Rick Owens – „Meine Nippel waren so weich wie die eines Mädchens“

von 
Interview
zuerst erschienen in GQ Style, Frühjahr/Sommer 2014, S. 196-200
Fassung der Autorin
Was haben Courtney Love und Helena Bonham Carter, A$AP Rocky und Iggy Pop gemeinsam? Sie lieben Rick Owens. Der Kalifornier ist bekannt für seine Kollektionen, die immer eine Variante seines spezifisch glamourösen Grunge sind: Lederjacken, hüftlange Tops entweder ganz ohne oder mit überlangen Ärmeln. Alles in Schattierungen von Schwarz und Weiß. Owens und seine Frau Michèle Lamy, sie verantwortet die Möbel-Linie des Unternehmens Rick Owens, sind so etwas wie die Addams-Family von Paris: zwei elegante Goths, exzentrisch und dabei ausnehmend freundlich. Das Interview mit Rick Owens soll am Ende doppelt so lang dauern wie verabredet, er erweist er sich als ungewöhnlich offener und sehr lustiger Gesprächspartner.

Es heißt, Sie hätten Ihren aktuellen Schuh für Adidas nur designt, um sich fürs Cardio-Training zu motivieren. Ich dachte, Sie würden ausschließlich Bodybuilding betreiben.

Ja, das mit dem Training habe ich gesagt und ich glaube, ich habe das auch so gemeint. Ich dachte, es würde mich ein wenig motivieren. Hat es aber noch nicht.

Aber Sie trainieren regelmäßig.

Alles in meinem Leben dreht sich darum, sich wohlzufühlen, etwas zu kreieren und jeden Tag ins Gym zu gehen. Mein idealer Tag besteht darin, meinen Geist und meinen Körper zu verbessern: lesen, trainieren, schwimmen gehen. Ich trainiere seit fast zwanzig Jahren, fünfmal die Woche, immer entweder vor dem Mittag- oder dem Abendessen. Ich fing damals damit an, weil ich so ungesund lebte und viel zu viel trank. Ich gönne mir immer noch, was auch immer ich will, aber ich gleiche es durch Training aus. Sobald ich damals verstanden hatte, dass es in meiner Macht liegt, meinen Körper zu verändern, wurde es eine regelrechte Sucht. Und sie war sehr erfüllend. Seit ich den Körper erreicht habe, den ich wollte und wusste, besser geht es nun nicht mehr, seitdem hat das Training eine therapeutische und meditative Funktion für mich. Und es geht um die Aufrechterhaltung des Status quo.

Wie sahen Sie denn aus, bevor Sie anfingen, Ihren Körper zu formen?

Als Teenager war ich ein wenig pummelig. Ich trug eine Zahnspange, mit meiner Frisur versuchte ich auszusehen wie Rod Stewart: oben kurz und stachlig, hinten lang. Ich trug diese Jeans, die es nur in einem bestimmten Laden gab. Das waren relativ hoch geschnittene, steife Schlaghosen, die im Schritt und am Hintern sehr eng waren. Darum ging es: Sie betonten den Schritt. Jedenfalls hatte ich immer die Brustwarzen eines Mädchens, ganz weich. Vielleicht lag das daran, dass ich halber Mexikaner bin. Das scheint irgendwie typisch zu sein. In meinen Zwanzigern begann ich damit, Steroide zu nehmen und das veränderte auch das Aussehen meiner Brustwarzen.

Wie lange haben Sie Steroide geschluckt?

Ein paar Jahre lang. Sie ließen mich gut aussehen. Deswegen würde ich es auch jederzeit wieder tun.

Nach ihrer Rod-Stewart-Phase wollten Sie aussehen wie Mischung aus Iggy Pop und dem Schauspieler Joe Dallessandro.

Ich wollte wie Iggy Pop aussehen, aber mehr noch wollte ich ihn vögeln.

Ha! Nun, ein Ziel haben Sie jedenfalls erreicht, finde ich. Aber sind Sie ihm je begegnet?

Ja, spätnachts in einer mexikanischen Drag-Bar in Los Angeles. Es war nicht sehr voll und ich dachte: Wer ist dieser komische kleine Typ da auf der Tanzfläche? Ich war etwas betrunken und sagte hallo. Ich war in Begleitung und er auch, also blieb es dabei. Aber Jahre später hat Bruce Weber ihn in einer meinen Lederjacken fotografiert. Darüber war ich sehr glücklich.

