Eckhaus Latta – Ultrapersönlich und hypermodern

Portrait
zuerst erschienen im Juli/August 2012 in De:Bug 164, S. 48-49
Ein baumhausartiges Loft in Brooklyn, das Studio von Nicola Formichetti, die Hauptstadt der Welt. Unsere New-York-Spezialistin Bianca Heuser hat sich im Mode-Underground der Stadt umgesehen und die aufregendste Kollektion des Jahres gefunden. Eckhaus Latta machen Mode zwischen Rave-Plüsch und Menschenhaut – eine spirituelle Kuschelecke in gehetzter, urbaner Umgebung.

Zoe und ich stehen vor Nicola Formichettis Studio, in dem der größte Teil von Lady Gagas Styling bewältigt wird und heute Abend Silberfolie und Videoprojektionen eine Party als Ausstellung tarnen. Drinnen tragen die Kids bunte Lippenstifte, Plateauschuhe, Rave- und Rap-Referenzen, und sehen darin unbemüht lässig aus, circa halb ironisch. „Es kommt eben darauf an, wer es trägt. Ich könnte dieses Baseball-Cap zum Beispiel nie allen Ernstes tragen“, meint Zoe, mit dem Kopf in Richtung der Kopfbedeckung eines Tanzenden nickend. Dass DJ Physical Therapy seinen Mix aus Goa, kommerziellem R&B und Happy Hardcore, den er im Keller spielt, nicht so ernst meint, hoffen wir beide. Die Musik bleibt das Lustigste an New Yorker Partys: Während sich bei unseren Begleitern zu Hause rare House-Platten bis unter die Decke stapeln, scheint die hiesigen DJs im Nachtleben ein dezidierter Geschmack zu disqualifizieren. Ist ja aber auch befreiend, endlich mal zu Rihanna mitsingen zu können. „Meinetwegen sollen die Leute auch Eckhaus Latta ironisch tragen, auch wenn Mike und ich unsere Kollektionen nicht so sehen“, sagt Zoe. „Nur die kleinen Hot Dogs und Kate-Bush-Bilder im Saum der Sport-BHs bitte nicht. Das sind unsere spirituellen Leitfiguren!“

Baumhausartiges Loft

Mike Eckhaus, heute 24, wuchs im New York der 90er zwischen High School und Fashion Week auf; die gleichaltrige Teenie-Zoe Latta bewegte sich in Kalifornien vor allem zwischen Second-Hand-Läden und Juicy Couture*. Während er eine Schwäche für die großen Labels entwickelte und viel zu viel Geld für seine erste Dolce&Gabbana-Jacke ausgab, grub sich seine heutige Partnerin durch die Wühltische ihrer Heimatstadt Santa Cruz. 2007, da war sie 18, erschien das erste und einzige Album ihrer Band Belly Boat auf dem kalifornischen Label Not Not Fun Records. Als sie sich während ihres Studiums an der Rhode Island School of Design kennen lernten, hatte sich Mikes Fantasie von der Modeindustrie schon verflüchtigt: „Nach einer Woche im Studium wechselte ich zu Skulptur, weil ich diese langweiligen Bitches nicht mehr ertrug.“ Von da an schlich er sich heimlich in Zoes Studio und malträtierte die Nähmaschinen. Anfangs hielt er sie für einen Jungen. Und sie ihn für einen Burner. Während beide drei Jahre lang von einem gemeinsamen Label fantasierten, gründete Zoe das Textil-Designstudio Prince Ruth. Mike begann mit 23 Taschen für Marc Jacobs zu designen. Zuvor hatte er während des College einen Sommer lang für den Künstler Mathew Barney gearbeitet. Nachdem ihn beim Gießen einer Skulptur aus Metall eine Stichflamme schwer verbrannt hatte, verbrachte er einen Großteil des Sommers im Krankenhaus. Am schlimmsten daran waren für ihn der lächerliche Hut und die Handschuhe, die er den Rest des Sommers im Freien tragen musste.

Die Business-Adresse für Prince Ruth lautet auf das baumhausartige Loft, das sich Mike mit fünf anderen Kids in Brooklyns Navy Yard teilt. Zoe sei das Chaos schnell zu viel geworden. Es ist das einzig bewohnte Gebäude in der Straße. Privatsphäre bieten die für New York typischen winzigen Zimmer mit Wänden aus Pappe nicht. Die Miete bezahlen die sechs Twens von den Einnahmen der Partys, die sie hier monatlich veranstalten. Keine Nachbarn, keine Cops. Am Freitag bevor ich ankomme, quetschen sich 400 Leute über den schmalen Aufgang in das Loft. Schließlich gibt der Boden unter der Last nach, direkt vor dem Bad gibt es eine riesige Delle. Irgendjemand ruft die Feuerwehr, irgendjemand klaut die Kasse und gibt sie später anonym zurück. Wie glücklich sie sind, dass sie endlich wieder hier duschen können, erzählt mir jeder der Mitbewohner mindestens einmal.

