Phil Collins – „Musik? Das ist vorbei. Sex? Auch“

Interview
zuerst erschienen am 06. November 2011 in Welt am Sonntag S. 16
Phil Collins ist die Oper des kleinen Mannes, seine Songs sind großes Gefühl. Der Popstar über taube Hände, Wut und Traurigkeit

Die Pressedame wiederholt es vorsichtshalber noch mal: Es soll hier natürlich, das wäre das Beste, vor allem ums Musical „Tarzan“ gehen, das in der Neuen Flora in Hamburg aufgeführt wird und nun dritten Geburtstag feiert. Darum ist Phil Collins, der die Musik komponierte, schließlich in der Stadt. Der wirkt etwas müde, ein Sitzzwerg mit Brille und grauen Bartstoppeln - ausgeredet nach vielen Interviews. Wecken wir ihn sanft.

Welche Hand darf ich denn schütteln, Herr Collins? Ich will Ihnen nicht wehtun.

Mir tut nichts weh. Wer sagt so was?

Ich habe gelesen, dass Ihre Hände …

Pah! Gelesen, gelesen.

Man bereitet sich natürlich vor.

Egal. Ich stelle nur fest, dass es immer bizarrer wird, was so geschrieben wird. Selbst seriöse Blätter. Da steht zwar Phil Collins, aber das bin überhaupt nicht mehr ich. Es ist, wie wenn Sie einen Stein ins Wasser fallen lassen und dann diese Ringe beobachten, die daraus entspringen und immer größer und größer werden, je weiter sie sich vom Ursprung entfernen. Am Ende haben sie gar nichts mehr zu tun mit dem Stein. Ich erkenne mich kaum mehr wieder.

Wie gut, dass wir dann hier sprechen.

Ernsthaft, ich hab die Nase so gestrichen voll von diesem ganzen Quatsch auch im Internet. Diese Leute, die in ihren Blogs nur Nonsens verbreiten. Du denkst nur: Das habe ich doch gar nicht gesagt! Viele verstehen halt auch englischen Humor nicht. Am besten, man sagt es immer noch dazu: „Achtung, Leute, das ist jetzt ein Witz! Ironie, hallo? Also, bitte nicht wörtlich nehmen!“ Ich hoffe, Sie verstehen mich richtig. Sonst spreche ich nie wieder mit Ihnen! Das war jetzt übrigens Humor am Ende, na ja, halb zumindest.

Schon klar, ich bin auch voll bei Ihnen. Aber wie ist es denn nun? Es heißt, dass Sie durch die jahrelange Trommelei an einer Art Nervenentzündung in den Händen leiden, dass Sie sich fürs Schlagzeugspielen Ihre Drumsticks mit Klebeband an der Hand befestigen müssen, weil Sie die Stöcke nicht mehr halten können.

Meine Hände sind müde, ja, sie gehorchen mir nicht mehr. Kraftlos, verstehen Sie. Es ist, als gehörten sie gar nicht mehr zu mir. Die Linke ist noch schlaffer als die Rechte - und ich bin Linkshänder. Ich kann links nicht mal telefonieren. Es kommt wohl vom Schlagzeugspielen. Ich spiele, seit ich fünf bin. Das Problem ist der Nacken. Als Drummer hocken Sie ja ständig in dieser gekrümmten Haltung. Dabei müssen sich Nerven eingeklemmt haben, die auch das Gefühl in meinen Händen regeln. Ich bin ein paar Mal operiert worden. Schlagzeug ist vorbei. Es ist sowieso alles vorbei, und wissen Sie was: Ich bin heilfroh darüber!

Stattdessen trommeln Sie jetzt für Ihre erste Musical-Komposition.