Ein anderes Ihrer Idole war Lou Reed.

Und er rief eines Tages an und fragte, ob er mal bei mir in Paris zum Abendessen vorbeikommen dürfe. Vielleicht hatte er gehört, dass ich meine Mode immer so haben wollte, wie seine Musik war: ein bisschen unheimlich und mit minimalen melodischen Veränderungen. Ich war traurig, als er letztes Jahr starb.

Er war es, der die Musikerkennungs-App Shazam auf ihrem iPhone installiert hat.

Er war ein größerer Techie, als ich es bin.

Ihre Kollektion für den kommenden Sommer haben Sie nach einem Song von ihm benannt.

„Vicious“, den Song habe ich immer gemocht. In dem heißt es „Vicious, you hit me with a flower“. Diese verspielte, lustige, sehr entspannte Art von Bösartigkeit wollte ich für meine Show. Und ein wenig Chaos auf dem Runway, deswegen ließ ich dazu die estnische Hardcoreband Winnie Puh spielen. Wir wollen alle ab und zu grausam und wild sein und daran ist gar nichts Schlechtes.

Für Ihre Präsentation ihrer aktuellen Damen-Kollektion hatten Sie Stepping-Teams mehrerer Studentinnenverbindungen engagiert, afro-amerikanische Frauen, die eine kraftvolle Choreographie ausführten. Man warf Ihnen vor, die Tänzerinnen instrumentalisiert und ausgebeutet zu haben. Hatten Sie mit diesen Reaktionen gerechnet?

Ich hatte sogar mehr Kritik erwartet. Andererseits bin ich als Designer nicht so sichtbar wie zum Beispiel Muccia Prada, kann also keine echte Kontroverse auslösen. Aber die Leute erwarten etwas Eigenartiges von mir. Ich mochte die Tatsache, dass die Show nicht politisch korrekt war. Ich mag es, mich darüber lustig zu machen, wie verstockt die Leute sein können. Ganz abgesehen davon, habe ich diese Tänzerinnen nicht ausgebeutet – ich habe sie bewundert. Und diese Frauen sind Performer, sie waren sich des Risikos bewusst. Ich dachte also: Scheiß drauf, lasst uns mit den Konventionen der Mode brechen.

Damit meinen Sie das, was normalerweise als schön angesehen wird. Die Frauen hatten allesamt keine Modelmaße und schauten überdies sehr grimmig drein.

Genau. Und die Show war so spaßig. Ich wollte damit nicht sagen, dass ich ein Besserwisser bin. Nur ist es in meiner Welt möglich, Schönheit aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Wir müssen nicht den Regeln entsprechen.

Sie sind kein Designer, der sich mit jeder Kollektion neu erfindet, im Gegenteil. Wie gehen Sie vor, wenn Sie die nächste Saison in Angriff nehmen?

Ich beziehe mich auf mich selbst. Ich analysiere, was ich ein halben Jahr zuvor gemacht habe und schaue, wohin ich von da aus gehen will. Das ist nicht besonders aufregend, aber es scheint zu funktionieren. Die Leute haben sich entschieden, meine Geschwindigkeit zu tolerieren.

Mehr noch: Sie haben eine fast kultische Anhängerschaft. Was glauben Sie: Warum ist das so?

Ich entscheide mich nicht andauern um. Ich will jemand sein, der weiß, wer er ist. Meine Kollektionen gefallen Leuten, die das auch wollen. Meine Sachen sind so speziell, dass man sie nur hassen oder lieben kann. Manchmal bereue ich, dass ich viele Leute mit meiner Unbeugsamkeit befremde. Auf der anderen Seite brauche ich kein riesiges Publikum. Ich bin sehr glücklich mit meiner Nische. Ich bin das Gegenteil von Ralph Lauren. Und vielleicht sind die Ralph-Lauren-Träger diejenigen, die ich ärgern will.

Haben Sie die Strickjacke gesehen, die Ralph Lauren den amerikanischen Sportlern für die Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele in Sotchi designt hat?

Nein, habe ich nicht.

Ich glaube, sie würde Ihnen nicht gefallen: rot-blau-weißer Grobstrick mit sehr vielen stars’n’stripes und olympischen Ringen, dazu der USA-Schriftzug.

