Oskar Roehler – Glanz der Spießigkeit
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Oskar Roehler sieht nicht aus wie ein Regisseur, schon gar nicht wie einer aus Deutschland. Eher wie ein Dandy aus den 20er-Jahren mit einer Villa am Wannsee. In der Garderobe eines solchen fühlt er sich bei den Fotoaufnahmen für Vanity Fair jedenfalls ausgesprochen gut: Er lässt sich schminken, auch schwarze Seidenbademäntel schrecken ihn nicht ab. Bekannt wurde Roehler durch Filme wie „Die Unberührbare“ oder „Agnes und seine Brüder“, die mit ihrer moralischen Ungebundenheit und dem Willen zur Ausschweifung das Kino zum Glänzen bringen wie seit Fassbinder keiner mehr. Am 22. Januar läuft Roehlers neuer Film „Lulu und Jimi“ an. Premiere feiert er auf dem diesjährigen Sundance-Festival (15. bis 25. Januar).
Herr Roehler, Ihr neuer Film „Lulu und Jimi“ spielt in einer Zeit, als Ihre Großmutter ständig Ihre Unterarme kontrollierte, um zu prüfen, ob Sie Heroin nehmen.
Für mich war es der blanke Horror, in dieser Zeit aufzuwachsen, späte 50er, frühe 60er. Und das auch noch in dem Kaff Ebern in Unterfranken. Aber ich liebe es, Filme über das gefährliche Spießertum zu drehen.
Oh, was ist das?
Es besteht aus frustrierten Menschen in kleinen Städten. Und die sind frustriert, weil sie aus ihren engen Grenzen nicht rauskommen. Sie unternehmen dann alles, um dort auszubrechen, sind irgendwann zu allem bereit. So wie Kathrin Sass im Film diese herrschsüchtige, wirklich gemeine luxusbesessene Mutter spielt. Ich denke aber auch an so jemanden wie Tatjana Gsell.
Die als „Busenwitwe“ bekannt gewordene Kosmetikerin Tatjana Gsell stammt auch aus Ebern …
Franken eignet sich bestens für solche Geschichten. Ich glaube, die 50er-Jahre haben da nie aufgehört. Da ist alles noch da. Die reicheren Vororte, dieser sehr plakative Glamour, Männer mit Schnurrbärten und nach hinten gegelten Haaren wie Rhett Butler, Frauen mit Pudeln, jede Menge Gold am Hals und sogar im Haus. Und ich glaube, die Frauen dort denken dieselben Dinge wie in den 50er-Jahren: Sie wollen entweder reich sein, einen reichen Mann heiraten, oder sie denken sich eine Strategie aus, wie sie den langweiligen Mann, mit dem sie schon acht Jahre verheiratet sind, wieder loswerden. Für mich sind diese Geschichten ideale Filmstoffe. Sie wirken zunächst billig, sind aber oft sehr böse. Ich liebe menschliche Auswüchse, extreme Reaktionen, die aus einer Enge kommen. Natürlich bekommen die Themen bei mir dann noch ein Humor-Treatment.
Ihr Hauptdarstellerpaar aus „Lulu und Jimi“, ein großbürgerliches Mädchen und ein schwarzer Kirmesarbeiter, wirken den ganzen Film über unglaublich unschuldig, fast rührend. An wen dachten Sie dabei?
Ich habe im Keller alte Liebesbriefe meiner Eltern aus den 50er-Jahren gefunden. Sie lagen schon lange da, aber ich hatte Horror davor, sie anzurühren. Eines Nachts bin ich runter in den Keller und habe angefangen, sie zu lesen. In einem Brief von meinem Vater an meine Mutter stand der Satz „Verehrtes Fräulein, es war entzückend, Sie beim Tanztee zu beobachten. Darf ich Sie wiedersehen? Ihr Klaus Roehler.“ Das war 1957, er war 22 Jahre alt und sie 17. Das hat mir die Tränen in die Augen getrieben. Mein Vater hatte Porzellandreher gelernt. Meine Mutter hat ihn dann wohl gefragt, ob er auch so ein reicher Schnösel wie die anderen sei, mit denen sie immer tanzen gehen musste. Später wurde er reich, weil er Gartenzwerge fabrizierte, ehe er sich der Literatur zuwandte …
Gartenzwerge waren in den 50er-Jahren natürlich begehrt.
Genau. Zwischen den beiden ging dann eine heiße Liebesgeschichte los. Sie fuhren heimlich nach Italien, wurden von der Polizei gesucht. Meine Mutter hat meinen Vater immer zu extremen Dingen angetrieben. Orangen zu klauen und Läden zu überfallen. Sie war schon krass. Dann wurde sie schwanger und musste, wie das Mädchen in „Lulu und Jimi“, zu einem merkwürdigen Nazipsychiater, der ihr die schlimmsten Dinge über Schwangerschaft erzählte. Und wie im Film ging sie ins eiskalte Wasser eines bayerischen Sees, und mein Vater hat sie gerettet, also letztlich mich.
Ihre Eltern galten als Traumpaar der Gruppe 47.
Mein Vater wurde sogar Kassenwart der RAF. Er hat die Gelder der Überfälle verwaltet. Zu der Zeit habe ich bei ihm gewohnt. Meine Mutter war im Grunde nur am Ausbrechen aus ihrer Umgebung interessiert, sie war aber zu romantisch und zu idealistisch, um es geschickt und strategisch zu machen. Und ihre Selbstzerstörung hatte auch was Spießiges.
