Coloma

von 
Interview
zuerst erschienen im April/Mai 2003 in Alert Nr. 10, S. 20-32

Man kennt Robert Taylors Stimme aus dem Radio, seitdem er vor zwei Jahren gemeinsam mit dem DJ Mathias Schaffhäuser eine House-Version des Icehouse-Gassenhauers Hey Little Girl erfolgreich einsang. Als Sänger des Elektronika-Duos Coloma sondiert Taylor gemeinsam mit dem Multi-Instrumentalisten Alex Paulick neues musikalisches Terrain: Bei Coloma verfugen sich Knackser, Geklicke und digitale Störgeräusche zu einer Art minimalistischer Perkussion, der entkernte Melodien gegenüberstehen, einfache Basslinien, der Klang einer Steel Guitar - und natürlich Taylors selbstbewusster Gesang. Colomas Album Silverware von 2002 ist eines der meistgelobtesten Debütalben der letzten Jahre in Deutschland. Das Interview findet im Januar in einer Trinkhalle in Berlin-Kreuzberg statt, dem Stadtviertel, wo Coloma kurz zuvor die Arbeit an »Finery«, ihrem zweiten Album, in einem kleinen Mastering-Studio beendet haben. Im Hinterzimmer der Bar findet sich ein freier Tisch. „Was wünschen Sie zu trinken?“ Drei Humpen Bier.

Es gibt zwei Arten von Straßenmusikern: Meistens die, die einem unglaublich auf die Nerven gehen - und ganz, ganz selten die, denen man gerne zuhört. Und noch seltener singen Straßenmusiker ihre eigenen Songs. In letztere Kategorie gehörten Sie, bevor Sie sich Coloma nannten.

RT: Ich reiste herum, schon bevor ich Alex in Frankreich traf. Ich hatte eine Gitarre dabei und das Ziel, jeden Tag so viel Geld zu verdienen, dass ich meinen Spaß hatte. Alex und ich sahen uns zum ersten Mal in Paris. Es war so ein komisches, kurzes Gespräch: „Du spielst Gitarre?“ Und ich sagte: „Ja, ich spiele Gitarre.“ Und Alex: „Ich spiele auch Gitarre.“: So passierte es, dass wir zusammen aufzutreten begannen.

AP: Im Grunde war es ein reiner Zufall, dass wir uns getroffen hatten. Er saß da, mit einem Walkman, und schrieb einen Songtext auf ein Blatt Papier. Ich bemerkte den Titel des Songs: Help Save The Youth Of America. Das war ein Song von Billy Bragg, den ich kannte. Ich dachte, er wäre Franzose und würde die englische Sprache nicht verstehen - außer, wenn ich ihm helfen würde.

RT: Alex war siebzehn Jahre alt. Er war dieser vom Koffein ausgemergelte Typ, der mich anquatschte.

AP: So haben wir uns kennengelernt. Normalerweise spreche ich keine Leute an, nur weil sie eine Gitarre dabei haben. Und dann fingen wir an, zu zweit durch Europa zu reisen. Für uns war das Spaß. Wir waren jung und spielten auf den Straßen von Paris. Wir sagten uns: Ist das genial! Vielleicht werden wir sogar Mädchen kennenlernen.

Und, trafen Sie Mädchen?

AP: Ja. Wir hatten eine Regel: Robert sollte die hochgewachsenen Mädchen nehmen, und ich die kleineren.

RT: Alex, das klingt furchtbar! Schlimmer als das!

AP: Ich meinte „nehmen“ doch nicht in dem Sinne …

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RT: Du wolltest sagen: „reden“. Mit ihnen „reden“, mit den Mädchen.

AP: Robert sollte mit den hochgewachsenen Mädchen reden, und ich mit den kleineren.

RT: Ich bin viel älter als Alex. Ich war fünfundzwanzig, als wir uns begegnet sind.

AP: Er hatte gerade das Studium abgeschlossen und einen langweiligen Job, oben in Leeds.

RT: Ich dachte: Das ist nicht das Leben.

Es muss etwas besseres geben als Leeds?

RT: Yeah.

AP: Im Grunde waren wir das, was man später als Slacker bezeichnen würde. Mir ging das ja ganz ähnlich: Ich hörte auf zum College zu gehen. Ich suchte etwas besseres.

