DJ Hell

von 
Interview
zuerst erschienen im Oktober 2002 in Alert Nr. 8, S. 44-55
„Wie weit kann ich geh'n? Verschweige die Wahrheit, denn du willst sie nicht seh'n."

[45] DJ Hell alias Helmut Geier gehört zu den großen Überlebenden des Techno. Als einer der ersten erkannte der heute 40jährige die Wichtigkeit, sich vom Dogma der Anonymität aus der Gründerzeit des Techno zu verabschieden und konsequent an der eigenen Ikonisierung zu arbeiten. Nach zwei Jahrzehnten, in denen Hell als DJ um die Welt reiste und kontinuierlich an Popularität gewann, gründete er 1996 sein eigenes Label „International Dee Jay Gigolos“. Als Labelchef und künstlerischer Leiter von Gigolo mehrte Hell in den vergangenen sechs Jahren seinen Ruf als Visionär, der große Trends wie etwa das Achtziger-Jahre-Revival und die Renaissance des Punkrock nicht nur früh voraussah, sondern mit einer Reihe eigener Produktionen, bzw. von ihm lancierten Veröffentlichungen von Gigolo-Künstlern auch entscheidend beeinflusste. Zum Spiel mit den Erwartungshaltungen einer glamourdürstigen Medienöffentlichkeit gehört Hells Bekenntnis zu Luxus und Hedonismus. Zwischenzeitlicher Glanzpunkt einer bewegten Karriere: ein Fotoshooting mit Karl Lagerfeld. Zum zweieinhalbstündigen Gespräch treffen Hell und ich uns ausgerechnet in einem Café namens „Interview“ im schönen Münchener Glockenbachviertel. Hell erscheint in T-Shirt und Jeans. Seine verspiegelte Pilotenbrille setzt er gleich zu Beginn unseres Treffens ab, nicht ohne sich die Bemerkung zu verkneifen, dass die Brille in dem Video »Sunglasses at Night« verewigt worden sei. Die Fotos entstanden wenige Tage vor dem Interview im Münchener Atelier des Fotografen Tibor Bozi.

Ich war kürzlich auf der Love Parade auf der Gigolo-Party und …

… das ist sehr gut, dass Sie da waren, denn dann muss ich ja nichts mehr erzählen. Dann haben Sie ja bereits alles begriffen.

Wie schaffen Sie es, Ihr Publikum zu erziehen? Eine Gigolo-Party hat fast den Rang eines gesellschaftlichen Ereignisses: Man stylt sich, man bürstet sich auf Krawall, man ist bereit alles zu geben.

Das Ganze ist im Laufe der Jahre gewachsen. Wir haben uns von Anfang an als Gegenpol zur ganzen Techno-Bewegung gesehen. Anfangs dachten wir, dass es noch etwas anderes geben müsste, als bloß Platten aneinanderzureihen. Zum Beispiel war Mode schon immer primär im Vordergrund. Mittlerweile ist es so, dass ein großer Fashion-Hype um Gigolo gemacht wird. Aber ich beklage mich nicht: Das wollten wir ja auch so. [47] Denn bei uns heißt es ja nicht nur musikalisch No Limit, sondern auch in der Partykultur, in den Videos und in unserer Zusammenarbeit mit Amanda Lepur oder Fischerspooner. Das gehört zur künstlerischen Provokation. Genauso, wie das Gigolo-Logo mit Arnold Schwarzenegger sogar urkundlich festgehalten illegal war. Das ist vielleicht das unbayerische an uns.

Was heißt „urkundlich festgehalten“?

Arnold und seine Anwälte haben uns verklagt. Alle jemals erwirtschafteten Gewinne sollten wir abführen, weil wir alle Gewinne angeblich nur wegen des Logos eingefahren hätten, meint er jedenfalls. Da hat er keinen Spaß verstanden, und seine Anwälte sowieso nicht. Wir haben uns schließlich auf einen Vergleich geeinigt, der mich in ziemliche Schwierigkeiten gebracht hatte; gerade letzten Monat habe ich nach zwei Jahren Stress die letzte Rate bezahlt. Nun bin ich wieder finanziell frei und habe Sid Vicious als Logo. Jetzt kann uns ja Malcolm McLaren verklagen.

Sid Vicious auf gebuildetem Body.

Ja, denn es geht um die Pose. Wir sind Gigolo. Wir gehen nach vorne, riskieren etwas, wir zeigen unsere Muskeln. Eskaliert ist diese Pose kürzlich auf dem Sonar-Festival in Barcelona, als die Situation außer Kontrolle geriet. Es gab Stage Diving und Pogo, was zwar sonst wünschenswert und normal ist, doch es gab Verletzte. Ich habe einen schweren Champagnerkühler direkt ins Publikum geschmissen. Das war in dem Moment nicht mehr die Partykultur, die mir vorschwebte. Ich habe mich selber verletzt, meinen Fuß, ich kann nicht mehr Fußball spielen und kein Beach-Volleyball mehr. Mir haben sie sogar das T-Shirt heruntergerissen, während ich aufgelegt hatte.

