein, dass sich die Mitarbeiter gezwungen sehen, Sport zu machen? „Nein, das darf nicht künstlich sein.“ Tage später erklärt Torsten Jansen die Technik. Die Jahresproduktion beträgt mehr als 1,8 Millionen Kilo Hularo, das sind 40 000 Rollen à 47 Kilo, die sechsmal um die Erde reichen. In einem großen, klinisch rein wirkenden Raum befinden sich Granulat, Düsen, die Farbbeigabe, Wasserbäder. Dekeyser ist nicht dabei, und der Besuch in der Produktion nicht angekündigt. Die Leute in der Produktion, die nicht genau wissen, wer sie besucht, antworten auf Fragen zum Sport im Betrieb: Einige machen keinen, einige nur manchmal. Einer sagt: „Da gibt es keinen Zwang. Wer will, kann.“ Der Hausmeister Robert Warneke hat auf dem Gelände ein Holzhaus an dem See, in dem das Kühlwasser gesammelt wird. Darin sind Forellen. Warneke angelt. Es gibt einen Grill für die Feste.

Verantwortung ist Druck. Und Druck ist gut. Spannend. Man weiß nicht, wie es ausgeht Dekeyser hat in der Firma kein Büro, die Mitarbeiter sollen sich nicht kontrolliert fühlen. Stattdessen arbeitet er in seinem Haus unterm Dach. Zu Mozart. Dekeyser beschreibt sich als sprunghaft, ein Tellerdreher, der zehn Teller auf Stöcken in Bewegung halte. „Ein Unternehmer darf nicht zu viel können.“ Er müsse delegieren, vertrauen, die richtigen Leute finden. „Ich brauche Veränderungen. Wenn zwei Jahre etwas gleich ist, wird mir langweilig.“ Heute ist er, der früher auf Messen im Lastwagen geschlafen hat, reich. „Ich könnte aufhören, aber ich will nicht. Das wäre gegen mein Naturell.“ Er trage gern Verantwortung. Für die Familie und die Firma. „Wenn die Insel zu teuer wird, schadet das nicht der Firma. Auch die 500 000 Euro, die ich in die Sportanlagen gesteckt habe, können die Firma nicht gefährden.“ So etwas zu überblicken bedeute eben, Verantwortung zu tragen. „Unternehmer zu sein kann man nicht lernen. Man hat Erfolg, wenn man sich treu bleibt.“ Er habe nie Berater gehabt, “ die sind wie eine dicke Frau, die mir erzählt, wie man abnimmt“. Die Verantwortung empfinde er als Druck, aber das ist nicht schlecht. „Das ist spannend. Ähnlich wie Torwart sein. Man weiß nicht, wie es ausgehen wird.“ Nach der Verwaltung und der Fabrik führt er nun sein Haus vor - eine Idylle. Freunde und Bekannte kommen vorbei. Die Tochter, in der dritten Klasse, will Aufmerksamkeit. Der Vater geht mit der Situation gut um. Das Interview läuft auch weiter, als der älteste Sohn, 14 Jahre alt, in die Wohnküche kommt und sie kurz über seine Aufnahmen reden. Der Junge will rappen, bei Freunden etwas aufnehmen. Sein Vater sagt: „Bitte nicht mit so schrecklichen Wörtern.“ Das klingt lustig. Vor allem, weil er sich früher an keine Regeln gehalten habe. Er dürfte also eigentlich nichts sagen. Schaut aber, dass die Kinder Hausaufgaben machen. Und grinst, weil er sich der Ironie bewusst ist.

Wieder kommt er auf einen wichtigen Punkt zurück: Er komme quasi aus dem Zirkus und habe keine richtige Familie gehabt. Obwohl er auch erzählt: Das Haus war immer voll, immer waren viele Verwandte da, abends machten sie Musik. „Wenn die Gespräche aufhörten und gesungen wurde …“, sagt er mit wohliger Nostalgie. Er beendet den Satz nicht. „Ich habe keine Heimat gehabt. Jetzt habe ich eine. Eine Familie. Eine Firma.“ Drei Tage die Woche nimmt er sich frei für die Kinder und seine Frau. Zweimal am Tag isst er zu Hause. Das Haus ist voller Fotos von den Kindern und seiner Frau, alter Schwarz-Weiß-Aufnahmen seiner Oma und seines Opas, Fotos der Eltern. Dreimal im Jahr macht er Urlaub. Sie haben Pferde. Eine Zeitlang ist er jeden Tag morgens mit seiner älteren Tochter zur Schule geritten.