Sie hatten Spaß, und Sie redeten mit Mädchen. Woher nahmen Sie das Geld, einfach so monatelang durch Europa zu reisen?

RT: Wir waren richtig hart arbeitende Straßenmusiker. Wir standen früh auf. Wir spielten vor dem Centre Georges Pompidou auf der Place Beaubourg - kurz bevor es aufmachte. Jeden Morgen gab es eine irrsinnig lange Schlange von Leuten, die sich früh angestellt hatten, um die Ausstellungen zu besuchen.

AP: Wir begannen mit einem mitreißenden Eröffnungsprogramm.

RT: Und danach ging Alex mit einem Hut Geld sammeln. Alex, ich fürchte, das ist ein bisschen peinlich, und wahrscheinlich sieht es gedruckt schrecklich aus, das alles so zu erzählen - aber so war es doch. Entscheidend war, dass die Leute unsere Musik wirklich mochten. Sie gaben uns gerne Geld. Das sah man an ihren Gesichtern. Denn Alex und ich, das hatten wir sehr schnell herausgefunden, wir konnten gut zusammen singen, ohne dass es uns große Schwierigkeiten bereitete. Das war vor allem Alex‘ Verdienst: Er konnte seine Stimme gut mit meiner harmonisieren. Die Leute liebten das. Wir waren so zwei nette Jungs, die zusammen Harmoniegesang brachten. Auf diese Weise machten wir eigentlich immer gut Geld.

AP: Das Geld reichte auch für ein Interrail-Ticket. Am Ende waren wir wirklich wie Interrail-Kids, die durch Europa reisten. Mit dem kleinen Unterschied, dass wir nicht vom Geld unserer Eltern lebten.

RT: Ich weiß noch, dass ich Mundharmonika lernen wollte, weil ich den Dylan-Stil, mit dem Mundharmonikahalter um den Hals, so toll fand. Ich besaß aber keine. Ich erinnere mich, dass ich jeden Tag ein paar Francs beiseite tat, um mir irgendwann diese Mundharmonika kaufen zu können. Denn eins ist auch klar: Es ist einfacher, das Geld, das man gerade verdient hat, gleich wieder auszugeben, als bei einem solchen Lebensstil etwas Geld auf die hohe Kante zu legen.

AP: Normalerweise war es ja auch so, dass wir jeden Morgen auf’s Neue mit leeren Taschen begannen.

RT: Es hatte etwas von einem Tagelöhnerleben, von der Hand in den Mund. Wir hatten ja in keinster Weise vor, eine Karriere anzustreben. Dieses Leben von Tag zu Tag hat ja auch seine schönen Seiten.

Kürzlich haben Sie in Berlin ein Konzert ohne die vom Veranstalter zugesagte Verstärkeranlage spielen müssen. Hat sich da Ihre Vergangenheit ausgezahlt?

RT: Dieses Konzert im NBI in Berlin war ja für Coloma ganz unüblich. Mit Coloma spielen wir minimalistische elektronische Musik. Ich singe, und Alex spielt außerdem die Steel Guitar. Wir wussten nicht, dass es aufgrund von Lärmschutzbedingungen keine Verstärkeranlage geben würde. Wir waren gezwungen a cappella zu spielen, das war jedenfalls kein Show-Element. Ich habe auf dem Konzert sogar ohne Mikrofon gesungen. Das war eine Show, wie wir sie damals, mit anderen Instrumenten zwar, aber wie wir sie tatsächlich auch auf der Straße gebracht hatten.

AP: Wir hätten den Abend im NBI nicht überlebt, wenn wir nicht diesen Background gehabt hätten.

RT: Es hatte alle Ingredenzien: Sogar das Publikum stand um uns im Halbkreis herum.

AP: Ich bin nach dem Konzert von der jungen Frau hinter der Bar angesprochen worden. Sie hatte mich während des gesamten Konzerts die ganze Zeit angestarrt, auf so eine witzige Art und Weise. Ich wusste wirklich nicht, warum sie mich so anguckte? Als wir fertig waren, kam sie auf mich zu und sagte: „Warst du zufällig 1994 in Stuttgart?“ Ja, sagte ich. Das war ich tatsächlich. Und dann sagte sie…

RT: Ich erzähle die Geschichte. Du bist viel zu befangen.