Das lassen Sie zu?

Es kommt immer darauf an, wer das macht. Manche wollen mir nur auf ihre Art sagen: tolle Party, super was du machst. Und meine Verletzung am Fuß habe ich erst gar nicht mitbekommen. Ich bin im Hotelzimmer am Tag danach aufgewacht und meine ganze Hose war voller Blut. Ich musste dann ins Krankenhaus gebracht werden, wo sie mir den Fuß genäht haben. Das war der Punkt, an dem ich gesagt habe: Wir müssen jetzt vorsichtiger sein.

So etwas kann ja nur passieren, wenn man sich etwas herausnimmt. Das aber wiederum ist ja nicht so schlecht, seine Freiheit zu erkennen und die Regeln hinter sich zu lassen.

Das ist der Kern der Musik. Unsere Musik sagt ja: Alles ist möglich. Freifahrtschein. Interessanterweise haben sich die ganzen Künstler, seitdem sie bei Gigolo sind, auch verändert. Und warum? Sie haben erkannt, dass man den Energie-Level so hochschrauben kann, dass die Leute ab einem bestimmten Punkt bereit sind, sich die Kleider vom Leib zu reißen. Ich werde auch keine Band oder keinen DJ für eine Gigolo-Party nominieren, der das nicht erfüllen kann. Das nenne ich den Gigolo-Style, und der steht für Ehrlichkeit und gute Musik, innovative Musik und Entfesselung, und für Sex und für Funk. Der Funk ist ganz wichtig: You can’t fake the funk, sage ich immer. Das bedeutet strenggenommen, dass man nicht aus einer schlechten Platte eine gute machen kann. Man ist als DJ immerfort und ausnahmslos gezwungen, ausschließlich gute Platten zu spielen.

Also stellen wir uns einmal einen Gigolo-Abend aus Ihrer Perspektive vor: Sie gehen da also rein, bringen die geilsten Platten mit …

I’m loaded. Das heißt, dass ich mich auf einen Abend wie kürzlich im WMF in Berlin lange und intensiv vorbereite, zusätzlich belade ich mich mit selbstgeschnittenen Dubplates. Ich habe immer einen Masterplan. Ob er funktioniert, sieht man dann ja. Funktioniert er nicht, muss ich schnell reagieren und flexibel sein. Dieses Mal habe ich fast nur unbekannte Platten gespielt. Dubplates mit alter Elektronik aus Ostdeutschland. Bands, die ich selber bis vor kurzem noch nicht kannte. Diese wiederum kombiniere ich mit Gigolo-Platten, die erst in einem halben Jahr auf den Markt kommen werden. So kann ich ein sehr spezielles Set kreieren, das einzigartig ist. Ich war während des Sets wie paralysiert und weggetreten und habe diesen wahnsinnigen Energielevel gespürt, so dass ich nicht einmal Romuald Karmakar wahrgenommen habe, der den WMF-Gig gefilmt hat.

Sehen Sie Parallelen zu Boxkämpfen?

Ja, in jeder Hinsicht. Manche Künstler suchen vor ihrem Auftritt Konzentration, dadurch, dass sie ihren Kopf unter ein Handtuch stecken. So können sie sich ganz auf das, was auf sie zukommt, vorbereiten. Die sahen dann fast schon aus wie Boxer. Es hat auch schon totale Auflösungserscheinungen gegeben, dass DJs nicht mehr auftreten konnten, weil ihnen vom Publikum eine solche Energie entgegenschlug. Dann agiere ich manchmal als Coach, indem ich eine Problematik wie zum Beispiel Lampenfieber erkenne und diese Situation zu lösen versuche.

Wie gehen Ihre DJs eigentlich damit um, dass von denen verlangt wird, möglichst sexy zu sein beim Auflegen?

Die meisten finden das gut und spielen das Spiel mit, sonst wären sie nicht zu Gigolo gekommen. Man braucht sich bloß Miss Kitten anzuschauen, die mit einer Ledermaske auftritt, die extra für sie angefertigt wurde, oder Cathy Spooner mit ihren Dior-Hüten, die von Hedi Simone kreiert wurden. Princess Superstar hat auch als Gast auf der Gigolo Party gespielt, obwohl das Line-Up schon voll war. Sie trug ein tolles weißes Kleid. Und gagenmäßig haben wir uns darauf geeinigt, dass sie für ihren Auftritt Shoemoney bekommt.

Schuhgeld?!

