Die zwischen den Welten wandert

Portrait
zuerst erscheinen im Februar 2008 in Capital, S. 132-137
Fassung des Autors

Der Mann, groß, trägt Turnschuhe und weiße Socken. Seine schwarzen Haare sind wuschelig. Er ist, abgesehen von seinem Bauch, schlank und geht die Martin-May-Straße in Frankfurt-Sachsenhausen entlang. Aus dem ersten Stock des Wohnhauses an der Ecke kann man sein Gesicht sehen. Wie er verzückt lächelt. Der Bauch schwabbelt. Er biegt ab in die Schifferstraße. Hey, da läuft ein nackter Mann. Dahlia Rahaimy, aus Dschiddah, Vertreterin der saudi-arabischen Investitionsbehörde Sagia, schaut von ihrem Apple-Mac auf, sagt gelangweilt: „Ach, der nackte Jörg, der gehört zum Viertel.“ Klingt normal.

Völlig normal, wie sie es sagt, auf einem der drei tiefen Diwans in ihrem Wohnzimmer sitzend, im Schneidersitz, in engen Jeans. Der Raum wirkt orientalisch mit den vielen Ornamenten, den getrockneten Blumen, den Feigen und Nüsse in den Holzschalen. Die Tengelmann-Tüte am Türgriff der offenen Küche, voll Müll, ist der einzige Bruch im Bild. An der Wand hinter ihr Verse der zweiten Sure des Korans in dicker weißer Schrift auf schwarzem Grund. Das Bild dominiert den Raum. Die Verse sollen beschützen. Sie helfen ihr fast so viel wie der Frankfurter Flughafen, den sie kennt „wie ein Zimmer“. Wenn es ihr schlecht geht, ganz einfach, dann fährt sie zum Flughafen. Läuft herum, stundenlang. Vom Flughafen erzählt sie viel. Fast soviel wie von ihrem Vater.

„Ach, der nackte Jörg“ klingt gelangweilt normal. Sie, 37 Jahre alt, jünger aussehend und wenn sie spricht fast jugendlich wirkend, mit ihren kurzen hennagefärbten Haaren, ist daheim in Sachsenhausen, in dieser Welt. Was seltsam zu sein scheint, weil sie, Muslimin, die in ihrer wirklichen Heimat, Saudi-Arabien, nicht Auto fahren darf, verschleiert herumläuft, Männer nicht anschaut oder anspricht und erst seit Ende 2006 in Deutschland als Vertreterin ihres Landes arbeitet. Schon mal Alkohol getrunken? Die Frage drängt sich doch auf. Sie schaut hoch, lächelt kokett. Was sie mit diesen dunklen, großen Augen wirklich gut kann. „Ich hab es mal probiert. Aber hey, es war die Sünde nicht wert, wirklich.“ Sie hat in Dublin studiert. Erzählt, wie die Iren saufen, verzieht das Gesicht. Irland sei die „Case Study“ für Sagia, weil die Iren auch mal mit Nichts angefangen haben, und seitdem ihre Wirtschaft haben wachsen lassen als wäre es ganz einfach. Sie ist Profi, mag die Iren nicht, „so selbstsüchtig“, aber sie weiß, wenn wer was richtig macht.

Sagia wurde 2000 gegründet. Dahlia Rahaimy erzählt von den 70er Jahren, als erstmals Milliarden in Saudi-Arabien ausgegeben wurden, „da ging es nur um Infrastruktur, nun sieht es anders aus: wir wollen Arbeitsplätze schaffen“. Sie zählt Gesetzesänderungen auf. Ausländische Investoren würden nun behandelt wie einheimisch. Steuern? Ha, natürlich nicht. Möglichkeiten? „Riesig.“ Hail im Norden werde zum Logistikzentrum aufgebaut. „Von da hat man Zugang zu 250 Millionen Customers.“ Zu einer reichen Region voller Menschen. Besser könne man sich gar nicht ansiedeln. Bald werde ein Büro in Berlin eröffnet, Frankfurt und Stuttgart werden folgen. Sie ist viel unterwegs. Später geht es dann in die Schweiz und nach Österreich. „Wir sind ein Serviceunternehmen, wir helfen.“

Dahlia Rahaimy isst kein Schweinefleisch, betet, muss aber, und da sei sie froh, als Frau nicht in die Moschee gehen. Wahrscheinlich gebe es in Frankfurt eine muslimische Gemeinde, aber sie kenne niemanden ihres Glaubens hier. „Meine Freunde sind deutsch.“ Sie sei fertig mit den Emails. „Wir können.“ Sie steht auf, schnappt die Stiefel, die vor dem Diwan lagen, geht sich umziehen. „Ich muss die hochhackigen Dinger loswerden“, ruft sie über die Schulter. Ihre Stimme ist angenehm, etwas tief, interessant. „Beeile mich.“ Der Akzent dezent, anfangs gar nicht zu hören, später taucht er ab und zu kurz auf, wenn sie unkonzentriert ist.

