Highwaymen

Portrait
erschienen im April 2004 in u_Spot Kunstmagazin 04/2004, S. 30-32
Sie haben mit Reihern, Palmen und Farbspielen die Sümpfe von Florida gemalt, ihre Namen lesen sich wie ein Song: Die Highwaymen waren eine Gruppe aus afro-amerikanischen Künstlern, die in den sechziger Jahren den Spirit des Südens festhielten. Vor allem ging es ihnen auch um den Rausch der Geschwindigkeit, wenn sie an manchen Tagen bis zu vierzig Bilder fertigstellten.

„We didn’t paint for perfection, we painted for color“

Hezekiah Baker

Alfred Hair hatte einen amerikanischen Plan. Er wollte im Alter von fünfunddreißig Jahren Millionär sein. Da drängt selbst in Ft. Pierce, Florida, die Zeit. Zumal für einen afro-amerikanischen Teenager in der Mitte der fünfziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts, dem jede Chance auf eine bessere Ausbildung an den Eliteschulen des Landes verwehrt war und dem als realistische Option nur einer jener Jobs offen stand, in dem man auch sechsundzwanzig Stunden am Tag arbeiten kann, ohne je in die Nähe der angestrebten Million zu kommen.

Hair hatte aber insofern Glück, dass er an der High School einen Lehrer fand, der den aufgedrehten Hochenergetiker, als der Hair von all seinen Freunden beschrieben wird, nicht sich selbst überließ, sondern in die „Schule“ des Landschaftsmalers Alfred Ernest Backus (1906-1990) schickte. Backus ist der Doyen der Landschaftsmalerei in Florida. Und Backus’ Themen sind das, was von Florida zeitlos bis heute scheint: die Palmwälder, der plötzlich in die Äste und Blätter schießende Wind, Wolken und Regen, die die dauernd wechselnden Lichtsensationen bedingen, dazu die Flüsse, das Meer, die Reiher, Kraniche und anderen Vögel. Backus machte nach den Worten des Kunsthistorikers Gary Monroe nicht viel mehr, als zu malen was er sah. Wobei es Backus neben der Repräsentation der Landschaft Floridas, wie sie im Geist der Leute, die Florida mochten, imaginiert war, noch um Genauigkeit ging. Er fuhr oder ging aus dem Haus ins Hinterland und malte nach dem Vorbild der Natur mit der Staffelei im Wald oder am Fluß. Backus ist somit ein später Schüler der amerikanischen Hudson River Schule, die im 19. Jahrhundert, die Landschaftsmalerei als Startschuß einer genuin amerikanischen Maltradition von den europäischen Vorbildern absetzte.

Damit stand Backus zwar in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg nicht allein, aber doch abseits der Kunstbewegungen, die den Akt des Malens selbst zum Thema machten. Florida schien noch in den sonnenbeschienen Sümpfen zu schlafen. Das änderte sich schlagartig in den fünfziger Jahren. Mit der verbesserten Technik konnte nicht nur das oft unerträglich schwüle Klima durch Air-Conditioning neutralisiert werden, auch die Moskitos wurden durch chemische Kriegführung zumindest soweit aus Miami, Ft. Pierce und Key West vertrieben, das Florida zu jenem Urlaubsparadies werden konnte, das es heute noch ist.

Und genau in jenen Jahren des immer mehr zu nehmenden Stroms der Besucher, traf Backus auf junge Afro-Amerikaner wie Hair und Harold Newton. Der Lehrer überzeugte seine beiden neuen Schüler davon, ihre ursprünglichen Sujets aufzugeben – Newton hatte seit seiner frühen Kindheit vor allem religiöse Szenarien in Violett gemalt – und sich der Landschaftsmalerei zu widmen.

Newton und Hair lernten schnell. Nach nur einem Jahr in Backus’ Studio machten sie sich selbständig und wurden zu den Gründern einer Gruppe von afro-amerikanischen [32] Landschaftsmalern, denen man viel später, als sie ihre überbordende Produktion schon historisch geworden war, die Highwaymen nennen sollte. Dazu zählt Gary Monroe sechsundzwanzig Künstler, die in den sechziger und siebziger Jahren über 50000 Bilder schufen. Schon ihre Namen klingen in der Aufzählung wie ein Song: Curtis Arnett, Hezekiah Baker, Al „Blood“ Black, Mary Ann Caroll, Johnny „Hook“ Danials, Rodney Demps, Alfred Hair, Isaac Knight, Alfonso „Pancho“ Moran, Harold Newton, Livingston „Castro“ Roberts, Charles „Chico“ Wheeler und Sylvester Wells, um nur die wichtigsten zu nennen.