Wir gehen zusammen in New York Gucci-Schuhe kaufen. Die Fat Truckers aus Sheffield allerdings, von denen war ich, ehrlich gesagt, überrascht.

Fat Truckers rasieren sich die Beine?

Nein, das nicht. Die Fünf spielen härtesten elektronischen Punkrock. Superbike, das ist wirklich eine der Signalnummern dieser Tage, aber sie sehen so aus wie Pub-Rocker, also wie so englische Leute, die ins Pub gehen und dort Rockmusik hören. So etwas passt normalerweise nicht zu unserem Image. Ich hatte aber keine Zeit, mich darum zu kümmern, denn Atomizer kamen gerade zur Türe herein, wissen Sie, diese KLF-Band, mit ihren Leder-High-Heels bis zur Hüfte und Military-Overalls. Sah sehr gut aus. Bei ihrem ersten Auftritt haben sie sich dann gleich ausgezogen, und es kamen Feder-Slips zum Vorschein.

[51] Krass.

Atomizer sind zwei Gay-Jungs, und die wollten alles zeigen, und das war fast zu viel. Die haben das Prinzip Gigolo auf eine andere Weise nicht verstanden.

Was ist das Prinzip Gigolo?

Gigolo ist vor allem nicht alles sofort zu zeigen. Gigolo ist viel subtiler, viel versteckter und viel moderner.

Dann sollten Sie einen Gigolo-Knigge schreiben oder schreiben lassen, eine Art Handbuch für Ihre Künstler. Dann passieren solche Missverständnisse nicht mehr.

Sehr gute Idee.

Was wären denn die Kernthesen eines solchen Benimm-Buches?

Nehmen wir die Fat Truckers: Die sehe ich ganz streng in Dinner Jacket, Lackschuhen und weißer Fliege. Und dann: Punkrock! Ich hatte ein Gespräch mit deren Label-Manager, den ich fragte: Wie ist denn das mit Bühnenshow und so, haben die Schlagzeuger und Gitarre?, und er antwortet mir: nee, neee, viel geiler! Kein Schlagzeug, keine Gitarre, only Keyboards. Es ist schade, wenn man zu wenig Zeit für die Kommunikation mit der Band hat, denn eine Live-Präsentation auszufeilen ist wahnsinnig wichtig. Iggy Pop hat sich ja auch nicht nur zum Spaß aufgeschnitten.

Es geht also um Enthemmtsein und Kontrolle zur gleichen Zeit?

Meine Aufgabe ist, herauszufinden, was in den Künstlern schlummert. In Gesprächen, es geht meiner Meinung nach nicht darum, den Künstlern etwas zu diktieren. Sondern wir reden hier von Dingen, die einem vielleicht zu Anfang gar nicht so bewusst sind, weil man sich noch voll und fast ausschließlich auf die Musik konzentriert und die bevorstehenden Dinge noch nicht so im Blick hat… Anfangs ging es mir ähnlich. Ich war zwar schon immer gestylt, aber mittlerweile trete ich als DJ geschminkt auf. Das war bei mir früher eher versteckt, weil ich mir vielleicht insgeheim dachte, dass es zu extrem gewesen wäre. Erst die Entwicklung hat mir gezeigt, dass man sich sehr wohl und sehr früh schon Dinge erlauben kann, und ich versuche heute entsprechend die anderen bereits früh zu motivieren.

Und mit 40 haben Sie Ihren Fuß verletzt. Sie können den ganzen Sommer lang nicht mehr Fußball spielen.

Das ist richtig scheiße.

Sie spielen nach wie vor beim FC Altenmark?

Ja. In der Kreisklasse. Die sponsore ich jetzt. Auf den Trikots steht vorne „DJ Hell“ drauf. Das ist mein Team. Und ich kann nicht spielen.

Wie macht sich die Mannschaft?

Meine Mannschaft, meinen Sie? Wir sind unabsteigbar. Es ist ein gutes Team, aber wir haben keine Ambitionen zum Aufstieg. Gutes Mittelfeld. Und sowieso ist wichtiger, was der FC Bayern München diese Saison macht. Der FC Bayern München ist eines der Hauptgesprächsthemen im Gigolo-Office.

Worüber wird sonst so im Gigolo-Office geredet?

Über Helmut Dietl. Wieso dreht der jetzt Kir Royal in Berlin? Wie kann der das bringen? Und kann Franz-Xaver Kroetz dieses Bayerische nach Berlin bringen? Diese ganze Schicki-Szene und Bussi-Szene ist jetzt zwar in Berlin angekommen; Borer-Fielding, Ariane Sommer und Karl Lagerfeld, die passieren jetzt alle in Berlin und nicht mehr wie vor 20 Jahren in München. Aber wie der Dietl das schaffen will, das ist echt die ganz große Frage.

Wird im Gigolo-Office Bayerisch geredet?