Bobby Dekeyser schildert seine Jugend. Er ist also 16 und hat einen Vertrag als Torwart beim 1. FC Kaiserslautern unterschrieben. Er ist ein Jungprofi, der sich selbst finanziert. Es läuft gut. Als er volljährig wird, muss er nach Belgien zum Militär. Dort spielt er als Soldat in der Zweiten Liga. Er empfindet das als Bremse, als Hindernis. Es muss etwas passieren. Aber was? In einem Frankfurter Rena-Zentrum besucht er einen Freund aus Kaiserslautern, Dieter Kitzmann. Zur selben Zeit wird dort Jean-Marie Pfaff behandelt, der Torwart des FC Bayern München. Pfaff ist, wie Dekeyser, Belgier, also kommt man ins Gespräch. Irgendwann gehen die beiden in die Tiefgarage, malen ein Kreidetor an die Wand und spielen Ball. Einer schießt, einer hält, stundenlang. „Ich war danach blutig“, sagt Bobby Dekeyser, aber es habe Spaß gemacht. Und es sei ohne Hintergedanken passiert. Ein halbes Jahr später ruft Uli Hoeneß an: Raimond Aumann, damals noch zweiter Torwart der Bayern, hat sich verletzt und fällt lange aus. Ein Torwart muss her. Schnell. Pfaff habe gesagt, er sei gut. Dekeyser steigt ins Auto und fährt über Nacht von Brüssel nach München. Auf der Autobahn murmelt er: „Das muss klappen. Die ganze Fahrt: Das ist die Chance, das muss klappen.“ Es klappt. Dekeyser wird Torwart bei Bayern München.

Und dann ruft Uli Hoeneß an, ob Michael Ballack vorbeikommen kann, wegen Möbeln Danach landet Bobby Dekeyser beim 1. FC Nürnberg - dort soll er mit Andreas Köpke konkurrieren. „Aber der war einfach besser.“ Das sagt er ohne Probleme. Er geht zum TSV 1860 München, die Löwen, Zweite Liga, und hält dort gut. Im letzten Spiel vor der Winterpause stoppt er in der Nachspielzeit einen Ball mit einer Faustabwehr und bekommt dabei den Ellenbogen des Stürmers ins Gesicht. Er wacht in der Notaufnahme auf und bleibt wochenlang im Krankenhaus. Irgendwann liest er in der Zeitung, dass die Löwen einen neuen Torwart verpflichtet haben. Ihm hat keiner etwas gesagt. Er ist 26 Jahre alt, und es sieht so aus, als bleibe das linke Auge blind.

Ein halbes Jahr später ist er ein immerhin wieder sehender Invalide mit narbigem Gesicht. Im Keller lackiert er Ski mit Airbrush, das soll sein neuer Beruf werden. Er hat tausend Ski gekauft. Da rufen die Löwen an, sie brauchen ihn, sein Nachfolger ist verletzt. Er erinnert sich, wie sie ihn behandelt haben, und verlangt so viel, dass sie Nein sagen müssten. Aber sie sagen Ja. Drei Spiele folgen, drei Bestleistungen. Danach kommen mehrere gute Angebote aus der ersten und zweiten Bundesliga. Doch er lehnt ab. Er hat schon Dedon. Kurz darauf ziehen Dekeysers nach Lüneburg, weil sie dort einen billigen Bauernhof gefunden haben.

Im Garten ist ein kleiner See, davor steht ein Dedon-Tisch, auf dem ein Buch liegt: „Freunde“ von Hermann Hesse. Als wäre es inszeniert. Nein, er lese Hesse gem. Aber noch lieber Peter Ustinov. Während er drinnen von seiner Kickerzeit am Küchentisch erzählt - klingt erfunden, aber ist wahr -, klingelt das Telefon. Uli Hoeneß ist dran, die Bayern haben gegen den FC Chelsea verloren. Sie reden darüber, bevor Hoeneß auf den Punkt kommt: Könne Michael Ballack wegen Möbeln vorbeikommen? Die Produktion hinkt hinter der Nachfrage her. Er könnte viermal so viel verkaufen, wie sie produzieren, sagt Dekeyser, ach was, noch mehr.

