Das System des Männerfangs
I. Allgemeine Regeln: der Eitelkeit des Mannes Futter geben. Sein Selbstgefühl stärken, ihn stolz sein lassen auf sich. Ihn verstehen, wenn er verstanden werden will, und im richtigen Moment stoppen – mit dem Verstehen. Ein Mann wünscht nicht bis in die letzten abgründigen Tiefen seines einmaligen Innenlebens begriffen zu werden von einer Frau – er könnte sonst merken, daß es nicht so unerhört einmalig ist, und das würde er sehr übel nehmen. Also ihm immer noch den letzten, sanft melancholischen Seufzer des Unverstandenseins lassen, erschüttert von der eignen Machtlosigkeit dasitzen – er wird sie verzeihen und einem über die eigene Unvollkommenheit liebreich hinweghelfen. Jeder Mann legt Wert darauf, ein im Grunde »einsamer Mensch« zu sein. Man respektiere das. Ihn sentimental sein zu lassen. Männer brauchen das – und können es nur bei einer Frau sein. Zynische Männer sind am sentimentalsten (Zynismus als Stacheldraht um ein zu weiches Herz) – man muß ihn taktvoll ahnen lassen, daß man, trotz verhüllender Geisteschärfe, von dem kostbaren weichen Herzen Kenntnis genommen hat. Unbedingt und immer über dasselbe mit ihm lachen – sonst ists Essig mit der erstrebten Gemeinsamkeit. Sich politisch aufklären lasen. Sehr dumm sein, aber sehr intelligent fragen. Zu seinen jeweiligen Freunden und Bekannten entzückend sein – Lob von anderen macht die eigenen Aktien um hundert Prozent steigen. Möglichst zu dreien oder vieren ausgehen – zusammensitzen – lieb und nett sein – und im richtigen Moment sehr graziös zur Telefonzelle entschweben, um den Bekannten Gelegenheit zu ein paar anerkennenden Worten zu geben. Sie mit einem Nimbus von Verehrern – »die einem aber sehr gleichgültig sind« – umgeben. Man ist nicht so. Man macht sich nichts draus. Man legt ihm die Skalpe der Eroberten zu Füßen – er wird stolz sein – auf sich, auf die Frau, auf sich und überhaupt. Ihm immer Gelegenheit zum triumphierenden Rivalentum geben. Und nicht sein – sondern reflektieren. Spiegelbild seines jeweiligen Wunsches. Ihm zuhören. Und dann –
II. Den Mann behandeln als Mann seines Berufes. Vor allem: Interesse für seinen Beruf.
A. Künstlerische Berufe
a. Schauspieler. Ein Schauspieler lieben ist fast pervers. Man kommt nicht auf seine Kosten – d.h. die spezifische Eitelkeit der Frau kommt nicht auf ihre Kosten. Ein Schauspieler muß von einer Frau geliebt werden wie ein Mann eine schöne Frau liebt. Sein Beruf ist feminin. Ein Schauspieler ist oft größenwahnsinnig aus Unsicherheit – wie eine schöne Frau (beider Erfolge sind zeitgebunden und gehen vorüber). Man muß in seiner Gegenwart Werner Krauß ablehnen – er wird widersprechen – trotzdem ablehnen. Bassermann ablehnen, Ernst Deutsch ungemein ablehnen, Moissi ablehnen (wenns nicht zufällig Moissi selber ist) – alle ablehnen. Kollegen neidisch finden, Kritiker lachhaft und unmöglich. Ihm bedingungslos glauben, daß er nie Kritiken liest. Ihm Rollen abhören und bei tragischen Ausbrüchen weinen. Und ihn bewundern. Und wenn möglich gut kochen. Den Intendanten (Direktor) in jedem Fall gemein finden. Schauspieler kokettieren gern mit Bürgerlichkeit, wenn sie Bohèmiens sind – man lasse sie. Sind die bürgerlich, wünschen sie der Bohème verfallen zu sein. Man lasse sie. Man lasse sie am besten überhaupt.
b. Maler. Man sei sein Modell – ganz gleich ob schön ob häßlich, man bringe ihm bei, daß ein Künstler seines Ranges mit jedem menschlichen Lebewesen etwas anzufangen weiß – ja, daß es durch ihn erst Existenzberechtigung bekommt. Nach der Sitzung ist man ermattet und der Maler angeregt – der wahrhaft günstige Zustand. Unter keinen Umständen jemals Eroberungswillen zeigen, sonst weckt man die Opposition des Mannes. (Gehört eigentlich unter „Allgemeine Regeln“)
c. Musiker. Man täusche kein Gehör vor, wenn man keins hat – er kommt dahinter. Unmusikalische Frauen suchen sich besser andere Objekte als gerade Musiker. Man kann sich von Schriftstellern und Malern belehren lassen – Gehör läßt sich nicht beibringen. Sonst: Bei gemeinsamen Konzertbesuchen lehne man ab, was er ablehnt, finde schön, was er schön findet – und um nichts falsch zu machen, lehne man den Kopf zurück und schließe die Augen – was, je nachdem, äußerstes Gelangweiltsein oder höchstes Entzücken ausdrücken kann.