Bayerisch ist schon sehr wichtig. Doch ich muss das konkretisieren: Wir reden Münchnerisch. Wenn ich zum FC Altenmark fahre, dann fragen die mich manchmal: Warum redest du so komisch? Was ist denn los mit dir? Da unten wird nämlich richtiges Bayerisch geredet. Auch bayerischer Humor war schon immer ganz weit vorne bei Gigolo. Der beeinflusst stark die Art und Weise, wie wir das Label betreiben. Das ist urzeitlich.

Fußball hat ja auch so etwas Archaisches. Ist es Zufall, dass Sie sich für Fußball und für Techno interessieren?

Ich bin mit Fußball und Musik aufgewachsen. Ich hatte einen Fußballplatz vor der Haustür, und wir waren jeden Tag bolzen, und ich hätte auch, rückblickend, eine Fußballkariere in der Regionalliga…, vielleicht hätte ich… Na ja, und dann war ich 18, und Musik hat mich mehr interessiert. Beides ließ sich mit einem Mal nicht mehr vereinen, bis fünf Uhr nachts in die Discos zu gehen - und mittags auf dem Fußballplatz zu stehen. Vor die Wahl gestellt, wählte ich die Musik. Musik ist am wichtigsten.

Gehen Sie ab und zu ins Stadion?

Ich schaue mir die Spiele des FC Bayern München an. Ein Kumpel von mir arbeitet für Premiere, und da kann ich dann immer mit nach unten auf den Rasen, bin dann auch bei den Interviews immer mit dabei. Ich habe ja auch bei den letzten Europa- und Weltmeisterschaften unser Deutschland vertreten als DJ und bin mit der deutschen Mannschaft von Stadt zu Stadt mitgereist und habe abends vor den Spielen aufgelegt. In meinem Vertrag stand drin, dass der Veranstalter mir Tickets zu besorgen hatte.

Waren Sie auch in Südkorea und Japan?

Ich hatte schon Tickets und entschloss mich dann doch, die Reise abzublasen. Ich befürchtete nach den sportlichen Misserfolgen der letzten Jahre das Schlimmste und hatte plötzlich keine Lust mehr.

Ist Herr Hoeneß für Sie eine Art Vorbild, so dass man vielleicht sagen könnte, Sie versuchten Gigolo so zu führen, wie Hoeneß den FC Bayern München managt?

Wenn man es wirtschaftlich sieht, dann ist der Uli - wir nennen ihn ja in München den Uli, so wie man auch Franz und Karl-Heinz sagt - sicherlich ein Vorbild. Ich schätze die Art und Weise, wie er an die Sachen rangeht. Er sagt, was er denkt. Uli kann sehr wütend und laut werden und seine Interessen vertreten. Das kann ich auch. Es gibt einen Punkt, ganz weit hinten, da kann ich auch sehr ungeduldig werden. Karl-Heinz war übrigens gerade gestern hier, in diesem Café. Er hatte einen Latte Macchiato und ein Stück Karottenkuchen. Ich habe den Kellner extra noch gefragt. Das ist hier ganz klar schon ein Thema. [53] Der Bruder vom Uli, der Dieter Hoeneß, der ist übrigens auch ein sehr sympathischer und sehr intelligenter Mann. Und den Rudi Assauer von Schalke, den mag ich auch, das ist ein sehr guter Typ. Das ist einer von der Straße. Die sind ja so blöde! Ihm ist ja der Pokal bei der Siegerehrung durch die Stadt auf die Straße gefallen. Der war daraufhin verbogen, und sie mussten den erst einmal wieder reparieren. Ich meine: Das ist ja schließlich nicht irgendein Pokal, sondern der DFB-Pokal. Nun denn, guter Typ; von der Straße. Da fällt mir ein: Als die den Pokal gewonnen hatten, verweigerte Assauer dem Fernsehen den Zugang zur Kabine. Der sagte wortwörtlich: Da habe nur ich Zutritt - und mein Hund. Dann haben sie dem Hund die Kamera auf den Rücken geschnallt und reingelassen. Und Rudi Assauer ist mit dem Hund durch die Kabine und in die Duschen gegangen, und der Hund hat alles gefilmt. Massiver Respekt! Großer Humor!

Suchen Sie den Kontakt mit professionellen Fußballspielern?

Oliver Kahn würde ich gerne kennenlernen. Ich denke mir, dass der viel zu erzählen hat. Doch ich gehe nicht auf Bussi-Parties oder ins Pascha, wohin die meisten von den Spielern gehen.

Dass Sie Oliver Kahn gerne einmal kennenlernen möchten, liegt aber nicht an seinem Bekenntnis zum Ferrari Testarossa?

