Sonderangebot: Neue Literatur

Stories
zuerst erschienen im April 1983 in Münchner Buch-Magazin Nr. 21, S. 24-25

Café Absinth

„Je ne regrette rien“ — klingt es aus dem Lautsprecher des Café Absinth. Männer und Frauen sitzen an den Tischen, vor ihnen eine Wasserkaraffe und ein Glas klebriger, gelber Flüssigkeit. Der Putz an den Wanden brö­ckelt ein wenig, die Katze spielt am Eingang, wo die Sonne ein Dreieck bescheint mit einem Fisch vom Hafen. Die Bar ist schlecht bestückt, die meisten Flaschen verstaubt, auch die Esspressomaschine [sic] wird wenig benützt. Die Wirtin, gute Dreissig, wischt gelangweilt über den Tresen, nestelt an ihrer Bluse. Die Gesichter der Gäste ähneln sich, dieselbe braune, brüchige Haut, von roten Äderchen durch­zogen, trotzdem verquollen, Augen, die wässrig und klein hinter den Wangen hervorschauen. Die Bewegungen sind langsam, sie trinken ohne zu schlucken. Die Hände sind groß, erstaunlich groß, bei den Frauen und bei den Män­nern. Jeder sitzt für sich allein.

Sie sind dem Absinth verfallen, einem Mittel, über das man nicht redet, keine Bücher schreibt, Absinth löst sich auf. Sie sind keinem Rausch verfallen, sondern sie nehmen den Absinth und ihre Umgebung osmotisch wahr, sie leben in einem ständigen delirium tremens. Es ist keine wirkliche Sucht, es ist eine andere Wirklichkeit, eine Wirklichkeit, die sich selbst in ihren tiefsten Abgrün­den erkennt, das, was indische Weisheiten und sexuelle und Drogenexzesse, was Parapsychologie und Seelen­forschung vergeblich suchen. (Hätten sie es gefunden, würden sie keine Bücher schreiben). Von Absinthtrinkern wird man nie paradoxe Weisheiten, durchgeistigte Apho­rismen hören, das macht sie so erträglich. Das Delirium ist absolut: Assoziationen ordnen sich, verklärend hebt sich der Horizont, alles ist in. Fliegen sind grau. Irgend­wo singt ein Neger. Der Ekel ist eine Erfindung. Dunst, Sonne, Fische, Schmant.

Kleines Mädchen

Ich fühlte mich unwohl, ich kannte niemand und wollte auch niemand kennenlernen. „Progressive Medien, hätte mir ja denken können was da für Leute kommen, ziemlich sinnlos hier mitten in Deutschland rum zuhängen. Engagierte Krämer. Politdeppen in Workshops. Tagungen und der ganze Basisscheiss. Einmal hab ich ver­sucht „Kritik“ zu äußern, im „Plenum“, war nicht sehr fundiert, ich könnte ja eine Diskussion oder ein Referat organisieren. Mehrheitsentscheidungen tolerieren usw. Leider bin ich etwas ausfallend geworden, jetzt kommen die ganzen Trottel an und quatschen mich an, sie hätten dies nicht oder jenes  nicht verstanden, wären aber meiner Meinung……

Ich hörte mir das Gelabere an, trank Bier aus der Dose und dachte mir pornographische Märchen aus. Die angebotenen Gruppen hätten ja ganz interessant sein können, aber die Leute waren so bescheuert, daß nie, wirklich nie, was effektives rauskam, immer nur utopische Politforderungen, berechtigt vielleicht, aber völlig sinnlos.

Die Leute sahen alle gleich aus. Dumm. Nur eine nicht (jetzt kommts!). Die gehörte aber nicht dazu. Sie arbeitete in der Küche. Sie war 14 Jahre alt und nun ja, sie war wohl ein Punk (wie dumm das klingt). Sie liebte das Harte, Stacheln um den Hals, Irokesenschnitt, rauchte und soff wie Phillip Marlowe. Wenn sie singen würde, würde man ihre Stimme als „Reibeisen“ bezeichnen, und sie hatte einen kleinen Schlag in der Zunge. „Hascht du mal Feuer?“ Sie war die einzige Lebendige unter den Zombies. Klar war sie zu jung für mich, wenn man aber 2 Wochen lang nur zwischen häßlichen und dummen Menschen ist, meldet sich der kleine Mann, wenn man so einfach in ihren Ausschnitt gucken konnte. Wenn sie das Geschirr abdeckte. Wahrscheinlich taten es die ganzen andern häßlichen auch. Ihr war es egal. Mich hat sie wenigstens angelächelt. Nicht nur einmal. Ich trank viel Bier und sagte kein einziges Wort.