AP: Meinst Du?

RT: Sie fasste sich ein Herz und sagte zu Alex: „Ich war damals 14 Jahre alt, und ich war verliebt in dich!“

AP: (grins)

RT: Wir spielten damals in den Straßen von Stuttgart.

AP: Sie hatte sich damals von ihrem Taschengeld eine Kassette gekauft, die wir aufgenommen hatten und auf unseren Straßenkonzerten verkauften. Und sie erzählte mir: „Das war die Kassette, auf der She Wants Diamonds und Owed To June und Nothing Ventured drauf waren.“

RT: Das waren unsere ersten Songs.

AP: Sie erinnerte sich an all die Namen der Songs.

Klar, sie war ja verliebt gewesen.

RT: Sie hat unsere Musik den ganzen Sommer 1994 über gehört. Alex, Du hast den Soundtrack zum Sommer eines Menschen geliefert. Das ist toll. Ich bin stolz auf Dich.

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AP: Ich war ja auch ganz überrascht.

Die Zeit des Reisens hatte ein Ende. Sie begannen ernsthaft Musik zu machen. Sie strandeten in Köln und entdeckten die Kölner Elektronika-Szene und somit Künstler wie Mike Ink, The Modernist oder A-Musik.

AP: Ja, mit einem Mal waren wir in Köln.

Aber im Gegensatz zu den genannten Künstlern schreiben Sie Songs und nicht Studien elektronischer Klangstrukturen.

AP: Ich habe eine Menge über genau diese Frage nachgedacht, als ich dieses Stuttgarter Mädchen im NBI wiedergetroffen hatte. Ich dachte deswegen darüber nach, weil sie damals, vor zehn Jahren, mochte, was wir gemacht hatten - und weil sie es heute immer noch mag, obwohl wir heute eine ganz andere Musik machen. Ich kam auf eine Lösung, die ganz einfach ist: Von der Essenz her ist es schlichtweg das gleiche. Okay, wir nehmen nur noch selten akustische Gitarren in die Hand, aber die Ästhetik ist die selbe. Wir mochten immer schon …

… eine schöne Melodie?

RT: (HA, HA, HA!) Das klingt so fürchterlich nach Cliff Richard!

AP: Wer mag nicht schöne Melodien? Wir wollten ja nicht große Rockmusik machen, sondern hatten eher diesen kleineren Ansatz, Songs schreiben zu wollen, die auch von Songwritern stammen könnten. Mit akustischen Gitarren und, wie soll ich es ausdrücken? Mit diesem „empty sound“, durch den die Stimme sehr im Vordergrund steht. Das ist ja heute genauso. Durch die Beschäftigung mit elektronischer Musik, durch diesen Versuch, interessante elektronische Musik selbst zu machen, begann ich, eine ganze Reihe von Platten neu zu hören, analytisch, Platten, deren Stimmungen ich sehr mochte. Ich fragte mich: Könnte man dazu nicht singen? Es sind doch ähnliche Klänge, die die benutzen, es ist der gleiche Viervierteltakt, es ist doch Musik, die ich mag. Könnte man nicht mit dieser Art von Soundästhetik auch Songs schreiben, zu denen man singen kann?

Was waren das für Platten?