Ich würde auch gerne so einen Wagen fahren. Das ist ein Kindheitstraum von mir. Der Oliver Kahn argumentiert ja ebenfalls so. Es ist bei ihm eben nicht dieses Glamour-Ding, zu zeigen, was man hat. Und was ich auch sehr clever finde, ist, dass er sagt, so ein Ferrari wäre eine Kapitalanlage. Wenn er den verkauft in ein paar Jahren, dann verliert er damit kein Geld, denn es ist Oliver Kahns Ex-Ferrari. Der Wagen wäre dann mehr wert, als er beim Kauf gekostet hat. Das ist schon sehr clever. Daher ja auch Ulis Angebot an Olli, nach der WM sein Nachfolger als Manager des FC Bayern München zu werden. Der Uli weiß ganz genau, dass Olli der richtige Mann dafür ist.

Hätten Sie auch gerne einen Nachfolger?

Den gibt’s nicht. Den sehe ich noch nicht. Mein Bruder hätte es machen können, aber der hat sich für einen anderen Lebensweg entschieden. Der ist auch sehr hartnäckig. Wir waren ja auch mal zusammen ein DJ-Team, zu viert waren wir. Er war auch ein besserer Fußballer als ich, auf alle Fälle war er talentierter als ich. Wenn der bei der Musik geblieben und nicht Familienmensch geworden wäre, dann hätte ich heute mehr Privatleben.

Was ist das besondere, einzigartige am Geschäftsmann Hell?

Der Wahnsinn.

Der Wahnsinn?

Das Nicht-Aufgeben. Das Immer-Gewinnen-Wollen! Die Schwierigkeit mit Niederlagen leben zu können.

Haben Sie schon richtige Niederlagen einstecken müssen?

Im Geschäft oder im Fußball?

Im Leben.

Ja klar, aber darüber rede ich nicht gern. Im Fußball halte ich es mit Oliver Kahn: Immer weiter gehen, immer weiter gehen! Und auf Gigolo bezogen: Mein Vorteil war der, dass ich nie auf das bloße Geldverdienen fixiert war, das Geld war für mich immer Nebensache. Das darf ich eigentlich gar nicht sagen, weil ich im Büro immer etwas anderes predige. Aber ich bin überzeugt davon: Mit wirklich guter, qualitativ hochwertiger Arbeit, die erst einmal gemacht sein will, verdient man zum Schluss mehr Geld, als mit einer Arbeit, die nur darauf aus ist Kohle zu machen. Ich habe unser Team immer als die Beastie Boys der elektronischen Szene gesehen, die ihr eigenes Ding machen und damit Erfolg haben. Und nie aufgeben.

Nur dass Sie sozusagen der Beastie Boy sind. Einzahl, meine ich.

Ein guter Manager zu sein heißt ja nichts anderes als: richtige Entscheidungen zu treffen. Und mein Grundsatz lautet: Ich treffe lieber eine falsche Entscheidung als gar keine Entscheidung. Es gibt viele Leute, die vor lauter Angst eine Entscheidung zu fällen, das Rad immer weiter drehen, bis es überspannt ist. Ich bin ein Mann der Tat, der Entscheidungen trifft. Und wenn es falsch ist, dann habe ich eben einen Fehler gemacht.

War das schon immer so?

Ich war immer ein Kämpfer. Ob beim Fußball oder beim Tennis - ich glaube immer an den Sieg und an das Gute und an das Gewinnen. An das muss man glauben. Wenn man nicht daran glaubt, dann gewinnt man auch nicht. Ich glaube an jeden einzelnen Gigolo-Künstler und jeden einzelnen DJ. Und das zeige ich denen auch. Derrick May hat auch einmal einen ganz klugen Satz gesagt: Nimm deine ganze Leidenschaft und deine ganze Wut, vergiss alles, was modern ist, dann geh‘ ins Studio und lass‘ etwas Neues entstehen.

Es gibt also den berühmten Schalter, den man bewusst umlegen kann?

Ja, den gibt es. Darauf steht: extreme Disziplin.

Bei gleichzeitigem Wahnsinn?

Das ist der schmale Grat: extreme Disziplin bei gleichzeitigem Wahnsinn. Das funktioniert. Man muss natürlich immer sehen, wie weit man gehen kann. Das Geheimnis ist aber fast hinter jeder Erfolgsstory Disziplin und harte Arbeit. Auch wenn es nach außen hin wahnsinnig aussieht oder völlig unkontrolliert, weil man als Betrachter vielleicht einfach auch nur völlig beeindruckt ist von dem Wahnsinn. Und in Spanien ist die Situation dann eskaliert. Und jetzt sitze ich hier mit lädiertem Fuß.