d. Schriftsteller. Man lasse sich vorlesen. Man schlafe nicht ein. Man sei zu erschüttert, um zu sprechen, denn es gibt keine Worte, die genügen. Man kritisiere mit einer Ehrfurcht, als wenn man den Faust verbesserte. Man finde alles sehr neu und einmalig. Man biete sich an, ihm das Manuskript abzuschreiben – man sei immer wieder dankbar und erschüttert von den herrlichen Gedanken und Worten – bei jeder neuen Schreibmaschinenseite glaube man an eine Auflage mehr. Man hat unbedingt die Chance, nach Beendigung des Manuskriptes zur Muse aufzusteigen.
e. Verleger. Man schreibe, wenn möglich, erfolgreiche Bücher. Die Sympathie eines Verlegers wächst mit der steigenden Auflage. Je weniger Vorschuß man bracht, um so angenehmer macht man sich.
f. Redakteure. Wenn sie selber schreiben, sind sie zu behandeln wie Schriftsteller. Man bemitleide sie, daß sie nicht so können wie sie wollen (kein Redakteur kann wie er will). Man bringe ihnen die Beiträge möglichst kurz vor Redaktionsschluß, um die Gelegenheit des gemeinsamen Fortgehens zu schaffen.
B. BÜRGERLICHE BERUFE
a. Ärzte. Ein wesentlicher Vorteil, gut gewachsen zu sein. Ansonsten: Ärzte sind Kummer gewöhnt. Man sei möglichst nicht seine Patientin. In diese Beziehung hat ein Arzt seine Grundsätze – warum es sich und ihm unnütz erschweren? Ferner: Sauerbruch ablehnen, Bier ablehnen, Freud ironisieren (bei Psycho-Analytikern: Alfred Adler beschimpfen). Koch, Semmelweiß, Billroth anerkennen. (Weil die ja tot sind.) Sich ja nicht mit medizinischen Fachausdrücken lächerlich machen. Ihn aber bedauern, daß er auf seine praktische Ausübung seines Berufes angewiesen ist, wo der doch von Kopf bis Fuß für reine wissenschaftliche Arbeit prädestiniert ist.
b. Rechtsanwälte. Sind als verhinderte Literaten zu behandeln. Man lasse sich ihre Dramen und Romane vorlesen. Strafanwälte beglückwünsche man ununterbrochen zu ihren herrlichen Plädoyers. Zivilanwälte beglückwünsche man zu ihrer meist unveröffentlichten (aber ganz gewiß vorhandenen) schriftstellerischen Produktion.
c. Ingenieure. Man lasse sich jeden Mechanismus, vom Fahrrad angefangen, genau erklären. Es wirkt sehr nett, wenn man hilf- und fassungslos staunend vor seinen komplizierten Berechnungen steht. Frauliche Ungewissheit wirkt bei einem Ingenieur stets kleidsam. Jedoch empfiehlt sich die Vertrautheit mit dem Auto.
d. Kaufleute. Kaufleute wollten eigentlich »was anderes werden«, Kaufleute sind zuweilen gern lyrisch und haben ihren Beruf verfehlt. Was nicht hindert, daß sie an ihrem Beruf hängen wie die Kletten. Man bewundere ihr Auto und bemerke nicht, wenn es geliehen ist. Man habe einen ehemaligen General als Vater oder einen, der sein Millionenvermögen in der Inflation verloren hat. Man möchte seine Mutter kennen lernen und ist „überhaupt nicht modern“ – man wählt deutsche Volkspartie. Sicher ist sicher. Kaufleute sind meistens konservativ. Man kann unbesorgt seine Angestellte sein – er hat nicht die Hemmungen eines Arztes bei seiner Patientin. Allein mit ihm zusammen Überstunden machen, bietet sogar äußerst günstige Chancen.
e. Beamte. Beamte haben vielfach Grundsätze und eine etwas festgefrorene Moral. Man richte sich nicht danach. Im Gegenteil. Beamte sind im allgemeinen keine schwierigen Fälle. Man lebe sich nicht etwa in ihren Beruf und ihre Anschauungen hinein – man sei der augenfälligste Kontrast ihres Durschnittsdaseins. Man tue alles, was sie ablehnen – es zieht. Beamte sind sinnliche Naturen und auch poetisch – aber doch noch mehr sinnlich. Mit dem Lippenstift in der Hand ist man noch kein Vamp. Aber mit blaugeschminkten Augenlidern, bißchen mondäner Aufmachung, gut sitzenden Tramastrümpfen und leicht gewagten Gesten kann man sich auch heute nicht seinen Beamten gegenüber den Hauch anziehender Verderbtheit geben. Man sei in dem Stadium, wo man so eben grade noch gerettet werden kann. Beamte retten sehr gern.
C. NABOBS.
(Gibt es noch welche?) Geld hat einem gleichgültig zu sein, der Nabob auch – „man will ihn gar nicht“ –. Nabobs sind mißtrauisch. Ein gutes Rezept: man tue, als halte man ihn für einen Hochstapler und armen Schlucker – und was man an ihm bewundert, sind seine rein männlichen Reize und Vorzüge. Im ersten Stadium der Bekanntschaft weise man jedes Geschenk zurück.
D.
III. Dieses Rezept ist unvollkommen und versagt vollständig, wenn die letzte individuelle Behandlung fehlt. Es gibt nur eine Regel, die unter allen Umständen zu befolgen ist: selbst nicht verliebt sein, denn dann macht man alles falsch.