Mike D – Die Kunst, erwachsen zu werden

Portrait
zuerst erschienem am 21. September 2012 im Süddeutsche Zeitung Magazin, S. 13-17
Für den Beastie Boy Mike D hätte unsere Autorin als Teenager am liebsten getanzt. Jetzt lernte sie ihn endlich kennen: ein Mann, der von sich sagt, „Ich versuche, den Wahnsinn in meinem Kopf zu kontrollieren"

Mit 15 überlegte ich, wie ich an Mike D herankommen könnte. Ich stellte mir vor, Käfigtänzerin in seiner Band, den Beastie Boys, zu werden. Im Fernsehen, in der Musiksendung Formel Eins, sah ich ihre Videos, darin tanzten Mädchen in einem Käfig, der über der Bühne hing. Sie trugen Bikinis, machten einfache Bewegungen, wie Gogo-Tänzerinnen. Nichts Kompliziertes. Das würde ich schaffen. Ich hätte den ganzen Tag über Mike und seinen Bandkollegen schweben können. Die Beastie Boys waren damals, ab Mitte der Achtzigerjahre, eine Offenbarung. Drei Jungs aus New York, die You Gotta Fight For Your Right To Party forderten und den Hip-Hop revolutionierten. Ihre Musik, ihre Albernheit, ihr ganzes Zirkusgehabe standen für großes Glück. Fand ich. Beim Anhören von No Sleep Till Brooklyn zum Beispiel ging es nicht nur um Musik. Es ging um ein Gefühl, wie frisch verliebt zu sein.

Da war der hübsche Adam Yauch, der Chefdenker der Beastie Boys. Dann Adam Horovitz, der Witzbold, mit dem Humor von Dieter Hallervorden, nichts für mich. Ich liebte Mike D, Michael Diamond, der aussah wie der junge Rudi Carrell. Der mit der Krähstimme und den meisten VW-Logo-Ketten um den Hals. Der auf der Bühne zu hoch sprang und auf der Bierlache ausrutschte, die Adam Yauch regelmäßig für ihn hinschüttete. Mike, der eine Zeit lang gelbe, raspelkurze Haare trug, passend zu seiner schlechten Haut, vermutlich von zu viel Ecstasy. Dazu seine irren Augen. Doch Mike war eben nicht bloß irre, sondern auch der Anwalt der Beastie Boys. Wenn die anderen beiden mal wieder für Randale sorgten, Bierdosen ins Publikum warfen oder in Interviews provozierten, was das Zeug hielt, rückte er alles wieder gerade, erklärte, kommentierte. So schlimm sei das doch alles nicht, sie seien bloß die Beastie Boys. Mike D entschärfte Konflikte in Sekunden. Er war genauso verrückt, so merkwürdig wie seine Kumpels, aber kontrolliert. Das fand ich sehr attraktiv. Ich weiß nur nicht, ob ich in Mike D verliebt war, bloß mit ihm schlafen oder genauso sein wollte wie er.

Auch sein Modestil imponierte mir. Er trug Jeans-Latzhosen mit Schirmmützen. Schlimm eigentlich. Nur nicht bei ihm. Als 1989 das Album Paul’s Boutique veröffenticht wurde, erschien er auf der Premierenparty in einem gelben Rolli, grüner Weste und roter Samtmütze. Das kann man sich heute alles noch mal auf Youtube angucken. Dazu machte er ein arrogantes Gesicht, weil er wusste, in solchen Klamotten muss so ein Gesicht gemacht werden. Ich übernahm [15] diese Geste und schaute böse, wenn jemand die Outfits dieser Zeit an mir nicht mochte. Viele Jahre später, 2007, zeigte sich ein neuer Mike D. In einer amerikanischen Talkshow saß er mit seinen Bandkollegen und trug einen locker sitzenden Geschäftsmannanzug. Seine Haare waren extrem kurz, Knastbruderlänge. Von seinen Kumpels erhielt er den Titel Business Mike. Er behauptete, er sei wie immer, ein Beastie Boy, der alte Breakdancejunge. Ich war mir nicht so sicher.