Der Witz ist, dass Ralph Lauren und ich uns im Grunde ganz gleich sind. Ich habe ihn oft dafür kritisiert, dass er sich an eine Welt herangehängt hat, zu der er nicht gehört: edle Herkunft, altes Geld, Luxus. Dann wiederum denke ich: Ich bin dieser Typ von 51 Jahren, der versucht auszusehen wie ein 16-jähriger Skater. Ich bin genauso falsch wie Ralph Lauren.

Ihr Outfit besteht meist aus einem Tanktop oder Sweater, knielangen weiten Hosen und knöchelhohen Stiefeln ohne Schnürsenkel, und zwar alles in Schwarz. Besitzen Sie eigentlich einen Anzug?

Nein.

Was haben Sie bei Ihrer Hochzeit vor acht Jahren getragen?

Was ich eben anhatte, was ich immer trage. Es war eine standesamtliche Hochzeit. Aber wenn wir in der Kirche geheiratet hätten, hätte ich – und ich glaube, Michèle hätte das auch gewollt – ich hätte also eines meiner langen Männerkleider getragen.

In Schwarz?

Ich denke, ich hätte Weiß getragen. Ich bin keine Jungfrau mehr, aber ich glaube, das wäre okay gewesen.

Wo wir gerade über die Kirche sprechen: Sie besuchten als Kind eine streng katholische Schule. Ihre Kollektionen haben immer etwas Mönchisches oder Nonnenhaftes, sie sind sehr streng und monochrom.

Ich glaube, wir alle möchten bessere Menschen sein, als wir es sind. Darum geht es bei Religionen: sein Bestes geben und versuchen, etwas Gutes zu tun. Ich bin nicht gläubig, aber dieser fundamentale Wunsch ist eine gute Sache. Und dasselbe versuche ich mit meiner Kleidung zu erreichen. Ich mag Hingabe, ich mag Strebsamkeit, Einfachheit. Dinge, die ernst sind und förmlich.

Einverstanden, wenn man Sie einen Perfektionisten nennt?

Das bin ich wohl. Aber ich bestrafe mich innerlich sehr oft dafür, es nicht zu sein. Es ist, als würde ich versuchen, einen perfekten weißen Raum zu erschaffen und ihn in seiner Perfektion zu erhalten. Jeden Tag schaue ich darin herum und entdecke Makel und Schäden. So wird aus Perfektionismus schnell eine Neurose. Aber ich arbeite daran.

Ist das der Grund, warum Sie glauben, ein schwieriger Ehemann zu sein und ein schrecklicher Vater – wenn Sie denn einer wären?

Ja.

Haben Sie sich je Kinder gewünscht?

In meinem Bauch brennt kein Feuer für Kinder. Da brennt eines dafür, etwas zu kreieren. Aber das gilt nicht für Kinder. Ich schrecke vor der Verantwortung zurück. So wie es ist, hat alles seine Ordnung.

Zu etwas ganz anderem: Die Frage, ob es sich bei Mode um Kunst handelt, wird regelmäßig verhandelt. Was denken Sie?

Ich denke, dass Mode sehr viel allgegenwärtiger geworden ist, als sie es früher war. Deswegen muss man als Designer die Leute heute berühren und ihre Seelen zu fassen bekommen. Früher war dafür die Kunst zuständig. Ich bin ein Fan von Kunst, aber ich bin kein reiner Fan. Ich mag, dass Kunst auch Politisches verhandelt. Und damit meine ich nicht Weltangelegenheiten, sondern Künstler, die Vorstöße wagen. Vielleicht war es Andy Warhol, der die Ironie und den Sarkasmus in die Kunst eingeführt hat. Ich bin nicht sicher, ob ich das mag. Künstler, die sich an den Händlern ausrichten und Händler, die ihre Deals machen – das ist die korrupte Seite der Kunst. Mode dagegen ist an Handelsgüter gebunden. In der Kunstwelt muss niemand kleine Zeichnungen verkaufen, um auch die großen Arbeiten anfertigen zu können, die er wirklich mag. Aber ich liebe den Glamour der Modewelt. Ich mag, wie sich alles um Geld dreht, darum, auf der richtigen Party zu sein – das ist alles, was ich nicht bin und von dem ich nicht will, dass meine Mode so ist. Ich habe kein Designteam unter mir und keinen Aufsichtsrat über mir. Alles, was ich tue, muss nur mir gefallen. Selbst bei den Dingen, mit denen ich das meiste Geld mache, etwa den Accessoires, muss ich keine Kompromisse eingehen. Ich liebe jedes meiner T-Shirts.