AP: Zum Beispiel Platten von Kreidler, zu denen ich ja dann später als Bassist stoßen sollte. Aber auch Mike Ink. Er hat einige Stücke, die klingen auf eine gewisse Weise wie Popmusik. Man fragt sich, warum singt da niemand? Warum singt da niemand Texte drüber, wie sie Mark Eitzel singt? Denn diese Musik hat Raum für eine Stimme. Diese elektronische Musik findet in der Regel im Frequenzbereich zwischen tiefen, warmen Bässen und Bass Drums und den kleinen Knister-Things in den Höhen statt. Die ganzen Mitten, die die menschliche Stimme hat, werden von der Musik nicht abgedeckt. Aber wenn man einmal versucht, zu diesen Tracks zu singen , dann funktioniert es irgendwie nicht. Es lag also wohl am Arrangement. Wir fanden zudem heraus, dass die Stimme von Rob eine Balance brauchte, und das war die Steel Guitar, eigentlich ein Instrument, das in der Country-Musik viel benutzt wird. Die Kombination all dessen macht die besondere Klangfarbe von Coloma aus. Interessanterweise ist es bei Coloma so, dass, wenn man die Stimme ausblenden würde, dann hätte man trotzdem schöne elektronische Klanglandschaften. Und umgekehrt: Wenn man die Elektronik weglässt und nur die Steel Guitar, das Klavier und Robs Stimme übrig lässt, dann haben wir fast Country-Harmonien. Es funktioniert bei uns, was bei anderen nicht funktioniert, weil wir eben diese Erfahrungen und unsere Geschichte haben. Manchmal gefällt mir der Gedanke, dass wir uns das Ganze auch als Konzept hätten ausdenken können; nämlich das elektronische Geklicker mit einem klassischen Songwriter-Ansatz zu verbinden, der so weit zurückreicht wie die Erinnerung an Hank Williams, Duke Ellington oder George Gershwin.

Und tatsächlich war es wie?

AP: Stellen Sie sich vor, Rob und ich sitzen in Köln in einer Bar, und im Hintergrund läuft so Kölner Minimalistenelektronik, während wir uns darauf zu konzentrieren versuchen einen Song zu schreiben. Ohne wirklich darauf zu achten, ertappt man sich dabei, dass man feststellt: Mit ein paar Änderungen könnte man tatsächlich ein Lied zu dieser Musik singen. Und natürlich kommt hinzu, dass Köln das weltweite Epizentrum dieser Musik ist. Diese Musik ist Gesprächsthema und Objekt der Auseinandersetzung, denn man spürt, dass man sich an einem Ort befindet, an dem etwas originär Neues entsteht.

Würden Sie so weit gehen, dass Sie sich in einem Konkurrenzverhältnis zu den anderen Kölner Musikern sehen? Dass man sich gegenseitig zu übertrumpfen versucht?

AP: Nicht wirklich. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir uns in einem Wettbewerb befinden. Dazu hat unsere Musik einen viel zu unterschiedlichen Ansatz. Wir sehen uns als Musiker, die eine spezielle Kombination ausprobieren und weiterentwickeln. Und wir geben ja auch zu, dass es natürlich der Kölner Einfluss war, der uns auf musikalischer Seite diesen Weg hat einschlagen lassen. Köln ist ja interessanterweise eine ganz kleine, überschaubare Szene. Ständig stellt man fest, dass dieser Typ da, der am anderen Ende des Tresens sitzt und sein Kölsch trinkt, derselbe ist, der diese wunderbare Platte gemacht hat, die man sich letzte Woche gekauft hat. Die Welt ist klein in Köln, jeder kennt jeden, und nicht groß wie in Los Angeles.

Also lag es an der speziellen Enge von Köln, dass Sie nicht nur andere Songs zu singen anfingen, sondern sich einen eigenen Sound zulegten.

AP: Rob und ich, wir hatten vor Coloma eine Band, die Tonic hieß, die hat sich aber aufgelöst. Direkt im Anschluss daran begannen Rob und ich ein paar Demos aufzunehmen - wir hatten aber keine Band. Also benutzte ich einen Sampler. Ich programmierte Drum Beats. So, wie das die meisten anderen auch mit einem Sampler tun. Gleichzeitig spielte ich aber auch mit einem sehr guten Drummer, meinem Bruder. Mir wurde damals klar, dass ich niemals in der Lage sein würde, einen wirklich guten Schlagzeuger ersetzen zu können. Mir fiel es wie Schuppen vor die Augen: [24-30 Bilder] [31] Warum nicht etwas programmieren, was kein Trommler jemals hinbekommen würde, etwas Künstliches, Abstraktes? Etwas völlig Artifizielles - aber in einer akustischen Umgebung. Und das ist sicherlich ein Ansatz, der durch den Umstand, dass wir uns in Köln aufhielten, begünstigt worden war, weil wir einfach ständig dieser Musik ausgesetzt waren.

Ihre Karriere ging steil bergauf, als Sie Mathias Schaffhäuser an einem Kölner Bartresen vorgestellt wurden und gemeinsam ein Projekt ausheckten. Sie wurden fast berühmt …

RT: … almost famous, yeah.

