James Ellroy – Tatortbegehung

Hausbesuch
zuerst erschienen im März 2011 in GQ, S. 111-114
Seine Mutter wurdet ermordet. Dieses Trauma machte ihn zum Krimiautor. James Ellroys Wohnung spiegelt seine düsteren Romanwelten

[112] Hollywood, Lunchzeit. Die riesige Lobby des Art-deco-Gebäudes hinterlässt Fragen. Welcher der Bewohner benötigt so eine Personenkontrolle am Eingang? Und wer hat diese kaputten Louis-seize-Sessel-Imitationen hier abgestellt? Hier soll es spuken, der Geist von Ex-Bewohnerin Mae West sich herumtreiben. Ist das Mae West? Eine sehr alte Frau mit einer teuren Handtasche, aber katastrophalem Haar steigt aus dem Fahrstuhl. Sie verschwindet in der Mittagssonne. Man versteht, warum der Schriftsteller James Ellroy hier lebt.

Er braucht sich nur in die Lobby zu setzen, um ein paar neue Hauptfiguren zu finden. Ellroys Bücher wie „Black Dahlia“ oder „L.A. Confidential“ handeln von zwielichtigen Menschen. Von schönen Oberflächen, hinter denen bestialisches Morden und Abstechen stattfinden. Sie handeln von Los Angeles, dem Ort, an dem Verbrechen immer noch düsterer erscheinen, weil über Hollywood den ganzen Tag die Sonne steht. Sie handeln von dem Ort, an den Menschen kommen, die jemand anderes werden wollen.

Ein Hausbesuch beim wichtigsten zeitgenössischen Krimiautor. Der „wahnsinnigste unter den Triebtätern der amerikanischen Literatur“ zu sein attestierte ihm die „Süddeutsche Zeitung“.

Sein neues Buch „Der Hilliker-Fluch“, ein autobiografischer Roman, der sich um Ellroys Verhältnis zu Frauen dreht, erscheint im Herbst auf Deutsch.

„Sie sind zehn Minuten zu spät.“ Der Hausherr raunzt uns an. Erste Regel für einen Hausbesuch bei James Ellroy: besser nicht mit Hollywoodstar-Attitüde den Termin verpassen, stattdessen hysterisch deutsche Pünktlichkeit an den Tag legen.

James Ellroy hasst jede Form des Unplanmäßigen. Auch gut: gehorsam sein. Das verlangt er so. „Nennen Sie mich nicht James. Sondern Mister Ellroy!“ Anlegen will man sich mit Ellroy schon gar nicht. Er scheint durchtrainiert. Geradezu kampfbereit. Er ist zu riesig, um in seine eigene Badewanne zu passen. Und: Ellroy starrt. Die Augen hinter der Bertolt-Brecht-Brille sehen alles. Ellroy ist der Typ „alter Lateinlehrer“, der noch im Zweiten Weltkrieg diente.

Erster Eindruck im Apartment: Der Mann braucht Kontrolle zum Leben. Alles steht an seinem Platz, kein Buch verkehrt herum im Regal. Alles ist abgestaubt. Ellroy benötigt außerdem die Farbe von Blut um sich herum. Genauer gesagt Ochsenblutrot. An diese Farbe möchte Ellroy den ganzen Tag erinnert werden. „Ich wollte dunkelrote Wände, ich bekam sie. Ich wollte dunkles Holz. Ich bekam es“, sagt er. Man kann sich vorstellen, wie er dem Dekorateur seine Vorstellung durchs Telefon kommandiert hat.

Ellroys Gehirn braucht jedenfalls Folgendes, um auf Trab zu kommen: Wände voller gerahmter Bilder mit crime scenes, Tatortfotos. Ellroy hat sich sehr elegante rausgesucht: Blutlachen und Polizisten, in Schwarz-Weiß arrangiert. Aber auf jedem gibt es Tote zu sehen. Ein paar Bilderhängen in der Küche, ein paar im Wohnzimmer, ein paar [113] im Flur. An tote Körper möchte Ellroy den ganzen Tag erinnert werden. Dazwischen hängen Plattencover, als Auflockerung: Ludwig van Beethoven und Anton Brückner.

Wen würde er nie in seinem Wohnzimmer aufhängen? „Mozart! Großer Hass. Zu spielerisch, zu ironisch, nicht dramatisch genug. Es geht nicht um Blut.“ Dafür liebt er sein Selbstporträt. Einen Pittbull mit Sonnenbrille und offenem Maul. „Das bin ich“, sagt Ellroy.