Volkstorf ist jetzt sein Heimatdorf und der offizielle Firmensitz. Er zeigt Fotos. Hier ging es im Hühnerstall mit Dedon weiter, nach der Zeit in Taufkirchen. In der 90-Einwohner-Gemeinde, „zehn davon sind wir“, zahlt er ebenso Gewerbesteuer wie in Lüneburg. Viel. Aus Prinzip. Das ist eine Grundsatzentscheidung. Genauso wie: keine Schulden. Es gibt nicht mal geleaste Autos. “ Vielleicht ist das betriebswirtschaftlicher Unsinn, aber mir geht es besser, wenn die Firma und ich privat schuldenfrei sind.“ Noch eine Geschichte: Gerade waren routinemäßig die Betriebsprüfer des Finanzamtes da. Ein Prüfer fragte, warum er hier Steuern zahle. Das könne er billiger haben auf den Philippinen. Schon, hat Dekeyser geantwortet, aber: wozu? Er will seine Steuern hier zahlen. Er sagt: „Nichts gegen Steuern, die gehören dazu. Das erwirtschaften wir schließlich auch.“ Vor zwei Jahren hat übrigens ein anderer Betriebsprüfer dasselbe gefragt.

Hat Naivität zu seinem Erfolg beigetragen? Hat sie wie ein Magnet das Glück angezogen? Vielleicht liegt es auch nur daran, dass er einer Vision folgt. „Es wird zurückgehen zu Vertrauen, zu Handschlägen. Ohne Shareholder Value, ohne Banken.“ Es würde sich eine Gegenreaktion entwickeln zu dem, was gerade läuft. Er habe keine Ahnung von Geschäften, aber er hat ein Gefühl. Außerdem: „Begeisterung ersetzt viel Wissen.“ Das klingt naiv. „Aber es hat funktioniert. Das hängt nur von den Leuten ab.“ Bei den Vorstellungsgesprächen weiß er nach fünf Sekunden, ob es geht oder ob nicht. Allerdings lag er häufig daneben.

Man muss nachfragen, von selbst erzählt er nichts. „Ich spüre eine soziale Verpflichtung, deshalb spende ich Geld und bringe mich ein.“ Dekeyser finanziert Initiativen in Brasilien und auf den Philippinen. Er finanziert eine Schule in Cebu. In den dortigen sechs Werken gibt es überdurchschnittlich viele Sozialleistungen. In Lüneburg auch. Aber er will nicht darüber reden. Er sagt nur: „Mit der Möglichkeit hat man auch eine Verpflichtung.“ Irgendwann will er Filme machen. Obwohl er Laie sei. Doch bisher hat sich bestätigt, dass alles geht, wenn man es wirklich will und sich dahinter klemmt. Musik mag er, während der Interviews lief Klassik, Pop und Deutsches. Bald gebe es CDs, die Dedon finanziert und vertreibt. In seinen Showrooms veranstaltet er jetzt schon Konzerte. Er wolle Hotels entwerfen und betreiben. Mit Hotels kennt er sich aus, die teuren haben Dedon-Möbel. Ständig schreibt er etwas auf Zettel und Blöcke.

Im Auto. Er fährt nach Volkstorf in seinem Ford F1 Pick-up, Baujahr 1950, lackiert in einem warmen Rot. „Es musste dieser Wagen sein, ich habe so einen in einem Film gesehen. Es dauerte Jahre, bis ich den in Sacramento gefunden habe.“ Und dann dauerte es noch ewig, bis der Pick-up einigermaßen lief. Trotzdem bleibt er ziemlich oft stehen. „Egal, ich finde ihn klasse.“ Die Pannen sind ihm das Auto wert. Er fährt, man sieht ihn durch das runde Rückfenster mit dem Handy am Ohr. Anouschka, die dicke Hündin auf dem Beifahrersitz, schaut ihn die ganze Zeit an. Einer von der Familie ist immer dabei.