Heute Nachmittag treffe ich Mike D. Die Plattenfirma hat alles arrangiert. Erst mal ein kurzes Kennenlernen. Mal „Hallo“ sagen. Mir ist schlecht. Ich habe den ganzen Tag Kaffee auf nüchternen Magen getrunken, um mich zu beruhigen und gleichzeitig wach zu sein. Zum letzen Mal habe ich Mike auf der Bühne der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg gesehen. In den Neunzigerjahren, mit 10 000 Fans, die auf- und absprangen. Kann man überhaupt mit einem Idol sprechen? Ist das eine gute Idee? Es gibt hunderttausend Themen und doch kein einziges. Was ist, wenn sich dein Idol vor deinen Augen verwandelt, nicht der ist, den du glaubst zu kennen? Kannst du ihm dann Vorwürfe machen? [16] Ich weiß nur, dass Michael Diamond jetzt das ist, was man einen coolen Erwachsenen nennt. Er hat zwei Söhne, er ist mit der Regisseurin Tamra Davis verheiratet, die genauso cool ist wie er. In der Kochsendung seiner Frau lobt er ihr selbst gemachtes Öko-Müsli, er geht jeden Morgen zum Ashtanga-Yoga, um den „Wahnsinn in seinem Kopf zu kontrollieren“, wie er später sagen wird. Er besitzt ein Haus in Malibu und ein Haus in Brooklyn. Strukturell kommt sein Leben dem von Gwyneth Paltrow und Chris Martin ziemlich nahe.

Das erste Treffen mit Mike dauert 70 Sekunden. Es findet auf der Terrasse des Hotels „Chateau Marmont“ in Hollywood statt. Ein heißer Tag. Seine Entourage lungert auf dem Balkon herum. Perfekt Tätowierte, Sonnenbrillenträger, TurnschuhIdeologen, Menschen ohne Angst im Gesicht. Die Welt von Mike ist nicht die von Angestellten. Ich wusste es, ich habe mir seine Welt so vorgestellt und wollte gern Teil sein davon. Dann kommt er. Er schleicht aus dem Nebenzimmer, halb rückwärts. Ich sehe zuerst seinen Hintern. Er würde in zwei Kinderhände passen, so klein ist er. In Mikes linker Hosentasche, dort wo andere Leute ihr Telefon tragen, steckt eine Flasche mit grünem Biogemüsesaft. Seine Augendeckel liegen tief. Seine Lippen zittern. Seine PR-Frau sagt, er braucht Schlaf, er braucht veganes Essen und einen Wagen zum Flughafen. Was ist denn bloß mit ihm? Das habe ich nicht erwartet. Er sagt „Hallo“. Seine Hand fühlt sich knochig an. Ich habe keine Ahnung, wer er ist. Seine Augen sagen mir nichts. Möglicherweise habe ich mich die ganzen 20 Jahre getäuscht.

Nächstes Treffen. Eher ein Gucken. Mike gibt eine Pressekonferenz im Museum of Contemporary Art. Er kuratiert eine Ausstellung für das Mercedes-Benz-Projekt Avant/Garde Diaries. Die Journalisten kommen von überall her. Japan, USA, Spanien, Irland, Mexiko. Mike ist ein Star. Er ist interessant für schicke Websites, Magazine, selbst für CNN. Er greift zum Mikrofon und erklärt, so wie er eben immer alles erklärt hat. Er trägt eine braune Cordhose. Das kann nicht sein. Auch sonst verhält sich er nicht wie ein Star. Am Abend der Eröffnung sollen Axl Rose und Anthony Kiedis kommen, seine Freunde seit Jahren. Falls sie kommen, werden sie Mike nicht finden. Im VIP-Bereich ist er nicht, er diskutiert mit einem Ausstellungsbesucher in einer Ecke auf einer Holzbank das Thema Mobiltelefonbilder. Er wirkt so bescheiden. Damit muss ich mich abfinden. Das ist nicht einfach.