Was braucht der Mann noch zum Leben? Die Möglichkeit vollkommener Ruhe. Kein Fernseher, kein Mobiltelefon, kein iPad, kein SMS-Piepsen. Wenn man die Läden schließt, rutscht kein Lichtstrahl durch, kein einziges Geräusch. Er führt es uns vor. Es klickt gespenstisch. „Ich muss meine Bilderflut und Geräuscheflut kontrollieren. Ich finde unsere Welt überstimulierend. Und ich will auch keine Facebook-Freunde.“ So hält er Nachrichten und News fern. Er weiß, wer der Präsident der USA ist, aber mehr Informationen sollen nicht ins Haus dringen. „Mein Leben besteht aus Schreiben, klassischer Musik, Hunden, Schlafen und meiner Freundin“, sagt er im Ton eines Aufsehers. Seine Freundin, das ist die Schriftstellerin Erika Schickel.

Ellroy führt uns zum Zentrum der Wohnung. Eine dunkelbraune Ledercouch. Erkennbar nicht ganz neu. Man sieht ihr an, wie oft sie benutzt wird. Hier liegt Ellroy, wenn er nicht am Schreibtisch sitzt. Oder wenn er nicht schlafen kann. Oder wenn er einfach an die Decke starren will und sich seinen Beethoven reinzieht.

Das Sofa hat schon nach ein paar Minuten einen guten Einfluss auf Ellroy. Es macht ihn zugänglicher. Er legt sich drauf und schließt die Augen. Auf der Couch kann er sogar über seine Kontrollsucht sprechen. „Ich bin derjenige, der bei Zufällen und Überraschungen ausflippt. Ich hasse sie.“ Die Couch ist auch der Ort, an dem wir über ihn als Zehnjährigen sprechen können. Ein bis heute nicht identifizierter Mann erdrosselt 1958 Ellroys Mutter Jean Hilliker. Die Polizei macht am Tag des Verbrechens ein Foto von James. „Sie sahen, dass ich nicht zusammenbrach. Und stellten mich in die Garage unserer Nachbarn zum Fotografieren.“ Ellroy schaut ernst. Sein Look, seine ganze Haltung auf dem Bild ähneln einemhübschen, abgebrühten Kinderdarsteller aus „Lassie“. An diesem Tag wird die Grundlage für Ellroys Romane geschaffen.

Wollen wir mal aufstehen? Nein, lieber noch nicht. Ellroy lebt auf dieser Couch. Ellroy spricht auf dieser Couch, Ellroy lacht sogar auf dieser Couch. Ohne die Couch kann er nicht sein. Er liegt sogar dort, wenn er mit seinem Therapeuten telefoniert. „Er ist mein bester Freund. Ich habe die Tendenz, mich mit Therapeuten anzufreunden.“ Seit ein paar Monaten heißt das Couchthema „Vater“. „Er war ein Lügner und ein Garant für mehr Spaß, als meine Mutter erlaubte. Ich fand es ziemlich schwierig, mit ihm zu leben.“

Mit elf suchte sich Ellroy dafür einen Ersatz. Onkel Ludwig van Beethoven. „Beethoven ist Gottes Stimme. Ich fiel beinah in Ohnmacht, als ich ihn zum ersten Mal hörte.“ Seitdem hat auch Beethoven seinen Platz auf der Couch. Hier liegt Ellroy und lauscht den Botschaften des Onkels. Dazu starrt er an die blutroten Wände. „Für mich ist das Tiefenentspannung.“

Über die Sache mit seiner Mutter, sagt er, ist er jetzt, 54 Jahre später, „hinweg“. Alles, was er noch dazu zu sagen hätte, steht in seinem neuen Buch „Der Hilliker-Fluch“. Kurz gesagt: James Ellroys Obsession mit Frauen hat mit Mama zu tun. Als Teenager fährt James nachts mit dem Fahrrad durch die Gegend, starrt heimlich Mädchen durchs Fenster an und vergleicht sie mit der Mutter. James findet sich extrem unattraktiv. „Die Aufmerksamkeit lag nicht auf mir.“ In der Schule ist er kein Superstar. Die Mädchen mögen die Baseballmannschaft lieber als ihn. Ellroy beginnt eine Drogenkarriere: Er säuft und widmet sich ausführlich dem Amphetamin Benzedrin. Er macht ein paar Ausflüge ins Kleinkriminellen-Dasein, wird schließlich Golfcaddie, um Bücher zu schreiben. Sein erstes, „Brown’s Requiem“, erscheint im Jahr 1981.