Irgendwann kamen wir ins Gespräch, ganz meine Linie war sie ja nicht, noch zu jung. Ich war ziemlich still, hin und mal wieder ein Witz, ansonsten starrte ich in die Ecke. Aber sie redete. Naja. Sie hatte große Augen und schaute mich an. Sie war ein kleines, hartes Mädchen und ich entschuldige mich für nichts. (Bin ja auch kein Heiliger, der Mann in mir usw.–). Sie war auch wirklich gut.

Wir vögelten im Auto. „Ich hasse Autos“ – „Hey, du, hascht du eigentlich eine Freundin?“ – Ich war ganz gerührt, ihr kleiner zarter Po, ein kleines Mädchen mit Lederjacke (immer noch). Ich trank Bier, man roch förmlich wie sie runterschluckte. Was für eine alberne Geschichte: Kleines Mädchen spielt hartes Mädchen (Hippieeltern oder unglücklich verliebt) und fällt auf bösen Buben rein. Ich trank noch etwas Bier. „Du hast einen schönen Busen“ – „Ja?“, wie einfach das alles ist! Sie verehrte mich. Beim Vögeln war sie angespannt, übertrieb und sie lehnte sich vertrauensvoll an mich, als ich sie entspannen ließ und den ganzen rücksichtsvollen Schwindel! Ich wollte mich aber nicht als liebevoller Liebhaber fühlen, es war zu einfach. Und wie sie Angst hatte, als sie .meinen Schwanz in den Mund nahm und vorsichtig probierte ob er auch schmeckt, und ob ich spritze, und wie erleichtert sie war, als ich nur den Kopf schüttelte…..

Sie rauchte. Ich trank Bier. Ich stieg aus dem Auto. Sie beobachtete mich und stieg mir nach. Die Tagung ging weiter. Ich redete mit ihr, erzählte ihr was gut war.

Ephidrin

Kommtn Pank in die Apotheke. Doch‘ der Apotheker isn Popper. Der Pank will 3 Kilo Ephidrin. Der Popperapotheker will sie ihm nicht geben: „Haben sie überhaupt ein Rezept?“ Da wird der Pank wütend, haut dem Popper den Schädel ein. Der schreit um Hilfe. Dann [25] kommt noch n Hippie rein und sagt: „Friede, Leute“. Der Pank holt ne Schere und ein Desinfektionsmittel, schneidet dem Hippi [sic] Schwanz und Haare ab, desinfiziert ihn. Der Pank verprügelt dann den Popper weiter, bis er tot ist. Daraufhin schneidet der Pank den Hippi in schmale Streifen und hängt sie an der Wäscheleine zum Trocknen auf. Jetzt ist der Pank glücklich und er lädt seinen Freund zu einer Party ein, mit viel Ephidrin, Wundbenzin und: „1,2,3,4 – Pogo, pogo pogo!“

You get the liquor

„You spent the horror, and you get the liquor“ — Alteister [sic] Crowley wimmert aus dem Lautsprecher. Es ist Mitternacht und dunkelblau. Ein Dunst liegt über den Mauern. Ameisen fressen meine Hand. Oh no, get the Lubitsch-touch, wenn ich meine Augen zudrücke treten helle Streifen, wie Zeichnungen vom Gewitter auf. „Are you ready for the sex girls“. Burroughs kommt die Treppe rauf, er schimpft mich aus: „Hey, man, hör auf mich nachzumachen, stop it“ (das erinnert mich an eine Engländerin) – „Ok, was du kannst, darf ich auch und ich begegnete dem Junk, dem Mann, es trat ihm aus den Augen, verpellte sich in eine eitrige Larve, haha, und ich nahm noch einen Schuß LSD 9, haha…..“ Burroughs ist beleidigt.