… fast berühmt, weil Sie die bekannte Icehouse-Nummer »Hey Little Girl« in einer House-Version für Schaffhäuser eingesungen haben.

RT: Das hat Geld in die Kasse gespült. So viel Geld auf alle Fälle, dass ich bis heute eigentlich nichts mehr hinzuverdienen musste. Aber so viel, dass ich auch nächstes Jahr nicht mehr arbeiten muss, war es dann doch wieder nicht. Es ist fast aufgebraucht, will ich damit sagen. Jetzt brauche ich neues Geld.

AP: Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich von dem Erfolg fast noch mehr profitiert habe als Rob. In einem spirituellen Sinne, da mir Robs Erfolg die Bestätigung gab, dass ich all die Jahre, die ich an ihn geglaubt habe, richtig gelegen hatte. Ich hatte immer das Gefühl, dass Robs Stimme eines Tages die Leute ansprechen, die Herzen der Menschen erreichen würde. »Hey Little Girl« war in den englischen Singles-Charts. Das war für mich der endgültige Beweis, dass Rob singen kann.

RT: Alex hat mir immer wieder Mut gemacht. Meine Familie, meine Mutter hat dagegen immer gesagt: „Lass es sein, Junge. Such dir einen anständigen Job. Hör mit der Musik auf.“ Wenn einem so etwas so deutlich und so oft gesagt wird, dann beginnt man sich schon irgendwann zu fragen…

AP: Ich habe die ganze Zeit gewusst, dass Robs Stimme als Teil eines einfachen, reduzierten Pop-Arrangements funktionieren würde. Und sei es noch so klischeehaft, dieses: „Hey! Lass uns einen Hit machen!“ Ich wusste, dass es Rob sogar leicht fallen würde. Vielleicht sogar zu leicht - in dem Sinne, dass er vielleicht hätte in Versuchung geraten können, einem attraktiven Angebot einer großen Plattenfirma nicht zu widerstehen. Einem Angebot …

… „(I Just) Died In Your Arms Tonight“ aufzunehmen?

AP: Genau das meine ich.

RT: Ich war einmal auf einer Geburtstagsparty. Ein sehr guter Freund von mir war unsterblich in diese Frau verliebt, sie aber hatte sich in einen anderen verknallt. Mein Freund war also der liegengelassene Verehrer. Und ich ertappte mich dabei, wie ich die Geburtstagsgrußkarten dieser Frau durchlas. Und mein guter Freund hatte ihr doch tatsächlich die Worte „I just died in your arms tonight“ auf die Karte geschrieben.

AP: Ooouuh! Au! Eieieieiei!

RT: Das war nicht so gut. So etwas schreibt man nicht auf eine Geburtstagskarte. Selbst wenn man verletzt wurde. Aber so sind Popsongs. Das vermögen Popsongs mit einem anzurichten. Man beginnt sie zu zitieren, sie sind der Soundtrack zur eigenen Geschichte.

AP: Manche weitreichende Entscheidungen basieren auf solchen Popsongs. Frauen wurden 1987 zu diesem Lied in Nachtclubs geküsst. Babies wurden gezeugt. Dynastien gegründet.

RT: Wir müssen dringend das Thema wechseln.

Was für eine Rolle spielt es, dass Sie sich im Ausland aufhalten, vielleicht entspannter schreiben können, weil Sie sich in einer fremdsprachigen Umgebung aufhalten?

RT: Wir leben nun seit acht Jahren in Deutschland. Wir sprechen ganz anständig deutsch, aber wir sind keineswegs in der Lage zu Expressivität. Freunde kritisieren mich deswegen. Sie werfen mir mangelndes Engagement vor. Sie sagen: „Du drückst dich.“ Meine Entschuldigung hierfür ist immer die gleiche: Ich muss meine englische Muttersprache verteidigen, behüten, beschützen. Ich schreibe Texte in englischer Sprache. Vor die Wahl gestellt, wähle ich das Englische. Meine Muttersprache macht mich an. Sie kickt mich. Ich liebe es, Wörter aneinanderzureihen. Ich liebe es, Wörter zu finden, die auf ungewöhnliche Art und Weise auszudrücken imstande sind, was ich zu sagen habe. Ich finde, es ist eine Kunst, einen funktionierenden Refrain für einen Popsong zu schreiben, der sich gut singen lässt.