Der Name Highwaymen ist dabei mehr als nur eine Bezeichnung für ihre Verkaufspraktiken. Tatsächlich boten die Künstler ihre Bilder, vom Kofferraum ihrer Autos aus, an Straßen und vor Motels an, gingen damit in Maklerbüros und Arztpraxen, um dort so etwas  wie Verkaufsaustellungen zu organisieren. Doch auch die Konnatation mit Neighbourhood-Gangs und politischen Organisationen wie den Weathermen war beabsichtigt. Obwohl die Highwaymen sich alle aus Ft. Pierce und der näheren Umgebung kannten, waren sie allerdings weder Gangster noch eine Gang noch explizit politisch. Das Amerika der Anti-Vietnam- oder Bürgerrechtsbewegung kam in ihren Bildern nicht vor. Genauso wenig wie sie sich in ihren Gemälden den Raum in irgendeiner modernistischen Form aneigneten, die als Referenz auf Cap Canaveral, das quasi um die Ecke liegt, verstanden werden könnte,. Die Highwaymen malten ein Florida, das man kennt und das ihren Kunden alle Interpretation offenließ. Und sie malten in einer atemberaubenden Geschwindigkeit: Langsam malen, soll Hair gesagt haben, kann man noch, wenn man alt ist.

In der Geschwindigkeit liegt nicht nur der Schlüssel zum Verständnis der Werke. Mehr noch charakterisiert sie die Emanzipation von Backus’ romantisierenden Landschaftsdarstellungen. Die Highwaymen malten zu Hause, sie betrieben keine Landschaftsstudien. Sie malten das Florida, das sie im Kopf hatten, eingebrannt seit Kindheitstagen und wachgerufen auch durch die Landschaftsportfolios mit Papageien und Palmen, vor denen sich die Touristen in Miami für Erinnerungsurlaubsfotos ablichten ließen. Hair und Newton kannten buchstäblich keine weiße Leinwand ­– wobei schon diese Bezeichnung falsch ist: Sie malten auf Upson Boards, billigen Brettern, die ursprünglich für Dachdecker gemacht worden waren, und rahmten sie mit Holz, wie es für Fensterrahmen benutzt wurde.

Von Anfang an war klar, dass sie nie hohe Preise für ihre Bilder erzielen würden und dass ihnen der Weg in die Galerien verschlossen blieb. Hair verkaufte ein gerahnmtes Bild für fünfundzwanzig Dollar – da lagen der eigene Cadillac und der erste Million in weiter Ferne. Entsprechend ging es Hair darum, nicht der beste, sondern der schnellste Maler zu werden. Er trieb Sport, um so fit zu sein, dass er ohne Pause malen konnte. In seinen Hochzeiten soll er es auf vierzig  Bilder in vierundzwanzig Stunden gebracht haben. Dabei standen immer mehrere Boards nebeneinander, seinen Helfern – meist noch Schüler aus der Highschool – hatte er gezeigt, wie man gelb und weiß so mischt, das sie als Wolkenfarbe taugen; danach ließ er die Jugendlichen dann die Wolken auf die Boards malen. Hair ging derweil von Bild zu Bild und malte Reiher, Palmen oder einen Wellenschlag hinzu. Seltener auch Menschen oder Autos und manchmal gar ein Haus. Waren die Bilder fertig, wurden sie in den Kofferraum des mittlerweile erworbenen Cadillac gepackt und verkauft, bevor die Farbe trocken war.

Der Absatz der Bilder war so gut, dass die meisten Highwaymen durch ihre Malerei in den Sixties mehr verdienten, als sie sich je erträumt hatten. Ihre Landschaften hingen in fast jedem Haushalt in Florida, kaum ein Tourist fuhr ohne Reiher-Sturm-Palmen-Seelandschaft zurück nach Oklahoma. Und der Effekt ist heute noch, selbst wenn man die Bilder nur als Reprint im Katalog sieht, sofort nachvollziehbar: Wer mal in Florida war, kennt das, was die Bilder zeigen, auch wenn das Licht nicht ganz stimmt und der Vogel nicht genau getroffen ist. Stattdessen erinnert man, was man selber schon gesehen hat, wie die Fliegen rufen in Florida vor den Palmen. Die Highwaymen bringen die Weite, den Wind und Krach der Vögel aufs Board – ohne aber Stimmung, Ort und Situation besonders allzu individuell zu gestalten. Ihre Bilder sind so etwas wie der Dialekt Floridas und trotzdem unterscheiden sie sich in ihrer Handschrift.

Eine „Factory“ waren die Highwaymen bei alldem nicht. Auch wenn sie gern zu zweit oder zu dritt malten, Bier tranken und ihre Arbeit feierten, ihre Produktion blieb individualisiert. Allerdings hatten sie in Hair eine Art energetisches Zentrum, das die anderen in der Produktion mitriß. Und so endeten die für alle finanziell einträglichen sechziger Jahre am 9. August 1970 in Eddy’s Place, einem Treffpunkt der Highwaymen, der auf einem Bild von Harold Newton verewigt ist. Hair wurde an diesem Tag Opfer einer Schießerei, mit der er nichts zu tun hatte. Er stand nur irgendwie im Weg. Hair war 29 Jahre alt, verheiratet, Vater von sechs Kindern und Besitzer eines Cadillac. Zum Millionär hat er es nicht geschafft.