Die guten Amerikaner
„Es ist etwas dazwischengekommen, Süße. Ich werd’s nicht mehr schaffen.” – „Was kann denn bitte beim ersten Date dazwischenkommen?” – „Die Beastie Boys. Ich wusste gar nicht, dass sie in der Stadt sind. Ken hat mir gerade erst gesagt, dass … – hallo? Hallo? Bist du noch dran? Hallo???”
Ab einem gewissen Alter schwinden einem jungen Mann die Argumente, eine Verabredung mit einem Mädchen abzusagen. Das, was früher mal zog – ein Bier mit einem Freund, ein Fußballspiel, ein Film, den sie womöglich nie wieder im Fernsehen zeigen –, zieht nicht mehr. Schon gar nicht, seit man den ganzen Quatsch auf DVD aufnehmen, im Internet nachgucken oder sich aufs Handy laden kann. Weil die Popkultur inzwischen überall ist, muss man sich nicht mehr mit ihr verabreden. Ganz praktisch, das alles – nur zerstört es leider auch die Einzigartigkeit der Ereignisse. Drei gute Gründe für das Versetzen eines Mädchens jedoch – auch eines sehr hübschen, wie in diesem Fall – gibt es noch. Sie heißen: Adam Yauch, genannt MCA; Michael Diamond, genannt Mike D.; Adam Horovitz, genannt Adrock. Die Beastie Boys.
So sieht es aus an diesem Abend: Mit ein paar Hundert anderen Männern, alle ziemlich genau 33,3 Jahre alt und meist ohne weibliche Begleitung – sogar die Typen von den Fantastischen Vier haben ihre Damen zu Hause gelassen –, stehst du vor dem Eingang des Berliner Clubs Maria am Spreeufer. Sie alle warten auf das Konzert der New Yorker HipHop-Truppe, die seit knapp zwanzig Jahren im Geschäft ist und heute, sechs Jahre nach ihrem letzten Album „Hello Nasty”, ihr neues vorstellt.
Streng genommen müsste man sagen, dass der Begriff Konzert dem, was gleich passieren wird, nicht wirklich nahe kommt. Viel eher ist es ein Gottesdienst, der hier abgehalten wird. Weil diese Band dein Leben und das von ein paar Millionen anderen Jungs so geprägt hat wie keine andere. Nicht mal wie Nirvana. Denn während die nur einen Aspekt des Jungseins einfingen – den Schmerz und die Verzweiflung –, gelang es den Beastie Boys, immer auch die angenehmen Seiten des Aufwachsens darzustellen: Spaß, Witz und den Willen, mit Stil und Haltung durch die Welt zu springen wie auf einem dieser Hüpfstöcke, die es in den Fünfzigern zu kaufen gab.
Nachdem sie auf der lustigen Prollplatte „Licensed To Ill” 1987 mit Bier und Pornoheften gegen die Eintönigkeit des amerikanischen High-School-Lebens vorgingen, entwickelten die Beastie Boys ein paar Jahre später mit „Paul’s Boutique” den HipHop entscheidend weiter und veröffentlichten 1992 mit „Check Your Head” eine der fünf besten Partyplatten aller Zeiten. Zwei Jahre danach drehten sie mit Spike Jonze „Sabotage”, auch noch den charmantesten Videoclip aller Zeiten. Sie brachten uns so wie sonst nur Tarantino das Leben in den Parallelwelten der Popkultur bei und bewiesen gleichzeitig, dass politische Korrektheit (in ihrem Fall der Einsatz für Tibet) nicht zwangsläufig nach Räucherstäbchen riechen muss. Sondern auch smart daherkommen kann, in den Hemden ihrer Modefirma X-Large etwa.
Wenn du’s dir genau überlegst, haben die Beastie Boys also mehr für dich getan als so mancher Freund, geschweige denn deine Eltern, Brüder oder Schwestern; und deshalb geht es um etwas an diesem Abend. Es geht darum, ob die Drei, die mittlerweile auch schon Ende Dreißig sind, die Familien haben und weder rauchen noch Fleisch essen, also fast korrekter leben als ihr guter Freund, der Dalai Lama – ob diese Drei es noch bringen.