Wundert es Sie nicht, dass Sie sich jetzt erst ernsthaft veletzt haben? Es hätte doch auch viel früher passieren können …

Natürlich hätte es früher passieren können. Aber ich suche immer nach neuen Herausforderungen. Never stop. Das versuche ich jetzt auch mit meinem neuen Album zu erwirken. Was ich natürlich nie will, ist, mich selber oder ein einmal gefundenes Konzept zu kopieren. Ich hinterfrage mich genau zwei Mal im Jahr. Im Januar mache ich einen Break und im August. Jedes Jahr. Da wird alles in Frage gestellt.

Wieso gerade Januar und August?

Weil das auf den jeweiligen Weltkugelhälften warme Monate sind. Da mache ich [54] wenig DJing. Ich gehe raus hier aus München und dem ganzen Umfeld. Ich bin dann meistens in warmen Gefilden, lasse mir da einen Silvester-Gig buchen, und von dem Geld bleibe ich dann einen Monat in Brasilien, Argentinien oder Südafrika. Und da hole ich mir die Kraft, trete ich raus aus der ganzen Maschinerie und beobachte das von draußen. Was ist da los? Was ist passiert? Wo stehen wir eigentlich? Kurz: Ich stelle mich in Frage. Und oft genug habe ich ja nach genau solch einem Monat Auszeit auch alles verändert. Denn Stillstand ist in meinem Beruf der Tod. Wenn man einen Monat runterkommt, dann hat man auch wieder die Lust, sich nach neuen Sachen umzugucken, sich zu fragen: Wo geht es hier auch für mich weiter? Ich sehe das ja auch an meinen Mitstreitern, die ja wie ich auch schon seit 20 Jahren im Geschäft sind - und sich wiederholen! Das finde ich sehr traurig. Es gibt nicht mehr sehr viele Kämpfer.

Ist das ein Zeichen der Zeit?

Ich würde sagen: ja. Wer bei mir heute anfängt, der macht eine Single, eine Platte, und es kann passieren, dass er zwei Monate später bei »Top Of The Pops« steht. Der fährt dann zwei Monate später zu Karl Lagerfeld, wird von dem fotografiert und ist total verwirrt. Denn die Frage lautet doch dann: Was kommt danach? Was kommt nach Karl Lagerfeld?

Ja, was kommt nach Karl Lagerfeld? Vielleicht eine gute Single, ein gutes Album, gute Arbeit?

Natürlich gute Musik. Ich nehme diese Lagerfeld-Geschichte nicht so ernst wie andere. Für mich geht das Leben weiter.

Sind Sie jetzt Kumpels, Karl Lagerfeld und Sie?

Nein, wir waren Kumpels für eine halbe Stunde, das hat er geschafft. Ein Gefühl von Respekt, das er dir gibt. Er nimmt dich wahr. Er nimmt dich ernst für diese 30 Minuten, und seine professionelle Arbeitsweise überträgt er auf das ganze Team. Er kommt ins Studio und begrüßt jeden persönlich. Seine Ausstrahlung und Aura lassen einen spüren, dass seine ganze Konzentration ganz auf dich gerichtet ist. Aber nicht auf eine großkotzige, arrogante Art, sondern sehr respektvoll.

Sie sind nach dem Shooting dann einfach mit Karl Lagerfeld Essen gegangen, nehme ich an. Ist doch auch toll, so jemanden kennenzulernen, oder?

Wir waren einmal in Berlin essen, im … - wie hieß denn das noch …? … wo auch Nadja Auermann …

Paris Bar? Adlon?

Nee …

Borchardt’s?

Genau. (ha, ha, ha). Dort trifft man auch Alfred Biolek mit seinem Freund. Ich beobachte das nur. Aber ich bin auf der anderen Seite ganz klar fasziniert, wie Karl Lagerfeld arbeitet. Wie er nach so langer Zeit im Modegeschäft immer noch den Drive hat. Der ist eine sehr interessante Person.

Haben Sie etwas von Karl Lagerfeld gelernt?

Klar. Es war eine Lehrstunde in Sachen Professionalität und insofern ein Highlight. Aber ich sehe auch die andere Seite, die er von uns Musikern lernt. Er benutzt uns in gewisser Weise ja auch, um von uns wieder neue Ideen zu bekommen. Das sehe ich auch an der neuen Karl-Lagerfeld-Kollektion. Total Eighties, strenge Schnitte, diese ganzen Frisuren … Das ist natürlich eine Inspiration aus der Musikszene.

Das ist sehr selbstbewusst.

Ich habe 20 Jahre für meinen Erfolg gebraucht. Und das ist vielleicht mein Vorteil gegenüber anderen, denen der Erfolg so zufällt, denn ich kann Erfolg für mich ganz anders einordnen, ganz anders kanalisieren und verarbeiten. Und schließlich muss ich mich ja auch mit 40 selbst fragen, wie lange ich das mit dem DJing eigentlich noch machen will?

Das geht ja auch gut auf die Ohren.