Man könnte Dahlia Rahaimy für eine Deutsche halten. Und manchmal, vor allem, wenn sie business spricht, für eine Italienerin. Da sprüht Feuer in der Stimme, wenn es um Zahlen, Fördermengen, Investitionssummen, Chancen geht. Bei solchen Themen wird sie eifrig, schnell, laut. Ihre Hände fliegen dann. Zahlen zu ihrem Land hat sie auswendig parat. Bbeeindruckend flott und immer passend. Floskeln wie „Win-Win-Situation“ spricht sie so wahrhaftig, so unglaublich glaubhaft, weil hinter der Professionalität ihre Begeisterung zu spüren ist. „Es ist so einfach, in Saudi-Arabien Geschäfte zu machen.“ Wenn sie arabisch telefoniert, ihr Handy klingelt ständig, dann spricht sie drängend, drohend, fast aggressiv, sie wird dann auch lauter.

Ähnlich eifrig ist sie noch als sie von aktuellen Kinofilmen erzählt. Europäische zieht sie amerikanischen vor, taucht wie eine Cineastin in kleinste Details irgendwelcher Szenen ein, verweist auf einen rumänischen Film, der vor kurzem eine Woche lang zu sehen war in einem Feinkostkino. Vor allem geht es ihr bei Filmen um Botschaften. Einmal, am Frankfurter Flughafen, hinter ihr die Glaswand und die großen Maschinen bereit zum Start, hebt sie hilflos die Schultern, legt den Kopf schräg und sagt: „Was will der damit sagen, dass Fernsehen schlecht ist, dass es nicht unterhalten darf?“ Sie bezieht sich auf „Free Rainer“, Hans Weingartners neuen Film. „Das ist doch typisch deutsch.“ Der ist Österreicher. Fragender Blick. „Und?“ Die Idee, dass der Film Ironie und Witz transportiert, ist ihr neu. „Ok“, sagt sie, „ok, so hab ich das noch nicht gesehen“. Lacht. Isst Züricher Sahnegeschnetzeltes, Kalb, nicht Schwein, sie ist ja Muslimin, davor eine Kraftbrühe, und manchmal geht es mit ihr durch und sie spricht mit vollem Mund, weil sie genau jetzt was sagen muss. Unbedingt.

Immer wieder kommt sie zurück auf Business: 188,6 Billionen Dollar Öl-Einnahmen, sagt sie, „Im Jahr. Geld ist wirklich nicht die Frage“. Auch sonst, wenn sie die Rankings runterrattert, wird ihre Botschaft sonnenklar: Wer nicht in Saudi-Arabien investiert, ist kein guter Geschäftsmann. Leichter könne es einem nicht gemacht werden. Es folgt mal wieder die Flut der Details. Und immer wieder der Unterschied zu früher, als es nur um Infrastrukur ging, geschaffen mit ausländischen Arbeitern. Jetzt, betont sie, geht es darum, „Arbeitsplätze zu schaffen für Araber“. Die Saudis seien gewachsen, hätten jetzt das Level, die Ausbildung, das Know-How. Sagia stehe für „Planung für die Zukunft“.

Noch mal zurück zu der Szene in ihrer Wohnung. Sie zieht sich um. Blick in ihr Bücherregal: eine Jimi Hendrix-Bio auf englisch, viele Murakamis auf deutsch, „mein Lieblingsschriftsteller“. Amin Maaloufs „Samarakand“ auf französisch, „ein ganz tolles Buch, unbedingt lesen, unbedingt, es erklärt viel“. Auf deutsch: Rudolf Schröck, „Der Biedermann, Die Geschichte des Frauenmörders Horst David“ und Anonyma, „Eine Frau in Berlin“, die Geschichte einer Deutschen im russisch besetzten Teil von Berlin nach dem Krieg, ein Buch mit Vergewaltigungen, mit einer Liason mit einem US-Soldaten, aus praktischen Gründen, zum Schutz, eingegangen. Neben dem Diwan an der Tür liegen Discs mit schwedischen Kommissar Beck Filmen. Der erste Eindruck: orientalisches Zimmer, verändert sich bei näherem Hinschauen.