Gründe für Zweifel gibt es durchaus. Zwar ist die demnächst erscheinende Platte „To The 5 Boroughs”, die sich die Journalisten im Hotel Four Seasons auf einem hundertfach kopiergeschützten I-Mac haben anhören dürfen, auch ein unglaublich druckvoller HipHop-Trip durch das New York der späten siebziger und frühen achtziger Jahre ist, als man die Ghettoblaster noch einfach auf der Straße aufbaute und der Beat so bummste wie ein Basketball, den man auf der Stelle dribbelt. Doch das Album wirkt trotz all seiner Aufrufe gegen die Bush-Regierung und die Globalisierung wie eine Flucht in die Vergangenheit.
Von wegen Alterswerk
Es lag nicht allein an dem gezeichneten New-York-Skyline-Cover, auf dem das World Trade Center noch so dasteht, als sei es nie umgehauen worden. Es lag vor allem an dem grenzenlosen Lokalpatriotismus, mit dem die Beastie Boys New York auf dieser Platte umarmen. Und so wunderbar New York auch sein mag, es ist doch mittlerweile nicht mehr nur die Stadt des 11. September, sondern auch die Stadt, in der du von der Straße weg verhaftet wirst, wenn du deinen Hund nicht anleinst. Ein New York, in dem nicht nur Bars eine Lizenz zum Alkoholausschank brauchen, sondern die Bürger wohl bald auch eine fürs Tanzen und Musikhören. Ein New York also, das gerade zerrieben wird zwischen dem, was es ist – und dem, was es sein könnte.
„Das New York, das wir beschreiben, ist das New York unserer Kindheit”, sagt MCA. „Das World Trade Center ist auf unserem Cover, weil es noch mehr aufgefallen wäre, wenn wir es weggelassen hätten”, sagt Mike D. Kommen die Beastie Boys, unsere Vorzeige-Hipster, also zum ersten Mal ein wenig zu spät? Setzen sie sich mit Nostalgie über die Realitäten der Zeit hinweg? Beginnt etwa jetzt schon ihr Alterswerk?
Über all diese Dinge denkst du nach an diesem Abend in dem Club, während DJ Mixmaster Mike Zeug von Grandmaster Flash, Jimi Hendrix und Run DMC zusammenmixt. Bevor du aber irgendeine der Fragen beantworten kannst, passiert es auch schon: Drei schlanke Gestalten springen auf die Bühne. Und obwohl MCA, der Buddhist, schon grauere Haare hat als Richard Gere – Ist das eigentlich Naturgesetz, dass Buddhisten früh ergrauen? –, und auch Adrocks Schläfen längst versilbert sind, bewegen sich die Drei wendig und flink wie immer. Sie bellen und springen, reimen tell auf yell und swell auf well, so wie’s sich eben gehört, und zerschneiden dazu die Luft mit Handkantenschlägen, die niemals lächerlich wirken. Weil die Beastie Boys selbst es waren, die Ironie in den HipHop brachten und nie so taten, als führten sie noch Nebenexistenzen als Auftragskiller oder Drogenkuriere.
Schon nach ein paar Minuten lassen sich Menschen durchs Publikum tragen, und inmitten all der alten Hits, inmitten von „Whatcha Want” und „Intergalactic” und „Body Movin’” und dem neuen Stück „Ch-Check It Out”, wird klar, dass die Beastie Boys tatsächlich ein Opfer gebracht haben: Sie haben die Hipness, die ihnen solange das Teuerste zu sein schien, gegen Liebe eingetauscht – eine etwas naive Liebe vielleicht, weniger zum echten New York, sondern eher zu dieser Stadt als Idee. In der Menschen friedlich zusammenleben könnten. Eine ehrenvolle Sache also, für die man durchaus mal auf die Stilführerschaft verzichten kann. Vielleicht ist es aber so, dass in diesen Zeiten, in diesem Jahr, das bislang ein Schreckensjahr war, einfach die Liebe das coolste Accessoire der Saison ist. Wenn es so wäre, wären die Beastie Boys modemäßig so weit vorn wie noch nie in ihrem Leben.