In Ihrem Online-Shop verkaufen Sie mehrere Bücher des surrealistischen Dichters Edward James. Was mögen Sie an ihm?

Ich interessiere mich immer eine Weile sehr für jemanden. Vor einiger Zeit habe ich alles geliebt, was mit Stephen Tennant zu tun hatte, einem britischen Aristokraten, der seine große Zeit in den Zwanziger und Dreißiger Jahren hatte. Ich habe alles von ihm und über ihn gelesen und genoss es, eine Zeitlang in seiner Welt zu leben. Vor ihm galt meine Liebe dem Aufklärer Montesquieu, davor der Dichterin Edith Sitwell. Ich liebe extreme, exzentrische Figuren, die sich einer bestimmten Ästhetik, der Schönheit und dem Vergnügen überantworten. So sehr, dass es manchmal ungesund wird und sie davon verzehrt werden – wie Drogenabhängige.

Wie oft hat man Ihnen angeboten, Ihr Label zu verkaufen?

Gar nicht. Aber als ich jünger war, hat man mir öfter angeboten, für andere Häuser zu designen. Jetzt gelte ich wohl als zu festgefahren. Neulich habe ich mein Unternehmen schätzen lassen und ich war beeindruckt. Das hatte ich nicht erwartet. Das war nett.

Waren Sie nicht doch kurz versucht zu verkaufen?

Oh Gott, nein. Selbst wenn morgen alles schiefgehen würde und meine Firma auf ein Viertel ihrer jetzigen Größe schrumpfen würde: Solange ich einen Strand in der Nähe habe, bin ich okay.

An welchen Strand gehen Sie denn in Paris?

Nun, natürlich nicht in Paris. Ich fliege nach Dubai. Der Strand da ist tadellos. Dubai ist nah – und es ist bizarr. Es ist ein anderes Gegenteil von mir: neu und glänzend. Es erinnert mich ein wenig an Los Angeles mit seinen Freeways und seinem verwirrenden Mangel an Geschichte.

Früher, als sie noch in L.A. wohnten, stammten Ihre Inspirationen von den transsexuellen Strichern, Drogenabhängigen und den Straßenkindern auf der Straße vor Ihrem Haus. Was ist es heutzutage?

Derzeit ist es die Architektur von Frank Lloyd Wright. Ich schaue mir jeden Morgen Bücher über seine Häusern an. Er hat hauptsächlich Familienhäuser gebaut und eine Art außerweltliche Atmosphäre geschaffen. Seine Arbeiten haben stets die Natur und die Elemente um sie herum respektiert, sie waren sehr ursprünglich, und gleichzeitig sehr elegant und kultiviert.

Kommen Ihre Eltern noch immer zu jeder Ihrer Schauen nach Paris geflogen?

Meine Mutter ja, mein Vater spricht nicht mehr mit mir. Weil ich ihn in einem Interview schwierig genannt habe.

Sie haben ihn auch schon einen liebenswerten Nazi genannt.

Das hat ihn nicht beleidigt. Dad ist ein Intellektueller, der gedanklich sehr brutal sein kann. Er sagt immer geradeheraus, wenn ihm etwas am Verhalten anderer nicht gefällt und ich dachte, er könne ein wenig Kritik aushalten. Aber er reagierte sehr emotional. Ich habe ihn in seiner Männerehre gekränkt. Hinterher habe ich versucht, ihm klarzumachen, dass wir einander eben auf die Nerven gehen – was ist schon dabei? Aber er war dermaßen empört, dass er den Kontakt abbrach. Letztendlich war das eine Erleichterung für mich, weil mir erst dann klar wurde, wie anstrengend es immer war, Zeit mit ihm zu verbringen. Ich habe das Gefühl, er ist jetzt glücklich, mir eine Lektion erteilt zu haben. Also ist es absolut okay so, wie es ist. Es ist ganz natürlich, dass ein Vater seinen Sohn dominieren will und der Sohn sich davon befreien will. Ich dachte nur, wir hätten das hinter uns gelassen.