Sie beeilt sich, weil sie heute noch zum Flughafen will, eine schwarze ziemlich auffallende Miu-Miu-Tasche umtauschen. Was sie nicht machen wird. Wenn sie wieder heimkommt, hat sie die Tasche noch und nochmal dieselbe in weiß, außerdem einen neuen Gürtel und eine Geldbörse. Da erfüllt sie das Klischee der Araberin, die konsumiert als gäbe es kein Morgen oder besser, als wäre irgendwann mal das Ölgeld alle. Allerdings, sonst erfüllt sie keines der Klischees, die wir hier so für Araberinnen haben, nicht eines. Das Klischee erfülle vielmehr, erklärt sie, wer sie als Araberin nach Alkohol frage, nach Schleier, nach der Rolle der Frau in Arabien, weil das, wie sie nett lächelnd betont, simple Vorurteile zeige. Allerdings: einmal sagt sie, wissend, was das bewirken wird, „ich mach jetzt meinen Führerschein“ und lacht.

Dahlia Rahaimy, Country Director Germany der Saudi Arabian General Investment Authority, ist also hier, um Investoren in ihr Land zu locken. Sie vermittelt mehrere, völlig verschiedene Bilder: da ist die Businessfrau, die schnelle, lebhafte Südländerin oder Orientalin oder was auch immer, dieses Rätsel. Und dann ist da diese Aura der fidelen Resignation, da wirkt sie dann sehr deutsch. Sie scheint es aufgegeben zu haben, den Menschen hier arabisches Leben vermitteln zu wollen. Sie akzeptiert. Eines ihrer Hobbys sei schwimmen, hat sie gesagt. Geht sie dann im Badeanzug in Schwimmbäder? Bikini gar? Sie verdreht die Augen. Brummt: „ich schwimme in Saudi-Land.“ Saudi-Land nennt sie ihre Heimat, das sei ein Kosenamen. Also in so schwarzen Klamotten ins Wasser? Ein eindringlicher, wütender Blick: „Blödsinn, Privatstrand.“ Scheinbar wollen die Leute hier es gar nicht verstehen.

Sie hat neun Jahre in Saudi-Arabien als Journalistin gearbeitet, am News-Desk der englischsprachigen „Arabic News“. Sie ist in Dschiddah verheiratet, hat zwei Kinder, Salam, 6 Jahre alt, ihre Tochter, geht auf die deutsche Schule. Hatam, 2 Jahre, ihr Sohn, ist zuhause, in einem Haus mit vielen Angestellten, gut betreut. Sie sagt. Ihr Mann ist Deutscher, „Westfale“, sagt sie lächelnd. In den 90er Jahren in Arabien hängengeblieben, spricht kein arabisch, arbeitet erfolgreich als Rechtsanwalt. „Eines seiner Prinzipien ist, keine deutschen und keine saudi-arabische Kunden, nur internationale. Es gibt da viele.“ Er ist also mit den Kindern in Dschiddah geblieben, als sie 2006 nach Deutschland kam. „Ich hab sofort festgestellt, dass ich noch viel mehr deutsch bin als ich dachte.“ Deutschland sei schon unfreundlicher, „es funktioniert hier nur mit Gehirn, dennoch finde ich mich in Deutschland besser zurecht“. Besser als daheim? „Ich bin Saudi.“ Das kommt fast trotzig. Sie ist wohl auch deutsch. „Meine Kollegen sagen immer, ich sei zu gründlich, zu genau, ich solle nicht so deutsch sein.“ Einmal lächelt sie lange: „Das sind wohl zwei extrem seltsame Kulturen.“

Als Reporterin interviewte sie einmal Prinz Abdullah bin Faisal bin Turki Al-Saud, ein Enkel von Ibn Saud, also arabische Oberliga, Gründer von Sagia. Der Prinz erkannte ihr Potential, ihre Sprachkenntnisse, ihren Biss, dieses „best of both worlds“ und die Chancen, die darin stecken. Auch wissend, dass Frauen aus Arabien in Europa in wichtigen Jobs ein Klischee brechen, deshalb besonders gut wirken, symbolhaft für modern und offen stehen. Und wahrscheinlich sah er auch dieses Feuer. Er hat sie engagiert. Sagia sei in Saudi-Arabien, das sich nur mit sich selbst beschäftigt habe, etwas Neues, ganz anderes gewesen. Ein Serviceleister. So kam sie nach Frankfurt. Heim.