In welchen Situationen schreiben Sie?

RT: Die Zeilen, die ich am liebsten mag, die kommen eigentlich immer unbewusst, per Zufall, zwischendurch. Wenn ich auf der Autobahn fahre und mich plötzlich dabei ertappe, dass ich mich an die letzten zehn Minuten nicht mehr erinnern kann, und dann durchzuckt es mich, und ich denke, das könnte eine gefährliche Sache sein.

AP: Er bevorzugt seitdem das Reisen mit der Bahn.

RT: Was ich sagen will, ist: Plötzlich ist eine Zeile da, ganz ähnlich der Erkenntnis am Steuer meines Autos, als mir bewusst wird, dass ich mich nicht daran erinnern kann, was die letzten zehn Minuten los war. Die Erkenntnis oder auch die Zeile, sie sind mit einem Mal da. Sie kamen aus dem Nichts. Meiner Meinung nach sind das die Momente, an die man sich erinnert - und somit sind das auch die Songzeilen, die vielleicht in einem Gefüge von Strophen wie Ruhepole wirken.

AP: Rob schreibt ganze Notizbücher voll mit solchen Zeilen, die ihm irgendwann einmal gekommen sind.

RT: Natürlich ist es wie mit allen Aufzeichnungen: Die meisten sind eitel, nichtssagend, prätentiös. Aber es ist trotzdem gut, dass man sie aufgeschrieben hat, denn auf diese Weise verliert man nicht die Zeilen, die es wert sind, dass man sich ihrer erinnert. Und manchmal denke ich, ich sollte das alles gewissenhaft verbrennen. [32] Ich übertrage Alex das Recht, alles zu verbrennen, was ich aufgeschrieben habe, sollte ich einmal auf der Autobahn von der Fahrbahn abkommen. Die Kassetten von damals darfst Du auch verbrennen. Was Du nicht verbrennst, gehört Dir.

Wie kommt es eigentlich, dass Sie sich als Minimal-Elektroniker so sehr auf alte Musik beziehen, auf Cole Porter, auf Generationen, die längst verstorben sind?

RT: Wir haben von Anfang an versucht hinter das Geheimnis zu kommen, wie populäre Musik funktioniert. Was macht diese Musik populär? Oder Folk Music? Was macht sie zu Allgemeingut? Zu Musik, die vom Volk gehört wird? Bei uns ist es stets so, dass wir alte Musik hören, einen Akkordwechsel - und uns fragen: Was war das da gerade eben? Das klang ja richtig großartig! Manchmal geht ein Akkord über in einen anderen Akkord, und die Welt scheint stillzustehen. Das hört man oft bei Cole Porter oder George Gershwin. Es gibt keine besseren, von denen man Ideen stehlen könnte, wirklich! (lach, lach).

AP: Aber natürlich geht es auch darum, zu begreifen, warum ein Akkordwechsel auch noch nach fünfzig oder siebzig Jahren kein Jota von seiner Magie verloren hat. Meine Hoffnung war immer die: Hey, vielleicht werde ich eines Tages einmal einen solchen magischen Song schreiben, an den sich die Menschen erinnern werden. Das ist der Antrieb hinter der Frage, die wir uns stellen, warum wir einen bestimmten Song von Hank Williams heute noch hören können und verzaubert werden, in eine andere Welt eintreten, durch diesen Song zu einem anderen Menschen werden. Wie kommt das? Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich diese Methode für mich herausfinden möchte. Ich will keine Songs kopieren, aber ich will herausfinden, was den einen Song unsterblich gemacht hat und den anderen nicht. Ich möchte sozusagen den Code knacken, der Musik unsterblich macht.

Gehen Sie in Läden und kaufen sich dort günstig CD-Boxen von Billie Holiday? Zu Forschungszwecken sozusagen?