Meditationszwecke

„Wenn wir es nicht tragen würden, wer denn sonst?“ Und: „Wenn wir es nicht machen, wer denn sonst?“ Originalität, Intimität und Spannung sind die Schlüsselworte zu den Designs von Eckhaus Latta. „Wie sich unsere Sachen verkaufen, ist uns völlig egal“, meint Zoe. Luxus im klassischen Sinne interessiert sie nicht. „Unsere Sachen sind Luxusgüter, weil sie uns wichtig sind. Niemand käme auf die Idee, Eckhaus Latta als Statussymbol wie Vuitton zu tragen. Klar sollen unsere Klamotten tragbar sein, aber wir arbeiten auf keinen Fall für eine bestimmte Zielgruppe. Außerdem läuft unser Designprozess nicht über ein olles Moodboard, sondern mehr wie Ping Pong, im Dialog. Wir haben gerne schmutzige Hände!“ Die extrem stretchbaren Mohair-Shorts der Herbst/Winter Kollektion 2012 wurden so natürlich per Hand gestrickt, zu Meditationszwecken und ganz einfach aus Kontrollsucht. Die One-fits-all-Shorts und Sport-BHs von Eckhaus Latta verwandeln die Models ihrer Show auf der Fashion Week in kuschlig-kühle Rave-Teddys, vor allem wohl wegen des Kontrasts, in dem die weichen Materialen zu den funktionalen wie skulpturalen Schnitten stehen. „Am tollsten finde ich, wie schlecht sich unsere Sachen fotografieren lassen. Die tatsächliche Beschaffenheit und Komplexität unserer Kleidung und ihrer subtilen Farben kann einfach nicht komplett in Fotos übersetzt werden. Das fühlt sich wie Sabotage am Betrachter oder gar der Öffentlichkeit an, gerade in Zeiten der konstanten Verfügbarkeit von allem über das Internet. Als wäre das Kleidungsstück nur für den Träger da, etwas Ultrapersönliches“, erklärt Mike.

Diese Ultrapersönlichkeit, der langsame Prozess, aus dem die Kleidung entsteht, und moderne Materialien im Kontrast zum handgewebten Mohair machen Eckhaus Latta zu einer Art spirituellen Kuschelecke in gehetzten Großstädten, das Konzept des modernen Nomaden, das sich in ihren Kollektionen genauso wie im aktuellen Kitsch von Netzkunst findet. Mike glaubt an Astrologie, aber nicht an einen Trend: „Ich glaube nicht, dass unsere Generation Astrologie, Tarot und den ganzen New-Age-Quatsch wiederentdeckt hat. Diese spirituellen Praktiken sind nur eine Art, sich kennenzulernen, wenn man gerade viele Veränderungen durchlebt.“ Und das geht wohl jeder Generation in ihren Zwanzigern so. Der Unterschied heute scheint lediglich zu sein, dass Spiritualität für diese jungen New Yorker nur ein Look bleibt. Ein tatsächlicher Glaube an höhere Mächte lässt sich letztlich auch schlecht mit der eigenen Hypermodernität vereinen.

Fuck Ethno!

Dass man den Kollektionen von Eckhaus Latta „die Hand ansehen kann, von der sie geschaffen wurden“, dass sie nicht maschinell gefertigt wurden oder danach aussehen, ist also eher Folge der eigenen Beschäftigungstherapie. Sie ist aber das, was die Modeindustrie gemeinhin als „ethnisch“ verkauft. Von dem Wort allein wird Zoe schon schlecht: „Alles, was nicht Jeans und T-Shirt ist, ist für diese Leute ‚ethnisch’. Das ist so ein leeres Wort, so pauschal und herablassend. Was uns an Elementen östlicher Kulturen interessiert, die mit ‚ethnisch’ oft über einen Kamm geschoren werden, ist ein Überraschungsmoment. Für uns ist das Teil exotisch und aufregend, in seiner Kultur aber hat es eine ganz klare, wenn auch teilweise absurde Funktion. Wie zum Beispiel Mikes Armreifen, die als eine Art ‚Währung’ für Sklaven in Afrika benutzt wurden – von den schlechten spirituellen Energien dieser Armreifen kriege ich immer Zahnschmerzen.“ Zoe und Mike begreifen Kleidung als Teil des persönlichen Vokabulars der Selbstdarstellung des Trägers, Funktionalität spielt da eine große Rolle. Und natürlich Humor. Als in der Herbst- und Winterkollektion vor allem tierische Materialien eine Rolle spielten (Mohair, Kaschmir, Fell, Fischschuppen), war sich das Duo schnell einig, dass man auch Menschenhaut in der Kollektion bräuchte. Aus dieser Idee entstanden kurze Tops mit digitalen Drucken vom eigenen Rücken und der eigenen Brust. Auf den Trägern sind Zoes blonde Haarspitzen zu sehen, Mikes dünne Halsketten. Ironie, Intimität und Witz, das ist hier am Ende alles dasselbe.