„Tarzan“ ist mein Baby, ja. Eine völlig neue Musikrichtung, weg vom Alten. Und auch ein besonderer Tarzan - ich meine Alexander Klaws, den Darsteller: Nicht dieser kraftstrotzende Hulk, so ist ja das Bild. Genau solche Typen kamen natürlich zum Casting: aufgepumpte Rambos, frisch aus der Muckibude. Wir wollten aber vielmehr eine normale Person zeigen, athletisch, aber nicht künstlich, überzogen, verstehen Sie? Also …

… Tarzan nicht zum Affen machen.

Die Bedeutung, die heute Äußerlichkeiten beigemessen wird, widert mich eh an. Das ganze Schönheitsbild. Das schleicht sich so strahlend, so proper überall ein und setzt die Leute unter Druck. Es zerstört ihre Selbstachtung. Es manipuliert gefährlich, weil nicht mehr Inhalte ein Image formen, sondern die Verpackung. Nehmen Sie Winston Churchill, ein großartiger Politiker. Heute wäre es schwierig für ihn, mit so einem Aussehen. Das alles führt zu einer derartigen Verflachung. Ohne mich!

Äußerlich entsprachen Sie nie dem gängigen Typus des Popstars.

Wenn’s andere stört, mir ist das egal.

Seit je - oder weil Sie irgendwann merkten, einer gewissen Coolness optisch nicht so gerecht zu werden?

Keine Ahnung. Nie darüber nachgedacht.

Und auf der Bühne?

Ich habe mich eher als Schlagzeuger gesehen, nicht als Frontmann, und Drummer sitzen hinten, wo sie eh keiner sieht.

Wie wichtig sind Haare, wenn man so rumtrommelt? Mähne als Ausdruck?

In den 80ern waren ja auch mal Haare da. Lenkt mich nur ab. Ich muss mich konzentrieren. Die Musik, mehr kann ich nicht. Anfangs habe ich mich richtig versteckt hinterm Schlagzeug und später hinterm Mikrofonständer. Ich habe jahrelang das Mikro nicht rausgenommen.

Was macht man dann mit den Armen, wohin die Hände - kennen Sie das?

Kenn ich, ja. So rumwirbeln, Arme hoch, war ja nie mein Ding. Zu sehr Klischee auch, da fühl ich mich nicht wohl. Ich muss eher eine bestimmte Haltung einnehmen, um eine gewisse Note zu treffen. Manchmal spürst du, dass du dich nach vorn beugen musst, um einen hohen Ton zu singen oder etwas herauszuschreien. Der Ton biegt dich, wie er halt am besten rauskommt. Später habe ich auch mal das Mikro gehalten, bin auf der Bühne herumgelaufen, hab Grimassen mit der Band geschnitten, Tamburin gespielt, das hilft. Getanzt habe ich nie.

Wie man tanzt, so ist man im Bett - brasilianisches Sprichwort. Wahr?

Mag sein. Weiß nicht, wem ich zuletzt beim Tanzen zugeschaut habe. Jedenfalls nicht unter dem Aspekt: Aha, so sieht sie also aus, wenn sie …na ja. Wissen Sie, es ist, äh … Ich kann es nicht sagen.

Ist Musikmachen wie Sex?

Nein.

Besser?

Ich kann mich nicht an Sex erinnern.

Sie haben damit aufgehört?

Das meinte ich nicht damit. Achtung, das war englischer Humor! Sie erinnern sich? Okay: Ist Musik wie oder besser als Sex? Musik spielt momentan keine Rolle in meinem Leben, genauso wenig wie Sex oder Bienenzucht oder so.

Sie leben wie ein Mönch.

Nein, ich bin kein Mönch. Egal, das geht Sie nichts an, wechseln wir das Thema.

Kein Problem: Sie sind 1,68 Meter groß und wollten nie größer sein?

Nie darüber nachgedacht.

Bernie Ecclestone hat mal gesagt, es habe ja auch enorme Vorteile, nicht ganz so groß zu sein: Man braucht weniger, ist schneller satt, hat schneller einen Schwips, muss nicht so viel trinken, im Flugzeug mehr Platz.