Das geht auf die Ohren, aber ich habe robuste Ohren, sagt mein Ohrenarzt. Aber ich merke es schon, denn ich bestehe darauf, die Monitorboxen sehr, sehr laut eingestellt zu haben. Jetzt kürzlich bin ich direkt nach der Love Parade nach Chicago geflogen, aus dem Flieger ausgestiegen, ins Hotel, auf die Party und dann ein Drei-Stunden-Set gespielt. Das war eine wahnsinnige Hitze im Club, wie im Regenwald. Ich habe viereinhalb Kilo verloren. Ich habe natürlich die ganze Zeit Champagner getrunken - und nach drei Stunden hatte ich einen Beinahe-Kreislauf-Kollaps. Ich musste dann passen und sagen: Bitte stellt jemand anderen hin, ich falle gleich tot um.

War das wie eine Niederlage für Sie?

Nee. Ich habe eher meine Schlüsse daraus gezogen. Wo ist die Grenze? Wie weit kann ich geh’n? Verschweige die Wahrheit, denn du willst sie nicht seh’n. Das versuche ich ja permanent auszuloten und auszukitzeln. Barcelona war ein Limit und Chicago war ein Limit. Und ich lerne daraus.

War das noch Gigolo-Lifestyle?

Kürzlich wurde ich in Chicago am Flughafen abgeholt und gefragt, wie der Dress Code für den Abend ist: Schwarz oder Weiß. Und dann sage ich: Schwarz. Das war eine Geburtstagsparty, und einer der Gigolo-DJs hatte Geburtstag, und er fragt mich, was er anziehen soll - damit wir dann auch im gleichen Look daherkommen.

So einer hat dann also Gigolo verstanden?

Der hat Gigolo verstanden. Es gibt leider auch Leute, die es überinterpretieren und sich von ihren Gagen nur noch Prada- und Gucci-Klamotten kaufen. Weil sie denken, dass ich darauf bestehen würde. Und dann sind sie pleite. Aber das will ich gar nicht. Sie haben es dann komplett falsch verstanden, das muss auch in den Knigge. Ohne Namen zu nennen: Es gibt Künstler, die haben alle ihre Gagen in Designer-Klamotten investiert und wollen dann Vorschüsse oder noch mehr Gigs und damit also noch mehr Geld, damit sie diesen Lifestyle finanzieren können.

Mehr Luxus, mehr Glamour, mehr Hedonismus - dafür braucht man ja auch mehr Geld.

Atze Schröder sagt ja auch: Warum soll man nicht zeigen, wenn es einem gut geht.

Wer ist Atze Schröder?

Komiker. Der trägt Dauerwelle, Cowboystiefel und getönte Brillen.

[55] Aber wieso denken die denn, dass Sie von Ihren Künstler einen Million-Dollar Lifestyle verlangen?

Das kommt wahrscheinlich alles daher, dass wir damals, ganz früher, tatsächlich Gucci-Anzüge getragen haben zum Auflegen. Wir wollten uns von den anderen DJs in Muscle Shirts abheben - aber es war nur eine Möglichkeit von vielen, und prompt sind wir wieder falsch verstanden worden. Ehrlich gesagt schaut es idiotisch aus, wenn da einer im Prada-Höschen, mit Prada-Schuhen, Prada-Anzug und Prada-Mantel in den Laden reinstolziert.

Verstehe ich Sie richtig: Der von Ihnen propagierte Hedonismus ist nicht materialistisch?

Bei Gigolo ist die persönliche Freiheit die erste Devise. Mach was du willst. Das mache ich ja selber auch. Wenn du bei Gigolo anfängst, dann ist das die erste Lektion: Mach, was du willst. Das muss ich mir übrigens jetzt notieren. Das wird aufgenommen als Vertragspunkt in die Gigolo-Verträge: §1 - Mach, was du willst. Ich bin ja ohnehin der Meinung, dass einseitige Verträge die besten sind.

Die meisten Verträge sind einseitig.

Ich meine einseitig wie eine Seite. Mir sind 30seitige Verträge suspekt. Man benötigt nicht mehr als ein Blatt Papier, um alle wichtigen Dinge unterzubringen, denn einseitig heißt ja auch, Tricks wie Verpackungsabzüge eben nicht reinzuschreiben, die die Künstler nur um ihre Prozente bringen. So etwas liegt mir fern. Ich mache klare Deals, die für alle verständlich sind. Wenn ich mir überlege, wie ich damals meinen ersten Vertrag unterschrieben hatte: Für damalige Verhältnisse habe ich wahnsinnig viel Geld bekommen. Allein der Vertrag bei R&S war für mich unfassbar. Das Label war der Mittelpunkt der Elektronik-Szene. Ich dachte: Jetzt habe ich es geschafft!

Dem war aber nicht so?