RT: Billie Holiday haben wir bereits. Wir hören sie ja auch gerne. In Plattenläden zu gehen und zu suchen, das ist das Feld derjenigen, die auf der Suche nach Samples sind, die Sounds suchen. Aber das ist ein ganz anderer Ansatz. Bei mir ist es eher so, dass ich zufällig eines Morgens eine Platte von Chet Baker auflege, vielleicht, weil ich verkatert bin und den Tag nicht gleich, sondern sozusagen mit so einer Art akustischer Übergangsphase beginnen will - einer verlängerten Nacht. Und während die Platte läuft, stelle ich fest, dass diese Platte voll mit phantastischen Songs ist. Natürlich sind auch die Musiker toll, aber vor allem sind es die Songs. Ich frage mich dann ganz automatisch: Was ist es, das die damals anders gemacht haben, dass solche Songs entstanden? Das ist kein intellektueller Ansatz. Ich denke nicht nach in solchen Momenten. Ich fühle einfach die Musik. Ich fühle, dass da etwas ganz besonderes passiert.

Ja, warum leben solche Menschen wie Billie Holiday, George Gershwin oder auch Miles Davis nicht mehr? Warum hat niemand ihren Platz eingenommen?

AP: Ich glaube, es liegt unter anderem daran, dass es immer weniger unerforschtes musikalisches Terrain gibt. Es gibt nichts mehr zu entdecken, es gibt keinen ersten Schritt mehr, den man gehen könnte. Denn das darf man nicht unterschätzen: Es ist eine Menge wert, etwas als allererster getan zu haben - und nicht bloß etwas zu perfektionieren, was ein anderer vor einem entdeckt hat. Der Vorteil an der Musik ist natürlich, dass man dann doch noch etwas entdecken kann, aber es ist ungleich schwerer geworden, verglichen mit den vierziger, fünfziger oder den sechziger Jahren. Es ist das gleiche mit der Erdkugel: Die Kontinente sind kartographiert. Man kann kein neues Land mehr entdecken, es zur Kolonie machen und zu einer imperialistischen Weltmacht aufsteigen. Der Kuchen ist sozusagen aufgeteilt. Das ist ja auch der Grund, warum die Menschheit ihr Heil in der Raumfahrt sucht, in der Hoffnung, doch noch einen Planeten zu entdecken, der Mineralien birgt, die wir auf der Erde nicht haben.

RT: Ein Planet aus Gold am besten.

AP: Das ist Miles Davis: Miles hatte ein Raumschiff. Er flog in den Weltraum, auf Planeten, die vor ihm noch niemand betreten hatte. Er entdeckte gleich mehrere Planeten aus Gold. Er steckte etwas von dem Gold ein, flog zurück zur Erde und präsentierte es der staunenden Öffentlichkeit. Heute muss man mehr als bloß eine Galaxie weiter fliegen. Miles flog bis zum Mars oder bis zum Jupiter. Wir müssen weiter reisen.

RT: Jenseits des Pluto.

AP: Und wenn man das geschafft hat, lautet die Frage: Wie komme ich wieder zurück?

RT: Syd Barret hatte dieses Problem.

Coloma, das ist der Name eines Goldgräberstädtchens in Kalifornien. Ein Ort, an dem nach Gold gegraben wurde. Ist das jetzt ein witziger Zufall?

AP: Das ist genau der Punkt: Sie haben dort nicht nach Gold gegraben. Sie haben das Gold aus Versehen gefunden. Das ist die Version der Geschichte, die ich gerade erzählt habe, die noch weit vor den dreißiger und vierziger Jahren liegt - das ist das letzte Jahrhundert. Da hat man das Gold noch aus Versehen gefunden. Natürlich hat man nach dem sensationellen Goldfund in Coloma dort bald systematisch zu suchen begonnen. Das Interessante an Coloma ist, dass Coloma selbst eigentlich gar nicht berühmt geworden ist. Coloma ist ein ganz kleiner, eigentlich sogar unauffälliger Ort.

Haben Sie damals in Coloma gewohnt, so dass Sie die Band nach der Stadt benannt haben?

AP: Coloma liegt in der Nähe des Ortes, in dem ich in Kalifornien wohnte. Man fuhr 17 Minuten mit dem Auto, eine Straße mit vielen Kurven, rüber über den American River - und man war in Coloma. Selbst heute ist Coloma kein besonderer Ort. Coloma ist nicht Mekka.

RT: Es ist nur ein kleines Kaff.