Gin Tonic

Die  Parties  sind  auch  nicht  mehr………. mit dieser Feststellung sondert jeder Gast noch ein paar Stunden seine Erkenntnis ab, und gemeinsam, jeder für sich, erinnert sich an Vergangenes: Flaschendrehen, Beatles im Dunklen, sehr kleine Mädchen auf staubigen Matratzen im lockeren T-Shirt und festen Bauchmuskeln, kein Fingerbreit Platz. Die Musik ist laut und unintressant [sic], Video gibts auch nicht, die Mädels sind auch nicht mehr das…..

Meine Traumfrau ist sowieso die Frau aus der MM-Sekt-Reklame auf Seite 3 des Spiegels. Aber König Alkohol regiert: Sag mir was du trinkst, und ich sag dir wer du bist: Whiskey Cola? Fuffzger Jahre, RocknRoll, Cuba libre! Bacardi. Batida di Coca. Pimicolade? Die gräßlichen 70er, Disco first edition. Straßhalsbänder, italienische Straßencafes, naive Boheme! Gut. ich trinke Gin Tonic, das Getränk der 80er, laut Hainmet „was für Damen“ (der von Hammett bevorzugte Scotch ist was für Zahnarztproleten}, avantgardistischer ist natürlicher Wodka Orange, die proletarische Kartoffel und Herkunft, mit dem Zynismus: in Rußland gibt es keine Orangen. Gedränge! bei den Getränken, die Dosierung der Alkoholica gerät mir aus den Händen (mir auch! d.S.), too drunk too drink. Tatütata. Vor mir hängt ein schlecht gemalter Akt, darunter sitzt ein schönes Mädchen. Man sollte mal einen Roman, ein Buch nur mit guten Zitaten machen, Kulturschwadronieren, hemmungslos Schopenhauer mit Bataille mixen, „Die aber de Sade bewundern, sind Hochstapler - verstehst du? – Hochstapler. Ich rege mich auf, ich bin wütend, am Ende meiner Kräfte, mir fehlen die Worte. Weshalb haben sie de Sade das angetan? Ich brülle fast: Hatten sie Scheiße gefressen, ja oder nein?“ Das ist es. Ich bin völlig klar, DAS IST ES!

Einer sagt, ich soll aufhören zu trinken. Ich esse ein halbes Toast. Sitz in der Ecke. Wenn ich die Augen zumache, wird mir schwindlig. Ruhig. Mir ist auch offenen

Augens schwindlig. Nicht nur. Auch im Magen. Ruhe. Halt den Mund. Es kommt. Halt den Mund. Fest zuhalten. Schnell. Ich remple den Plattenspieler an. Hand vor den Mund. Die Tür auf und ich kotze („Du bist wirklich zum Kotzen“). Ich übergebe mich. Alien ist in mir, Spaghetti mit Soße, ich ergebe mich, knocked out, Filmriss, und noch einmal. Noch einmal. Kopfgeburt. Meine Gedärme wringen sich aus. wie Putzlumpen. Ich liege auf den Fliesen, starre auf die Kalkablage, über mir die Klopapierrolle. Ruhe zwischen den Stürmen. An der Wand hängt ein Playboykalender. Am besten gefällt mir der Mai. Alles neu. An meinem Mund hängen Speichelfaden, mein Magen entspannt sich und ich fühle……. Noch mal. Oh, gibs doch auf, es ist nichts mehr drin. Ende. Ich lehne mich zurück. Kopf an die Wand. Mir ist schlecht. Schlechte Luft. Weiße Pferde auf grünen Wiesen, der Mai reitet, Wasserquellen, Nymphen pressen im August Schwäne an sich, und die roten Lippen des Novembers küssen eine Banane. Visionen auf der Balance. You live once. „Wir haben uns die Seele ausgekotzt, in Australien, ja, da liegt sie noch…….“.

Die Indianer sind tot

Ein Glück, wir müssen uns nicht mehr die greisen-weisen Indianerhäuptlinge im Fernsehn anschaun, die steinverwittert von irgendwelchen Büffeln brabbeln. Mit weiten Augen den Adlern, Kondors und sonstigem Kroppzeug folgen, infantile Bibermärchen in Tipis vor sparsamer Flamme verzählen. Und diese jungen, mustangreitenden Naturburschen, freundlich, offen und ehrlich entsetzt, die ihren Namen an einsamen Tümpeln suchen. Totem, die ganzen sittsam-sexy squals Büffelschnitte, kleine Kinder, edel, Sonnenuntergang über der Prärie, ein Glück, nie mehr Indianer in der Spätvorstellung, denn die Indianer sind tot.