Bereits bei der zweiten Single ging der Ärger los. Ich hatte natürlich schnell eine Nachfolge-Single. In New York wurden vier Tracks produziert, pures Acid. Das war damals für mich die Zeit. Auf einmal hieß es nur, dass sie meine Tracks nicht zu veröffentlichen beabsichtigten. Mir wurde nahegelegt, eine zweite Single zu machen, die so ähnlich klänge wie die erste. Was mich am meisten traf, war, dass ich von meinem Ansprechpartner nie eine klare Antwort bekam. Mir wurde ja noch nicht einmal gesagt, dass sie meine Tracks nicht gut gefunden hätten. Es hieß nur, ich sollte einen ähnlichen Track wie meinen ersten produzieren. Das hat mich wahnsinnig gemacht.

Sie sind jetzt selbst A&R in Ihrer eigenen Plattenfirma.

Deswegen ja auch meine klaren Worte. Außerdem will ich schnell sein. Es ist wichtig, dass zwischen den White Labels, den Promos und der Auslieferung in die Läden nicht zu viel Zeit verstreicht. Denn die Musik ist auch schnellebig. Und wenn ich Sachen habe, die jetzt, heute, auf den Punkt sind, wie die Fat Truckers, dann will ich das auch jetzt, heute, haben.

Sie kooperieren jetzt mit dem Multi Universal, der Ihren Vertrieb übernommen hat. Können Sie da noch so flexibel agieren?

Multis sind naturgemäß schwerfällig wie Tanker. Aber ich habe ja ungeachtet dessen die Möglichkeit, die White Labels bei Dubplate & Mastering in Berlin schneiden zu lassen und sie an die DJs rauszugeben, weil die Musik jetzt raus in die Clubs muss. Vinyl ist nun einmal für so große Plattenfirmen kein Markt. Majors wie Universal denken in Kategorien von Marktanteilen und Shareholder Values. Das sind die großen Geheimcodes. Und Universal ist da weit vorne. Die sind Marktführer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und darum geht es: diese Position zu verteidigen. Und deswegen sage ich auch: Gigolo wird nicht verkauft, und Gigolo wird auch nicht an die Börse gehen.

Und was wollen Sie sonst noch so alles nicht machen?

Was ich nicht machen will? Schwierig, denn es stehen immer neue Projekte an. Momentan planen wir einen Porno-Film im Stile von Liquid Sky. Warren Fischer von Fischerspooner hat eine eigene Produktionsfirma. Die Firma Agent Provocateur arbeitet gerade an Gigolo-Unterwäsche in limitierter Auflage. Sie wird von dem Sohn von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood designt. Außerdem werden wir die Tagebücher einer Porno-Darstellerin aus LA veröffentlichen, und wir planen eine Galerie-Eröffnung in London, zusammen mit »Dazed&Confused«. Mich fasziniert natürlich diese ganze Factory-Idee von Andy Warhol in New York. Alle Disziplinen zuzulassen. Es ist aber wichtig, nicht den Überblick zu verlieren. Man muss die Sache klein halten. Auch das gehört in den Knigge. Genauso, wie bei uns die Frauen nie zahlen dürfen. Ich halte einer Frau auch die Autotür auf. Ganz selbstverständlich.

Sie sind da sehr wertkonservativ?

Sehr wertkonservativ. Alte Schule. Sehr höflich und zuvorkommend. Interessant ist ja, dass in einem Gigolo-Knigge Werte aus den fünfziger Jahren neben ganz modernen Werten stehen werden. Aber im großen und ganzen sind die Werte gleich geblieben. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch die Kommunikation. Wenn ein DJ die letzte Platte spielt, und der nächste übernimmt. Lasse ich sie auslaufen? Drehe ich sie ab? Mixe ich meine Platte rein? Ich rede von Höflichkeit. Man lässt die Platte natürlich ausspielen. Und dann wartet man einen Moment, denn das gibt dem Publikum die Möglichkeit, dem DJ für den Abend zu danken. Die meisten DJs sind aber so hochmotiviert, dass sie die letzte Platte einfach wegschneiden und gleich den großen Hit spielen. Das ist dann massiver Disrespekt. Das ist mir kürzlich in Genf passiert, jemand hat einfach meine letzte Platte abgebrochen und übergangslos seinen Hardcore Techno gespielt. Ich war so was von angepisst. Das war respektlos.

Für einen DJ ist das das Schlimmste?

Noch schlimmer ist, wenn um 3.30 Uhr der nächste DJ dran ist, und du noch eine letzte Platte auflegen möchtest, du einen Moment nach dem passenden Schlussakkord suchst, dich umdrehst, und dann liegt da schon die erste Platte vom nächsten DJ auf dem Teller. Das ist der Boden vom Fass. Der Knigge muss her.