Dahlia ist ein jüdischer Vorname. „Na und? Mein Vater hat mich wegen Dahlia Lavi so genannt, Filmschauspielerin.“ Das sagt sie beim ersten Treffen im Hotel Frankfurter Hof in der Innenstadt. Das ist sowas wie ihr Wohnzimmer, hat sie am Telefon gesagt, da sei sie aufgewachsen. „Wenn ich von Deutschland rede, denke ich an Frankfurt.“ Geboren wurde sie in Wien, die Familie zog nach Bochum, dann nach Frankfurt, dann nach Berlin, weiter nach Dschiddah. Ihr Vater hat in Deutschland Medizin studiert. Sie lebte vom dritten bis elften Lebensjahr in Frankfurt und ist ein absoluter Patriot. „In München beispielsweise fühle ich mich als Ausländerin. Hier nicht.“ Frankfurt sei eine tolle Stadt. „Sie spielt eine große emotionale Rolle in meinem Leben. Ich kenn die Zeil noch ohne Bäume“, sagt sie. „Mir fehlen Ammerschläger und die anderen Läden, die jetzt weg sind“.

Ihr Handy klingelt, sie spricht arabisch. Der Barkeeper bringt, ohne dass sie den bestellen musste, ihren Spezialtee, eine seltsame Mischung aus Kamille, Hagebutte, Pfefferminze, Ingwer, Zitronensaft und Honig. Sie ging auf die Wilhelm-Hauff-Schule in Neu-Isenburg. Ihre Eltern hatten sie nebenbei arabisch unterrichtet. Im April, sie wär dann zwölf Jahre alt gewesen, hätte die erste Klassenfahrt stattgefunden, im Februar zog die Familie nach Dschiddah. Ab da trug sie den Schleier. Was kein Problem gewesen sei. „Wirklich das geringste“. Es gab andere. „Es ging auch nicht um die Sprache, ich fühlte mich damals völlig unverstanden. Ich hab das Leben dort nicht verstanden.“ Telefonierte täglich mit den Freundinnen in Deutschland. Fuhr jeden Sommer, begleitet, für sechs Wochen nach Frankfurt. Daher ihre Gefühle für den Flughafen und den Frankfurter Hof. In Dschiddah „hatte ich immer das Gefühl, ich will ausbrechen, ich war rebellisch, expressiv“, was für ein Teenager-Mädchen in Saudi-Arabien ein Problem sein kann. Sie spricht viel von ihrem Vater, sehr viel. Denn er, das kommt nach und nach raus, hatte ähnliche Probleme, schließlich hatte er 17 Jahre in Deutschland und Österreich gelebt. „Das hat ihn deutsch geprägt.“ Sie wisse, er verstehe sie. Er leitet Kliniken, sorgte dafür, dass seine älteste Tochter, die Schwierige, immer wieder nach Deutschland kam. Ihre Mutter hatte in Ägypten englische Literatur studiert, zu Zeiten, als Frauen aus Saudi-Arabien dort noch nicht studieren konnten. Die Mutter taucht weniger auf in Dahlia Rahaimys Gesprächen. Die Geschwister, alle jünger, ohne Bindung an Deutschland, nur auf Nachfragen.

Noch heute, mehr als 20 Jahre später, weiß sie nicht, ob ihr Vater sie hätte mitfahren lassen ins Schullandheim wenn die Familie da geblieben wäre. „Damals, als wir Frankfurt verließen, wusste mein Vater, dass er mich an Deutschland verlieren würde.“ Sie erzählt von damals, was für ein schlimmes Kind sie war, neu in Dschiddah, in der Pubertät. Als sie Deutschland vermisste und allen das Leben zur Hölle machte. „Ich war richtig aggressiv.“ Jahrelang wurde sie ruhiggestellt von ihrer Familie, indem sie die Schulferien nach Frankfurt geschickt wurde, zu Freundinnen aus der alten Schule, meist aber in den Frankfurter Hof. Deshalb weiß der Kellner, was sie gleich bestellen wird, hier im Foyer. Sie trägt viel auffälligen, fast protzigen Schmuck. Nur welchen von Bulgari, „bin ein guter Kunde bei denen“. Eine Gucci-Sonnenbrille, überdimensioniert. Eine Chanel-Uhr, auch die riesig. Nachher auf dem Fußweg nach Sachsenhausen, bleibt sie immer an Schaufenstern mit Uhren stehen. Einmal sehen wir genau ihre Chanel, „ich liebe nun mal große Uhren“. Sie kostet 4000 Euro. Aber sie ärgert sich über das Araberin-geht-groß-shoppen-Klischee. Das sei doch typisch deutsch.

Am Flughafen. Ihrem Flughafen, bei Feinkost Käfer, sagt sie mit viel orientalischem Pathos: „Ich bin Saudi.“ Kurz darauf: „Das hier ist meine Heimat.“ Ein Widerspruch? Sie sieht es nicht mehr so. „Ich fühle mich hier zuhause.“ Sie träume oft deutsch. Gilt bei Sagia als die Deutsche. „Die sagen immer zu mir, sei doch nicht so genau, so korrekt.“ Mache sie stolz. Sie ist, für den Job, den sie macht, wohl genau am richtigen Platz.