Genau! Und beim Schlangestehen können Sie bequem durch die Beine der Leute krabbeln. Schön. Haben Sie noch weitere Fragen außer zu Sex und Größe?

Ich finde das Thema ja hochinteressant. Physisch und auch psychologisch: Ob man sich durch das Perspektivische nicht vielleicht auch so ein Kindergefühl erhält, wenn alles ein bisschen zu groß und zu hoch ist. Und man sich dadurch eben auch so eine leicht kindliche Selbstwahrnehmung bewahrt, das Spielerische

… Ja? Sorry, ich denke nicht darüber nach. Ich denke einfach nicht darüber nach, wie groß ich bin. Ich denke über vieles nicht nach, zu dem Sie mich befragt haben, und ich möchte hier auch nicht in einer leichtfertigen Art und Weise darauf antworten, sodass in Ihrer Zeitung dann ein dummer Eindruck entsteht. Der Anfang mit den Politikern und so war gut, aber jetzt verfahren wir uns gerade gewaltig.

Ach so, warum denn? Warum darf man nicht mal einen Mann zu seiner Lebenserfahrung mit seiner Körpergröße befragen, wenn sie unterhalb der Durchschnittsgröße liegt?

Weil ich kein Verlangen danach habe.

Also gut: Wie geht’s Ihrer Modelleisenbahn?

Eingemottet im Keller. Die Kinder fanden sie anfangs ganz toll. Ich hatte auch Spaß, das Ganze aufzubauen. Aber dann muss man sich auch kümmern, dass die Gleise sauber sind, nichts einstaubt. Es wurde langweilig. Jetzt gibt’s ein Texas-Zimmer bei uns! Mein neuestes Hobby.

Also doch Spieltrieb.

Seit ich fünf bin, liebe ich Disneys Davy Crockett. Später fing ich an, richtig Dinge aus dieser Zeit zu sammeln und aus der Schlacht, in der er starb, und den Schlachten vorher: Kanonenkugeln, Gewehre, Messer, Musketen. Das lag immer im Keller, jetzt ist es eine der größten Privatsammlungen. Eine große Liebe.

Kennen Sie Liebeskummer, den Zustand, wenn alles plötzlich farblos wird? Schokolade schmeckt wie Bauklötze im Mund, die Lieblingsmusik ist einfach nur noch laut, Krach …

Das kennt wohl jeder.

Um einmal für die Schnulze die Lanze zu brechen: Warum tröstet uns ausgerechnet traurige Musik?

Weil sie unsere Sehnsucht festigt und nichts so sehr Erinnerungen zurückholt wie eine berührende Melodie, besonders, wenn sie vertraut ist. Wir erinnern uns, wo wir waren, als wir sie gehört haben - und mit wem. Sie holt uns zurück in das Verlorene oder hebt uns in einen Wunschtraum. Das hat etwas Schönes und Trauriges zugleich. Mehr Emotion geht nicht, darin liegt der Zauber. In der Komödie „This is Spinal Tap“ sagt der Lead-Gitarrist, dass der traurigste von allen der D-Moll-Akkord ist - wenn man ihn in eine traurige Melodie einbaut.

Wie komponieren Sie besser: glücklich oder etwas deprimiert?

Irgendetwas muss mir Energie geben, ob fröhlich oder traurig. Manchmal bekomme ich plötzlich Lust. Aber dann fragt man sich: Wo soll man anfangen? Vor allem, wenn die Hände nicht mitmachen.

Wo bitte keine Musik?

Am liebsten überall.

Jetzt machen Sie wieder Witze.

Nein, Musik, das liegt hinter mir. Ich lese. Ich höre selten Musik zu Hause, sehr selten. Hin und wieder höre ich mal was im Auto: Bruce Hornsby, John Martyn, der leider verstorben ist, ein guter Freund von mir. Paul Brady. Aber ich höre keine Musik, nur damit etwas an ist. Es klingt vielleicht langweilig, aber ich mag die Stille.