„Ich arbeitete morgens auf dem Golfplatz, verdiente steuerfreies Geld und schrieb ab zwei Uhr mittags. Das ging bis zu meinem fünften Buch so.“ Und in jedem spielen Frauen eine Rolle. In „Der Hilliker-Fluch“ gibt Ellroy sogar zu, wegen einer Frau, die er in einem Traum gesehen hat, wieder zurück nach Los Angeles gezogen zu sein. Er war überzeugt, sie würde ihn retten. Wovor? „Ich weiß, es ist peinlich das zu sagen. Vor mir selbst.“

„Der Hilliker-Fluch“ erzählt auch davon, wie Ellroy Frauen trifft. Wenn er sich für eine entscheidet, hat die Frau keine Wahl. Er muss sie haben. Ellroy flirtet nicht. Er besetzt [114] Frauen, wie andere Leute leer stehende Häuser oder Wohnungen. Warum ist er so abhängig vom anderen Geschlecht? „Ich brauche die Frauen, um zu lernen. Sie bringen mir bei, wie ich meine Rücksichtslosigkeit kontrollieren kann.“

Im Schlafzimmer steht ein Bild von Ellroys aktueller Partnerin Erika SchickeL Die Couch und der Anblick von Erika lockern Ellroy auf. Wir dürfen das „Mister Ellroy“ weglassen und jetzt James zu ihm sagen. Können wir jetzt über das Schlafzimmer sprechen? Die Wände sind nicht blutrot. Sie sind beige. Ellroy hat sich keine Gedanken darüber gemacht. Die Wand im Schlafzimmer interessiert ihn nicht. Sein Bett ist unberührt. Es ist übermäßig ordentlich gemacht. Jemand hat ein paar Stofftiere draufgelegt. Es war nicht James. Zum Schlafzimmer hat er wenig mitzuteilen. Er schläft schlecht. „Was soll ich sagen? Hier verbringe ich die wenigste Zeit.“

Größere Lust hat Ellroy auf sein Arbeitszimmer. Dort, wo er täglich seine Düsternis zu Worten werden lässt Das Zimmer ist klein, hell und ebenfalls staubfrei. Direkt am Fenster steht ein Crosstrainer, auf den Ellroy steigt, wenn er „Energie braucht“. Der Crosstrainer gehört zu Ellroys Alltag: aufstehen, Crosstrainer, Energie ansammeln, Haferflocken essen, Kaffee trinken, schreiben, Energie abgeben, Crosstrainer, Haferflocken, schreiben, Energie abgeben. Der Raum könnte als Polizeistube des LAPD, des Los Angeles Police Department, durchgehen.

Ellroy schreibt hier, umgeben von Urkunden, Polizeinippes und Ehrenplaketten des LAPD. Bitte nicht anfassen. Auch nicht die Orden, die er für jahrelange Unterstützung der Polizei bekommen hat. Einer davon dokumentiert Ellroys Ehrenmitgliedschaft. Ein anderer dankt für seine Reden, die er bei den Polizeipartys hält. Wir wissen, dass Ellroy von Cops fasziniert ist. In seinen Büchern sind sie bestechlich, irre, drogenabhängig und asozial. Aber Könige.

Es dauert ein paar Minuten, bis man begreift, dass neben Ludwig van Beethoven auch die Polizei von Los Angeles James Ellroy aufgezogen hat. „Als meine Mutter erdrosselt wurde, trösteten mich die Polizisten. Später, als ich ein Teenager war, haben sie mich verprügelt. Ich brauchte das.“ Er verwendet in seinem Arbeits-Polizistenzimmer auf einmal das Wort Liebe. „Ich liebe Cops. Sie sind autoritär. Genauso wie ich.“

Er liebt zwar auch seine Freundin, aber für sie gibt es keinen Platz im sauberen Ellroy-Refugium. Ellroy muss die Möglichkeit haben, mit dem Tod und dem Horror allein zu sein. Also verlässt er ein paar Mal die Woche seine Wohnung, um Erika zu besuchen. Er fährt immer dieselbe Strecke. Nur durch wohlhabende Viertel, wo möglichst wenig passieren kann.

In der echten Welt kommt Ellroy nicht zurecht. „Ich will, dass die schlimmen Dinge in meinem Kopf passieren. Und nirgendwo sonst.“ Also wohnt Ellroy in einem Apartment, das so gebaut ist wie sein Kopf. Niemand anderes könnte hier überleben.