Lieber au jour als authentisch

Kolumne
zuerst erschienen am 25. Januar 2011 in Die Tageszeitung

„Papa, der Dinosaurier kackt auf mein Klavier.“ Anton erklärt ihr daraufhin in einfachen Worten den Unterschied zwischen surreal und saureal, aber sie blättert bereits teilnahmslos in dem kosmopolitischen Kostümbildband. Wie von Geisterhand findet das Kind die westeuropäischen, adeligen Kleider und Schühchen. Die sind gut, die anderen nicht. Nur wenn sie pink sind, dann haben sie noch eine Chance auf Schönheit. Der Tag vor der Fashion Week fällt dieses Mal auf den statistisch deprimierendsten des Jahres. Am Ende der Modewoche steht der „Internationale Tag der Jogginghose“. Berlin verbindet diese Kalenderkoordinaten in der Zwischenzeit spielerisch.

Es sei die Perversion oder Zweideutigkeit von Objekten, die wichtig ist. Hässliche und neue Sachen, glaubt meine Begleitung, seien faszinierend. In der Nobeldisko Tausend hat das Zeit Magazin zur Feier seines Fashion Issue überall „Protest“ und „Fuck“ an die Wände plakatiert. Der Schauspieler Lars Eidinger spielt Rage against the Machine und so was, dazu recken radikal schöne Menschen gleichzeitig, nostalgisch an ihre Jugend denkend, die Faust ihm entgegen. Beim Townhouse-Abend in der Galerie NBK schlagen sich die Themen selber vor: Der Todesstreifen ist heute ein Radweg mit Einbuchtungen. Die Anwesenden sprechen aus einer Welt heraus, in der Diskurskontinuum mit Disko abgekürzt wird, im Hintergrund läuft ein Video von Christoph Schlingensief, in dem ein Behinderter ein Antifa-Shirt und eine schwarze Wollmütze mit dem Schriftzug Terror trägt.

Im Hotel de Rome trinke ich einen Cocktail der Wodkamarke Belvedere und denke nichts. Im Adlon ist unschöne Green Fashion und eine schöne Chloë Sevigny im Pelzmantel zu sehen. Draußen randalieren einige Jugendliche melancholisch in Zerava top to toe outfits, während neben ihnen die neuen Modelle Bugaboo Cameleon und Bugaboo Bee, von Kopf bis Fuß in einem Denim-Outfit, vorgeführt werden. Die Trendkosmetikmarke Uslu Airlines hat dazu den weltweit ersten Nagellack im Raw-Denim-Look kreiert. The truth wears off.

Der Designer Vladimir Karaleev erinnert fulminant an 1981, als Rei Kawakubo zum ersten Mal ihre Comme-des-Garçons-Kollektion in Paris zeigte. Wie Kawakubo entwickelt Karaleev aus ärmlicher, zerfetzter Kleidung eine absolut schlagende Eleganz. Das ganze Zelt zollt ihm frenetisch Beifall, weil er die Hoffnungen Berliner Designs aus den Fängen der Harmlosigkeit befreit. Bei der Skate-Messe Bright hat die Energydrinkmarke Relentless ihr Isogetränk mit warmer Orange und Zimt zu einem Energy-Tee-Punsch ohne Alkohol gemixt.

Ich träume von einer Teetasse von Nymphenburg. Stattdessen kaufe ich mir eine an den kargen Bauhausstil erinnernde Tasse der Hausfrauenmarke Kahla bei Galeria Kaufhof. Zu Hause mache ich mir einen Früchtetee. Mit einer unmerklichen Bewegung zum Mund geführt, gibt das Produkt den Tee frei: genießen. Die Finger der rechten Hand umschließen sachte den Henkel, die Tasse darf dabei in der linken hohlen Hand - fast schwebend - ruhen.

Fashion Week diese Saison: hart, zynisch, analphabetisch, erinnerungslos, sinnlos rotierend, als hätte man die Perspektive aufgeraut? Quatsch, denke ich, die Mädchen vom Fashion-Blog Les Mads etwa sind doch immer supernett. Ihr in den Galeries Lafayette vorgestelltes Buch „Modestrecke“ gilt als der erste Bildungsroman der Mode. Wir beschließen: Es macht sich heute wieder besser, au jour auszusehen als authentisch. Und das ist sehr gut so. „Papa, komm mal, wisch mal die Kacke weg.“