[17} Am Morgen danach das Gespräch mit meinem Idol. Ich will ihm immer noch gefallen. Ich trage hellblaue Wrangler-Jeans, Modell Joni Mitchell, weißes T-Shirt, dunkelblaues Jäckchen, bisschen wildere Mähne. Mike ist Surfer. Ich hoffe, er mag das. Wir sind an der Kaffeebar im Museum verabredet, doch er braucht noch. Eines der ferngesteuerten Boote in der benachbarten Installation hat sich verfangen, und da muss er persönlich nach dem Rechten sehen. Das geht selbstverständlich alles von der Interviewzeit ab.

Jetzt steht Mike neben mir. Wir müssen die Sache hinter uns bringen, ich weiß. Ich lenke mich ab, ich studiere seine Ohren, riesige Dinger, abstehend. Oben beinahe viereckig. Die Ohren sagen ja was aus. Ich hatte seine Ohren vorher nicht auf dem Zettel. Ich bin sofort in sie verliebt. Er trägt ein frisch gestärktes Hemd, ein tadelloses Jackett. Er ist heute der Business-Mike. Ich bin froh, dass ich etwas Anständiges angezogen habe. Mikes Lippen zittern, schon wieder. Was ist mit den Augen? Aufgerissen, nervös, irre. Ich bin beruhigt. Es sind die Augen, die ich mir gewünscht habe. Mike kommt näher.

Jetzt auflockern, eine saublöde Frage stellen. Ich frage ihn, was er machen wird, wenn er einmal 110 Jahre alt ist. Er ist auf die Frage nicht vorbereitet. „Wie alt?“ - „Wir können auch 105 sagen.“ - „Mit 105? Ich weiß nicht.“ Warum will ich denn so was wissen? Ich bin fest überzeugt, er ist ein Vorbild für gutes Altern. Ich will Tipps, Ratschläge von ihm, wie das geht. Mike muss das wissen. Er ist jetzt 46, seine Haut ist gut gebräunt, keine Pickel mehr. Vor Kurzem drehte er mit den Kollegen den halbstündigen Film Fight For Your Right Revisited. Inhalt: die Beastie Boys als alte Männer. Fett und aus der Form geraten. Will er sich so sehen? Als fetter Beastie Boy? „Am Ende kommt es doch auf die inneren Werte an“, sagt er. Hat er wirklich „innere Werte“ gesagt? Ich beschließe, ihm nicht von meinen früheren Käfigtänzerin-Plänen zu erzählen. So locker ist der gar nicht, der Mike. Liegt es daran, dass er jetzt Kinder hat? Vielleicht ist er doch nicht mehr so irre wie früher, vielleicht ist er längst arriviert.

Mike rückt näher. So als wolle er mir eine Chance geben, seine Haut genau anzuschauen. Soll ich überhaupt nach dem pickeligen Jungen mit der Ecstasy-Haut suchen? Seine neue Haut ist frisch. Sie ist jung. Komm Mike, jetzt sag mal, was dich jung macht außer Yoga und Surfen in Malibu. „Ich bleibe ein Fan von allem, was ich gut finde. Ein richtig harter Fan. Ich bin außerdem der glücklichste Mann unter der Sonne, dass ich genau das tun kann, was ich jetzt mache.“

Schöner Moment. Kein abgeklärter „Ich hab alles gesehen“-Moment. Mike hat in viele Drogentüten gelangt, er ist sicher auf vielen Bieren ausgerutscht und trotzdem, er ist nicht fertig. Er liebt sein Leben und kann sich freuen über ferngesteuerte Kinder-Boote. Deshalb ist Mike Diamond ein Idol. Wir stehen jetzt so nahe, dass wir uns küssen könnten, machen wir natürlich nicht. Ich schaue Mike noch mal in die irren Augen, dann muss er los.

Sein Herz ist an diesem Morgen schwer. Sein langjähriger Freund Adam Yauch liegt im Sterben, mit 47. Einen Monat später ist er tot. Mike ist am Boden zerstört, aber aufgeben geht nicht. „Adam hätte gesagt: Weitermachen! Und zwar etwas Wahnsinniges, was wir bisher nicht getan haben.“ Mike wird den Wahnsinn retten. Ich bin sicher.