Was ist heute in Deutschland spießiger? Das linke Spießertum? Oder doch das klassische konservative Bürgertum?
Ich finde, Deutschland kann sich dem Thema Spießigkeit generell nicht entziehen. Wir kommen alle aus der Spießigkeits-Ursuppe. Ich finde es gut, dass sich jetzt die Eliten und die Hochkultur wieder zurückmelden, also dass das Bürgerliche wieder zurückkehrt, dass die Messlatte wieder höher gehängt wird.
Warum?
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Bestimmte Richtlinien halten einen jedenfalls im Zaum. Ich selbst erlaube mir dann auch weniger peinliche Filme. Spießigkeit fängt bei mir bei Studenten an, die mit ihren schrecklichen Bärten und in Che-Guevara-T-Shirts die Kastanienallee hoch und runter laufen und doch wirklich nur ganz uralte Codes des Widerstands benutzen. Wir sind in einer neuen Zeit. Das Plakative, Aggressive funktioniert nicht mehr. Regeln zu ignorieren oder zu brechen bringt nichts, wenn man was erreichen will.
Hat „Lulu und Jimi“ auch deshalb keine einzige Szene, die man als „anrüchig“ bezeichnen könnte?
Ich bin kein besonders großer Freund davon, dass alle Liebesgeschichten oder auch Sexgeschichten etwas Politisches erzählen müssen. Manchmal ist die Geschichte des Paares doch schon genug.
Die Liebesgeschichte, die Sie gern mal drehen würden?
Die von Britney Spears und Justin Timberlake, die von den unschuldigen Königskindern! Ich fand es damals faszinierend, als Britney in einem fünfstündigen Interview über sich gesprochen hat. Zu einem Zeitpunkt, als die ganze amerikanische Nation mit ihr ins Bett wollte, ohne es zuzugeben, heulte sie im Fernsehen wegen ihrer Trennung. Sie stand unter einem größeren Druck, als Bill Clinton wohl jemals stand. Das fand ich wahnsinnig interessant: diese junge, blonde, erfolgreiche Person unter großem Druck!
Und falls Sie jetzt doch noch mal einen Film über Sex drehen sollten, wie sähe der aus?
Ich bin eher katholisch, von daher wäre das sicher sehr voluminös, sehr aufwendig, in dem Film würden viele Sexbomben eine Rolle spielen. So einfach.
Welche Frauen inspirieren Sie?
Ich finde sie oft gut, wenn sie sehr jung sind. Und dann finde ich die meisten ab circa 50 wieder interessant, wenn sie ein erotisches Wissen haben, wenn sie mit allen Wassern gewaschen sind, wenn sie so aussehen wie coole Diplomatinnen.
Wer ist besser für Ihre Fantasie: Blondinen oder Dunkelhaarige?
Ich finde auf der Leinwand beides gut. Das liegt auch an meiner ersten großen Liebe, die meine blonde Tante Heidi war. Ich kam damals mit acht aus dem kargen 68er-Haushalt meines Vaters ins Wohlstandsbürgertum. Die Schwester meiner Mutter, Tante Heidi, war ein absolutes Sexsymbol: Sie bewegte sich sehr lasziv. Abends schminkte sie sich stundenlang für ihre vielen Verehrer. Ich blieb immer so lange wach, bis sie nach Hause kam. Einmal bin ich sogar unter ihr Bett gekrabbelt, um alles mitzubekommen. Und einmal hab ich fast mit ihr rumgeknutscht.
So richtig?
Ich konnte nie einschlafen, bis mir Tante Heidi einen Kuss gegeben hatte. Eines Abends kam sie in mein Zimmer, beugte sich über mich, und da zog ich sie mit einem sehr männlichen Willen an mich ran. Sie ging ganz cool damit um. Und sie bestrafte mich nicht dafür.
Wie alt waren Sie?
Vier oder fünf. Seitdem ich verheiratet bin, stelle ich übrigens fest, dass mehr Frauen mit einem flirten, weil sie wissen, dass du nicht zu haben bist oder dass sich der Typ dann ernsthaft an sie dranhängt. Ich glaube, man kann mit Frauen als Ehemann anders flirten, eben unverfänglicher, amüsanter. Ich finde es schwieriger, jung, gut aussehend und am Anfang seiner Karriere zu stehen, als älter, erfolgreich und verheiratet zu sein.
Sie werden Ende Januar 50, „Lulu und Jimi“ läuft beim Filmfestival Sundance, verheiratet sind Sie auch. Was macht Oskar Roehler als Nächstes?
Ich bereite eine Art „Buddenbrooks“-Saga meiner Familie vor. Drei Generationen und drei Liebesgeschichten. Mein Großvater zum Beispiel war ein alter Nazi und hat sich nach dem Krieg als SPD-Mann getarnt. Eine große Lüge also. Für mich als Kind war er dennoch ein liebevoller Vaterersatz. Ich finde, es gab trotz Naziuniform immer noch menschliche Unterschiede, ob jemand ein absolutes Schwein war oder nicht. Und das hat mit dem Tragen einer Uniform wenig zu tun. Anziehen würde ich trotzdem keine.